| # taz.de -- Raubtiere in Deutschland: Wer hat Angst vorm wilden Wolf? | |
| > Der Wolf ist zurück in Westdeutschland. Die Umweltminister freut das, die | |
| > Nutztierhalter weniger. Nun sollen Wolfsberater für Frieden sorgen. Lamas | |
| > könnten ihnen helfen. | |
| Bild: Noch Fragen? Dieser Wolf lebt im Wolfcenter Dörverden, doch immer mehr A… | |
| Drei Wolfswelpen tapsen neugierig neben ihrer Mutter über einen | |
| Truppenübungsplatz in der Lüneburger Heide. Der niedersächsische | |
| Umweltminister Stefan Birkner ist begeistert von den Videoaufnahmen: „Mit | |
| diesen tollen Bildern machen die Wölfe die beste Werbung für sich selbst“, | |
| erklärt der FDP-Mann. | |
| Auch in Kiel werden Spuren von Wölfen begutachtet: Pfotenabdrücke, Kot mit | |
| Fellresten und Knochenstücken und Bilder aus einer Fotofalle. Zu sehen ist | |
| ein Wolfsrüde im Kreis Segeberg. Der schleswig-holsteinische Umweltminister | |
| Robert Habeck, ein Grüner, tritt selbst vor die Presse: „Das ist ein toller | |
| Tag“, sagt er. | |
| Vor mehr als 150 Jahren wurde der Wolf in Westdeutschland ausgerottet – in | |
| den letzten Wochen zeigte sich, dass er wieder da ist: Der erste | |
| Wolfsnachwuchs und damit das erste Rudel in Westdeutschland, der erste Wolf | |
| in Norddeutschland. Die Momentaufnahmen aus den letzten Wochen zeigen, dass | |
| die Natur in Deutschland wieder intakt ist, denn für Biologen sind | |
| freilebende Wölfe Indikator für ein funktionierendes Ökosystem. | |
| Muss das extra betont werden? 79 Prozent der Deutschen, so zeigte eine | |
| repräsentative Forsa-Studie Ende letzten Jahres, befürworten, dass sich in | |
| Deutschland wieder zunehmend Wölfe ansiedeln. Nur 18 Prozent – eher die | |
| über 60-Jährigen – sind weniger begeistert. Also: Herzlich willkommen, | |
| lieber Wolf? | |
| Ganz so ungeteilt ist die Freude nicht. Niko Gebel, der | |
| CDU-Vizebürgermeister des sächsischen Städtchens Ortrand, ist Jäger und | |
| meint, die Menschen auf dem Land sähen das ganz anders. Oder Dietmar | |
| Brettschneider: Auf der Jahresversammlung der Jägerschaft des Altkreises | |
| Jessen in Sachsen-Anhalt macht der Vorsitzende Stimmung: „Wölfe sind keine | |
| niedlichen Kuscheltiere, sondern gefährliche Raubtiere.“ Es sei doch „nur | |
| noch eine Frage der Zeit“, bis sie Menschen angriffen. | |
| ## 89 tote Schafe | |
| Ganz handfest sind die Argumente von Nutztierhaltern. Allein in Brandenburg | |
| wurden im Jahr 2011 nach Angaben des Landesamts für Umwelt, Gesundheit und | |
| Verbraucherschutz 89 Schafe und eine Ziege zweifelsfrei von Wölfen | |
| gerissen. | |
| Doch gehört der Wolf zu den geschützten Arten, sein Status ist im | |
| Washingtoner Artenschutzabkommen, in der europäischen | |
| Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, in der Berner Konvention und im | |
| Bundesnaturschutz festgelegt. In Deutschland steht er auf der Roten Liste. | |
| Damit darf er grundsätzlich nicht geschossen werden. Daran ändert sich | |
| vorläufig nichts, auch wenn sich nach und nach mehr Wölfe. | |
| Bislang gibt es deutschlandweit gerade mal 15 oder 16 Rudel. Zählt man auch | |
