# taz.de -- Trainerin Schäfer über Olympia: „Es wird zu viel Krafttraining … | |
> Gertrud Schäfer war oft bei Olympia, zuerst als Kugelstoßerin, dann als | |
> Trainerin. Heute fehlt es in vielen Verbänden an ganzheitlichem Training, | |
> sagt sie. | |
Bild: „Leichtathletik hat nichts mit Gewichtheben zu tun tun“: Die deutsche… | |
Im Ruhrgebiet sind Sommerferien. Ein Haus in einer altgewordenen | |
Neubausiedlung im westfälischen Marl. Ein flacher Bungalow. Die Rollläden | |
sind runtergelassen. Knapp über 30 Grad Celsius im Schatten. Die Tür öffnet | |
sich. | |
Gertrud Schäfer: Warten Sie mal (kneift die Augen zu), ja jetzt wo ich das | |
Gesicht sehe, ich kenne Sie, aber, dass muss schon über 10 Jahre her sein. | |
Mit ihrer Vermutung hat sie Recht, Abi 2001. Die 68-jährige Sportlehrerin | |
füllt mit ihren 1,66 Meter den Eingangsbereich fast völlig aus. Stämmig | |
wirkt sie, wach, präsent. Dann geht es auf die Terrasse. Auf dem Tisch | |
stehen Schnittchen, eine Kanne Hagebuttentee und ein Holzschälchen randvoll | |
mit eingelegten Gurken. Sie mustert ihren schmächtigen Gesprächspartner. | |
Gertrud Schäfer: Sie wissen, was für jeden Kugelstoßer gilt? | |
taz: Keine Ahnung. | |
Gertrud Schäfer: Essen. Immer gut essen. | |
Wie oft haben sie an olympischen Spielen teilgenommen? | |
Ich selbst war 1968 im Kugelstoßen in Mexiko dabei. Als Trainerin habe ich | |
1984 in Los Angeles, '88 in Seoul, '92 in Barcelona, und '96 in Atlanta, | |
Beate Peters, die Siebenkämpferin Sabine Braun und die Kugelstoßerin | |
Stephanie Storp betreut. | |
Wie war es denn so in Mexiko? | |
Das war das Größte. Teilzunehmen war natürlich ein Traum für mich. Wir | |
haben davor im Höhentrainingslager in Flagstaff/Arizona trainiert. | |
Allerdings war die medizinische Betreuung damals natürlich eine Farce | |
gegenüber den heutigen Verhältnissen. Ich hatte damals Montezumas Rache – | |
also Durchfall – und war überhaupt nicht in Form. Ich wollte den Wettkampf | |
schnellstmöglich hinter mich bringen. Ich war platt wie eine Briefmarke. | |
Vorher hatte ich ein richtiges Pfund drauf. So konnte ich aber nicht in den | |
Endkampf eingreifen. Aber mal davon abgesehen, war es für uns eine Ehre | |
teilzunehmen. | |
Also keine Medaille? | |
Ich war damals die Kleinste in der Weltrangliste. Wenn ich an die Anderen | |
denke - das waren Hüninnen. 1,80 Meter war damals das Gardemaß. Drunter gab | |
es kaum was. Ich ging damals über den Bereich Kraft, lag so um Platz zehn | |
in der Welt, wurde Sechste bei den Europameisterschaften. Wenn ich den | |
Drehstoß eher gekannt hätte, hätte ich mich da oben etablieren können. | |
An Ehrgeiz scheint es ihnen nie gemangelt zu haben? | |
Mit zwölf Jahren bin ich in Marl zum VFL Hüls gekommen – einem damaligen | |
Akademiker-Club. Da habe ich die Hand der Hosentasche geballt und nur | |
gedacht: Euch putz' ich irgendwann mal weg. Diese Power habe ich bis heute. | |
Sie haben später Sport studiert. Gab es in den 60er Jahren eine gezielte | |
Förderung für die Athletinnen? | |
Eine Professorin ist mir damals sehr entgegengekommen. Im Semester waren | |
Schwimmkurse angesetzt und mir war klar, wenn ich jetzt hart schwimmen | |
muss, kann ich die Deutschen Meisterschaften knicken. Da hätte ich eher das | |
Wasser kaputt gemacht. Ich habe mich damals mit Nivea eingecremt, damit ich | |
wenigstens das Gefühl des Gleitens bekam. Also habe ich versprochen in den | |
Semesterferien zu trainieren und dann die Scheine zu machen. Da gab es aber | |
keine Vorteile, dass wurde knallhart durchgezogen. | |
Wie sah es mit einer auf den Sport abgestimmten Ernährung aus? | |
Ich habe selbst gekocht. Mittags gab's zwei Steaks, ein Pfund Quark und | |
zwei Pfirsiche. Wir hatten damals eine Nachbarin, die fragte, ob noch | |
Besuch zum Essen käme. Die war geizig und konnte das gar nicht fassen | |
(lacht). Ich habe damals alle Hebel in Bewegung gesetzt. Bei mir ging es | |
nur ums Optimieren. Das Anspruchsdenken von heute ist mir völlig fremd. Ich | |
habe mich immer gefreut, richtig knüppeln zu können. | |
Wie begann die zweite Laufbahn als Trainerin? | |
Bei Beate Peters rief mich, nach dem Ende meiner aktiven Karriere, deren | |
damalige Westfalen-Trainerin an und fragte, ob ich mich um sie kümmern | |
könne. Sie hatte die Sorge, dass Peters zum Volleyball abwandern könne. | |
Meine Domäne war eigentlich das Kugelstoßen. Also habe ich mir innerhalb | |
eines Jahres das Knowhow des Speerwerfens angeeignet. Bei Sabine Braun habe | |
ich erst den Wurfbereich übernommen, das wurde dann sukzessive immer mehr. | |
