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# taz.de -- Beratung für Missbrauchsopfer: Ombudsfrau von Ministers Gnaden
> Niedersachsens Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) richtet eine
> Ombudsstelle gegen sexuelle Gewalt ein. Die unabhängige Beauftragte ist
> seine Büroleiterin.
Bild: Schaut optimistisch auf die kommende Doppelbelastung: Büroleiterin und O…
BERLIN taz | 1993 lernte die Welt, was ein War Room ist. In dem
gleichnamigen Dokumentarfilm konnten die Zuschauer beobachten, wo das Herz
einer US-Wahlkampagne pocht: In diesem War Room, wo alle Informationen über
die aktuelle politische Lage zusammengefasst werden, die Ausrutscher des
Konkurrenten genau wie die Lage der Nation.
In Bill Clintons War Room gab es nur zwei Leute, die alles bekamen und
immer da waren. Sein Sprecher und der Kampagnenchef James Carville, Hirn
des War Room.
Das Hirn eines Ministerbüros ist der Büroleiter. Dort laufen alle politisch
relevanten Informationen zusammen. Der Job ist extrem stressig, man muss
quasi rund um die Uhr ansprechbar sein. Im Büro von Bernd Althusmann macht
diesen Job Julia Ranke, ein 33-jährige aufstrebende Oberregierungsrätin.
Früher war Ranke Anwältin, dann persönliche Referentin, seit 2010 leitet
sie das Büro von Althusmann. Das war kein vergnügungssteuerpflichtiger Job.
Die halbe Republik jagte den Minister, weil nicht klar war, ob er, der
damalige Chef der Kultusministerkonferenz, seine Dissertation abgeschrieben
hatte.
## Einzigartige Stelle
Ab 1. September wird Julia Ranke noch ein bisschen mehr zu tun bekommen.
Sie wird die Ombudsfrau im Ministerium für, genauer gegen sexuelle Gewalt
an Schulen und Kindertageseinrichtungen.
Im War Room des Ministers bastelte man daraus folgende
aufmerksamkeitsheischende Meldung: Die Stelle sei einzigartig. Denn „sie
kann mit Beginn des neuen Schuljahrs sowohl von Kindern und Jugendlichen,
Eltern, örtlichen Beratungsstellen, Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften
als auch von anderen Personen und Stellen, die von Opfern sexueller Gewalt,
Übergriffen oder Diskriminierung angesprochen worden sind, als auch von
Opfern sexueller Gewalt und Übergriffen selbst eingeschaltet werden.“
Als man in den niedersächsischen Initiativen und Missbrauchseinrichtungen
diese Meldung las, bekamen viele Bauchschmerzen. Was soll daran einzigartig
sein, wenn Betroffenen sexueller Gewalt, Lehrer oder Eltern irgendwo
anrufen können? „Das ist ein missverständliche Überschrift – denn es gibt
jede Menge Beratungsstellen“, sagt etwa Barbara David von Violetta, einer
„Fachberatungsstelle für sexuelle missbrauchte Mädchen“ in Hannover.
David ist unbedingt dafür, dass im Ministerium, weit oben angesiedelt, eine
Missbrauchsstelle eingerichtet wird. Dennoch hat David viele Fragen: „Gibt
es einen Handlungsleitfaden? Welche Beratung machen die im Ministerium
eigentlich? Wird dort jemand anonym anrufen, wenn er direkt im Ministerbüro
landet?“
Was David und viele andere BeraterInnen am meisten stutzig macht, ist
freilich die Doppelbelastung im Ministerbüro. „Es ist unglücklich, dass die
Ombudsfrau im Ministerium ihre wichtige Aufgabe parallel zu einer anderen
Stelle erledigen soll.“
## Lernen was zu tun ist
Das Stirnrunzeln hat damit zu tun, dass die Stelle in Althusmanns
Ministerium wirklich wichtig ist: Sie soll endlich den Missbrauch in
Schulen und Kitas sichtbar machen – und ihn möglichst abstellen. Schulen
sind aber auch deshalb sehr wichtig, sagt ein Mitarbeiter des Unabhängigen
Beauftragten gegen sexuelle Gewalt, Johannes-Wilhelm Rörig, weil dort der
Missbrauch in Familien sichtbar wird. Rörig startet zu diesem Zweck
kommenden Januar eine eigene große Kampagne.