| die Paare und Einzeltiere hinzu, gibt es etwa 120 Tiere, die sich über | |
| bislang sieben Bundesländer verteilen. Für eine stabile Population bräuchte | |
| man mindestens 1.000 fortpflanzungsfähige Wölfe in einem zusammenhängenden | |
| Territorium. | |
| ## Schluss mit den Mythen | |
| Das bedeutet: Man muss lernen, mit dem Wolf zu leben. Da ist es nützlich, | |
| mit den Mythen aufzuräumen, mit denen Generationen von Menschen hierzulande | |
| aufgewachsen sind: mit dem Märchen vom bösen Wolf bei Rotkäppchen, den | |
| sieben Geißlein, den drei kleinen Schweinchen. | |
| Vor allem aber bedeutet es, dass man Informationen braucht. Wie viele Wölfe | |
| gibt es wo? Wie bewegen sie sich? Was fressen sie? Problematisch daran: Das | |
| sogenannte Wolfsmanagement ist Ländersache. Wölfe aber halten sich nicht an | |
| Grenzen. Ein Paar oder ein Rudel kommt auf ein Revier von bis zu 200 oder | |
| 250 Quadratkilometern. Jungwölfe, die ihre Familie verlassen, wandern auf | |
| der Suche nach einem eigenen Territorium bis zu 1.000 Kilometer. | |
| Zum Vorreiter bei der Beobachtung von Wölfen könnte sich Niedersachsen | |
| aufschwingen. Das Land hat sich akribisch vorbereitet. Vor drei Jahren – da | |
| hatte man gerade mal einen Wolf gesichtet – hat der Niedersächsische | |
| Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLKWN) | |
| angefangen, Biologinnen, Förster und Jägerinnen darin auszubilden, wie man | |
| Wolfsspuren sucht und liest, Losungen, DNA und totes Wild untersucht, | |
| Fotofallen aufstellt. | |
| Die sogenannten Wolfsberater, übrigens alle im Ehrenamt, sollen neben der | |
| wissenschaftlichen Dokumentation auch die Interessengruppen im Blick haben, | |
| Fragen von Anwohnern beantworten, Tierhaltern zeigen, wie sie ihre Herden | |
| schützen können. Vieles schauen sie sich in der brandenburgisch-sächsischen | |
| Region ab. Dort sind die Wölfe schon länger dabei, wieder heimisch zu | |
| werden. Elf Rudel gibt es inzwischen. Und es rumort vor allem bei den | |
| Bauern. Frei herumlaufende Haustiere sollen gerissen worden sein. Kürzlich | |
| sogar ein Kalb, das auf der Weide geboren wurde. | |
| Eigentlich stehen Schaf und andere Nutztiere nicht besonders weit oben auf | |
| dem Speiseplan der Wölfe. Das zeigt eine Studie, in der Wissenschaftler | |
| Anfang des Jahres die Fressgewohnheiten der großen Räuber untersucht haben. | |
| „Weniger als ein Prozent der analysierten Beutetiere kam aus dem Bereich | |
| der Nutztiere“, sagt Hermann Ansorge, Abteilungsleiter der Zoologie am | |
| Senckenberg Forschungsinstitut in Görlitz. Rehe, Rotwild und Wildschweine | |
| machten 96 Prozent aus, Hasen drei. | |
| „Der Wolf ist ein Opportunist“, sagt WWF-Experte Arnold. „Wenn ihm | |
| ungeschützte Tiere auf einem Silbertablett serviert werden, nimmt er die | |
| natürlich mit.“ Wo es ein Wolfsmanagement gibt, steht der Herdenschutz | |
| deshalb ganz oben. Wer keine entsprechenden Maßnahmen ergreift, bekommt für | |
| getötete Tiere keine Entschädigung. Dabei reicht eine rein optische oder | |
| akustische Abschreckung nicht aus. Wölfe durchschauen selbst ausgefeiltere | |
