# taz.de -- Studieren ohne Abitur: Vom Meister zum Master | |
> Die Zahl der Studierenden ohne Abitur wächst und ihr Anteil hat sich seit | |
> 2007 verdoppelt – aber nur auf 2 Prozent. Die Hürden für | |
> QuereinsteigerInnen sind nach wie vor hoch. | |
Bild: Statistisch studiert nur jede 50. Person in diesem Hörsaal ohne Abitur. | |
BERLIN taz | Ans Studieren musste Elke Pielmeier sich erst gewöhnen. Nach | |
dem Arbeitstag setzt sie sich meistens noch ein bis zwei Stunden an den | |
Schreibtisch, 15 Stunden paukt sie neben ihrem Job Wirtschaft, Übersetzen, | |
Marketing, Personalmanagement. Dazu kommen ein- bis mehrtägige | |
Blockseminare. | |
„Am Anfang hatte ich in längeren Seminaren oft Kopfschmerzen“, sagt sie. | |
Seit drei Jahren studiert die Steuerfachangestellte aus der Nähe von | |
München International Business Communication jetzt im Fernstudium. Das | |
Besondere daran: Elke Pielmeier ist 47 alt und hat nie das das Abitur | |
gemacht. „In gewissen Fächern habe ich es durch meine Berufserfahrung | |
leicht. Nur Englisch erfordert einen größeren Zeitaufwand, um das recht | |
hohe Niveau aufzuholen.“ | |
Nicht nur Elke Pielmeier studiert ohne Abitur. 2,1 Prozent aller | |
StudienanfängerInnen kommen inzwischen über diesen Weg an die Hochschule, | |
doppelt so viele wie 2007. Diese Zahlen hat das Centrum für | |
Hochschulentwicklung (CHE) in einer Studie ermittelt. Nun jubelt es: Die | |
einstigen Hochburgen der Bildungselite werden offener, auch Facharbeiter | |
und Meister finden ihren Weg dorthin. „Es ist eine Frage der | |
Chancengleichheit, dass Personen, die die Fähigkeiten haben, nicht aus | |
formalen Gründen dauerhaft vom Studium ausgeschlossen werden“, sagt Sigrun | |
Nickel, Autorin der CHE-Studie. Sie findet: „Es ist enorm, was in den | |
vergangenen fünf Jahren in Gang gekommen ist.“ | |
Die Regelungen in den einzelnen Bundesländern waren lange unübersichtlich, | |
die Hürden hoch, „ein echter Kraut-und-Rüben-Salat“, sagt Forscherin | |
Nickel. Wer einen Meisterbrief hatte, konnte lange Zeit oft nur in seinem | |
Fachbereich und oft auch nur im eigenen Bundesland studieren. Ein | |
Augenoptikermeister beispielsweise hätte sich an einer Hochschule für einen | |
Studiengang in Optometrie einschreiben können, aber nicht unbedingt für ein | |
Lehramtsstudium. Und: Jemand aus Niedersachsen hätte nicht unbedingt in | |
Bayern studieren können. | |
2009 verständigten sich die Kultusminister darauf, den Hochschulzugang für | |
Nichtabiturienten zu vereinfachen: Personen mit abgeschlossener | |
Berufsausbildung sind nach einigen Jahren im Job Schulabgängern mit | |
Fachhochschulreife gleichgestellt und können ein Fach studieren, das zu | |
ihrer Ausbildung passt. Wer einen Meisterbrief oder einen ähnlich hohen | |
Berufsabschluss hat, kann nun in den meisten Ländern im Grunde alles | |
studieren. | |
## Viele trauen sich nicht | |
Allerdings müssten auch die Hochschulen die passenden Angebote schaffen, | |
sagt Forscherin Nickel. Für Elke Pielmeier kam beispielsweise nur ein | |
berufsbegleitendes Fernstudium in Frage. Die Fachhochschule Koblenz hat in | |
den Ingenieurswissenschaften für Nichtabiturienten eigene | |
Mathe-Vorbereitungskurse geschaffen. Momentan studieren 25 Nichtabiturenten | |
nach diesem Modell an der FH. | |
„Der Zuspruch ist nicht sonderlich groß, da sich viele ein Studium nicht | |
zutrauen. Außerdem ist ein Studium eine Frage des Geldes“, sagt | |
Hochschul-Vizepräsident Wolfgang Bogacki. Auch das CHE kritisiert, dass es | |
für diejenigen, die fürs Studium im Beruf zurückstecken oder ganz | |
aussteigen, wenig finanzielle Unterstützung gibt. Es fehle an Stipendien | |
speziell für Nichtabiturienten. | |
Nicht nur am Geld hakt es: „Die Aufnahmekriterien für Nichtabiturenten | |
unterscheiden sich trotz der Reform von Hochschule zu Hochschule, sie | |
wirken teils ein wenig selbstgestrickt“, sagt die Rechtsanwältin Sibylle | |
Schwarz, die Berufstätige beim Weg ins Studium berät. | |
Gerade vertritt sie einen Hilfspolizisten, der zwar Recht an der | |
Fachhochschule Frankfurt studieren dürfte, dem aber ausgerechnet an der | |
Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung ein Bachelor-Studium | |
verweigert wird. Sie sagt: „Viele müssen als letzte Konsequenz an einer | |
ausländischen Universität ein Fernstudium beginnen.“ | |
8 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
E. Gamperl | |
B. Kramer | |
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