Lehrer müssen lernen, was es bedeutet und was zu tun ist, wenn ein Kind
sich seltsam verhält oder direkt beginnt, von Missbrauch zu Hause zu
berichten. Ein Anruf im Ministerbüro oder eine sofortige Anzeige kann da
genau falsch sein, was in den Augen der missbrauchten Kinder passieren
kann, berichtet Ina Korter, grüne schulpolitische Sprecherin und treibende
Kraft hinter der Einrichtung einer Ombudsstelle. „Viele Betroffene wollen
auf keinen Fall, dass Anzeige erstattet wird. Die Eltern wollen ihre Kinder
beschützen. Oder viele Kinder müssen vor ihren eigenen Eltern beschützt
werden“, sagt Korter.
Was genau soll die Missbrauchsberatung in Althusmanns Büro machen? Das ist
noch nicht abschließend geklärt. Denn das Konzept für die „Anlaufstelle f�…
Opfer und Fragen sexuellen Missbrauchs und Diskriminierung in Schulen und
Tageseinrichtungen für Kinder“ ist noch intern.
## Das ganze Repertoire der Beratung
Zur taz sagte die avisierte Ombudsfrau Julia Ranke, sie sehe sich in der
Lage, auch als Büroleiterin komplexe Gespräche mit Betroffenen zu führen.
„Ich weiß genau, wann ich die Rolle der Ministerbüroleiterin hinter mir
lassen kann“, erklärte sie. Als Anwältin habe sie sich früher mit Tätern
und Opfern in Sexualstraffällen befasst.
Ranke will das ganze Repertoire der Beratung abdecken – und notfalls sogar
zu den Betroffenen oder Lehrern an die Schulen fahren. Wie wird die
Kooperation mit den vorhandenen Stellen aussehen? „Wenn ein Fall an einer
Schule in Aurich passiert“, sagte Ranke, „wird man dort mit einer Stelle
sprechen, die die Fachkompetenz hat.“ Im Übrigen werde ein Fachbeirat
berufen – das sei ein guter Ort, wo die Beratungsstellen ihr Know-how
einbringen könnten. Sie versprach, auch auf andere Art mit den
existierenden freien Beratungen zusammenzuarbeiten. „Es gab schon viele
Anrufe von BeraterInnen, die wissen wollten, wie sie mit uns kooperieren
können“, sagte die designierte Ombudsfrau.
Ranke betonte, dass es auch darum gehe, ein Aus- und Fortbildungskonzept
für die niedersächsischen LehrerInnen und ErzieherInnen zu erstellen. Und
sie sieht als erste Adresse dafür das „Niedersächsische Landesinstitut für
schulische Qualitätsentwicklung“.
Vielleicht wird das der heikelste Punkt der Zusammenarbeit. Denn das
Lehrerinstitut hat viel Ahnung von Pädagogik – aber wenig von Missbrauch.
Die Idee einer pädagogischen Landesbehörde ist oft, sich vor die Lehrer zu
stellen und sie zu schützen – etwa durch Versetzung. Das hat in der
Vergangenheit genau zu den erstaunlichen Fällen geführt, die Ina Korter
durch dauernde Anfragen im Parlament erst aus dem Ministerium von Bernd
Althusmann herausquetschen musste.
Allein seit Ende letzten Jahres habe es elf Fälle gegeben, berichtet die
grüne Politikerin. Und es hätten skandalöse Fälle stattgefunden, bei denen
übergriffige Lehrer nicht etwa angezeigt, sondern an andere Schulen
versetzt worden seien.
Korter will deswegen auch nicht locker lassen – auch wenn es die neue
Stelle, die sie lange forderte, jetzt bald geben soll. Sie sagte der taz,
dass sie die Stelle begrüße und Julia Ranke alles Gute wünsche. Aber die
Konstruktion der Stelle stößt ihr auf. „Die leitende Person muss in der
Öffentlichkeit für die neue Aufgabe stehen und nicht vor allem die Leiterin
des Ministerbüros sein.“ Die Arbeit sei auf das Vertrauen der
Hilfesuchenden angewiesen ist. „Da kann die starke Nähe zum Minister
kontraproduktiv wirken“, so Korter.
1 Aug 2012
## AUTOREN
Christian Füller
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