| elektronische Anlagen nach einiger Zeit. | |
| ## Elektrozäune | |
| Mehr Erfolg versprechen Elektrozäune, die allerdings eine bestimmte Höhe | |
| haben müssen. Als am wirkungsvollsten haben sich Schutztiere, etwa | |
| Herdenhunde, erwiesen. Der WWF will mit einem Pilotprojekt in Brandenburg | |
| ausprobieren, ob auch mobile Truppen denkbar sind, wie sie in der Schweiz | |
| seit einigen Jahren bestehen. Experimentiert wird mit Lamas und Eseln, die | |
| besonders hellhörig sind, sich gern auf den höchsten Punkt in der Umgebung | |
| stellen und mit den Hufen auf Angreifer losgehen. | |
| So richtig zufrieden sind viele Bauern in Brandenburg aber noch nicht mit | |
| dem dortigen Wolfsmanagementplan, der gerade überarbeitet wird. Sie wollen | |
| die Mehrkosten für Zäune und Hunde nicht selbst tragen und verlangen | |
| unbürokratischere Entschädigungen – es ist relativ aufwendig, nachzuweisen, | |
| dass Tiere von Wölfen gerissen wurden und nicht von Füchsen oder | |
| verwilderten Hunden. | |
| Noch weniger Begeisterung zeigen Jäger und Großgrundbesitzer. Sie können | |
| keine Ansprüche geltend machen, wenn er in ihren Jagdrevieren Wild erlegt | |
| oder verjagt – auch wenn das bedeutet, dass sie selbst weniger schießen | |
| oder weniger Geld für die Pacht verlangen können. | |
| 8 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Willms | |
| ## TAGS | |
| Jäger | |
| Brandenburg | |
| Biodiversität | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Rückkehr der Wölfe: Isegrims Imageproblem | |
| Seit 15 Jahren leben die Tiere wieder in Deutschland. Kaum jemand bekommt | |
| sie zu sehen. Trotzdem herrscht vielerorts die „Angst vorm bösen Wolf“. | |
| Wölfe in Brandenburg: Abknallen ist auch keine Lösung | |
| Die Nutztierhalter fühlen sich nicht ernst genommen. Der Bauernbund fordert | |
| nun die „aktive Bejagung“ märkischer Wölfe. Umweltministerium und FDP sind | |
| dagegen. | |
| EU-Schutzstatus missachtet: CDU will Wölfe abknallen | |
| Es gibt Streit um die Wölfe in Mecklenburg-Vorpommern. Die CDU will sie zum | |
| zum Abschuss freigeben. Naturschützer sind empört, der Koalitionspartner | |
| auch. | |
| Mobiler Wolfsschutz: Hechelnde Hüter aus der Schweiz | |
| In der Schweiz soll die alte Tradition des Schutzhunds wiederbelebt werden. | |
| So sollen Schaf- und Ziegenherden vor Übergriffen von Wölfen bewahrt | |
| werden. | |
| Wölfe versus Weidetiere: Wenn die Wölfin Zora kommt | |
| Die Wölfe breiten sich in Norddeutschland immer weiter aus. Jetzt gibt es | |
| eine Notfallausrüstung für Viehhalter, um Weidetiere vor hungrigen Räubern | |
| zu schützen | |
| Wildtiere im Wendland: „Wölfe brauchen keine Wildnis" | |
| Seit elf Jahren leben Wölfe in Deutschland, jetzt etablieren sie sich in | |
| der Lüneburger Heide und dem Wendland. Wolfsberater Kenny Kenner hilft, | |
| sich an ihre Anwesenheit zu gewöhnen. | |
| Im Urwald von Bialowieza in Polen: Der König der Wälder | |
| Im Wald von Bialowieza gingen die Zaren auf Jagd. Wisente, Luchse und Elche | |
| gibt es noch heute. Und ein Bahnhofsrestaurant im Empire-Stil. Polen | |
| entdeckt sein russisches Erbe. |