Ich habe mich intensiv in andere Disziplinen eingearbeitet ob nun | |
Hürdenlauf oder Hochsprung. Mir macht der Sport nach wie vor von der | |
wissenschaftlichen Seite unheimlich viel Spaß. Ich unterhalte mich viel mit | |
Günter Eisinger, dem Trainer der [1][Hochspringerin Ariane Friedrich], der | |
sagt nach unseren Gesprächen immer, Mensch, Gertrud, wo hast du denn das | |
schon wieder her. Ich besuche nach wie vor Vorlesungen an der | |
Sporthochschule in Köln, mache Fortbildungen beim DLV, gebe Vorträge und | |
bin sehr gut vernetzt. Ich zeig' ihnen mal was. Habe ich mir letztens auf | |
der FIBO (jährliche internationale Fitness-Messe in Essen, Anmerkung der | |
Redaktion) gekauft. | |
Schäfer sprintet ins Haus und kommt mit einem handlichen Gerät zum Training | |
der Fußmuskulatur wieder. Sie legt es auf einem Gartenstuhl ab. Weg mit der | |
Sandale. Zack, sitzt ihr linker Fuß in der dafür vorgesehenen Vorrichtung. | |
Sie beginnt ein kleines Gewicht mit dem Fuß auf und ab zu bewegen. | |
Fußhebemuskel. Ich trainiere in der Form, so dass ich entweder den | |
kompletten Fuß anhebe oder nur die Zehen. Die meisten trainieren den Fuß | |
gar nicht, dabei wird er am meisten belastet und am wenigsten trainiert. | |
Und dann wundern sich Athleten und Trainer, dass der Fuß kaputt geht. Ich | |
sehe mit Skepsis einige Dinge, die im Zehnkampf vor sich gehen. | |
Wenn ich mir Michael Schrader (verletzungsbedingt bei Olympia nicht dabei, | |
Anmerkung der Redaktion) ansehe, mit zwei oder drei Ermüdungsbrüchen, dann | |
läuft da doch schon was im Training falsch. Man arbeitet doch im | |
Grenzbereich. Es braucht eine Balance zwischen Belastung und Entlastung. Es | |
kann nicht sein, dass ich auf die Arme Gewicht draufpacke und mit den Füßen | |
krabbel' ich nur durch den Sand. | |
Also individuelles Training? | |
Richtig. Schwächen ausmachen, begradigen und entsprechend optimieren. Das | |
wird viel zu wenig gemacht. Einfach „Schema F“ durchziehen. Es wird zu viel | |
Krafttraining angesetzt. Leichtathletik hat mit Gewichtheben nichts zu tun. | |
Das ist eine völlig andere Dimension in der neuronalen Ansteuerung der | |
Gewichtsverteilung und in der muskulären Belastung. In den Verbänden findet | |
viel zu wenig Optimierung statt.Und nebenbei, als Trainerin hat mich nie | |
interessiert, welche Vorteile ich hatte. Ich war immer dafür, die Sache zu | |
optimieren. Den meisten der Trainer oder Bundestrainer geht es um die | |
eigene Person, nicht um das Voranbringen einer Disziplin. Keine von meinen | |
Athletinnen hatte je eine sportbedingte Operation, weil immer umfassend | |
trainiert wurde. Kommen sie mal mit! | |
Die gläserne Wand zwischen Hausflur und Wohnzimmer ziert ein lebensgroßer | |
Diskuswerfer in Kirchenfensteroptik. Im Büro türmen sich | |
Trainingsunterlagen, Wettkampfprotokolle und medizinische Fachliteratur in | |
den Schränken. | |
Sehen sie, dass habe ich alles akribisch ausgearbeitet! Das ist natürlich | |
eine Riesenmaloche, aber es macht mir einfach Spaß zu katalogisieren. Ich | |
will immer auf dem neusten Stand sein. | |
Es geht zurück auf die Terrasse. | |
Welche Strukturen in der deutschen Leichtathletik würden sie gerne noch | |
verbessern? | |
Es gibt viele Männer, die den Frauenbereich beim Deutschen | |
Leichtathletikverband betreuen, aber keine Frau, die im Männerbereich | |
trainiert. Warum nicht? In der Fußball-Bundesliga läuft es genauso. Ich | |
muss mit den Jungen ja kein Gespräch unter der Dusche führen. Mit der | |
Frauenquote habe ich überhaupt nichts am Hut. Aber man sieht nicht den | |
Bereich der Empathie bei Frauen. Die Männer denken zentraler, die Frauen | |
eher peripher. Wissen und soziale Kompetenz. Die ideale Führungsriege in | |
einem Unternehmen müsste demzufolge eigentlich immer aus einer Frau und | |
einem Mann bestehen, die sich ergänzen. | |
Wie kriege ich meinen Athleten genau auf den einen Tag hin fit? | |
Physis und Psyche müssen harmonieren. Ruhe ist dabei ganz wichtig. Die eine | |
braucht einen Film vorneweg und muss sich kaputtlachen, der andere seine | |
Waldspaziergänge. Denken sie mal an den Zehnkämpfer [2][Pascal | |
Behrenbruch], der hat sich in Estland auf die Spiele vorbereitet, | |
konzentriert sich voll auf den Sport, die Freundin ist in Frankfurt und auf | |
einmal bringt der Junge Leistung – weitab vom Verband. Ich glaube als | |
Bundestrainer oder Verband muss man souverän sein und akzeptieren, dass | |
jeder Mensch andere Eigenarten hat. | |
Der Muskel ist immer dann am stärksten, wenn er lange regeneriert. Ich habe | |
das mal bei Beate Peters erlebt. Sie warf immer ordentliche 62 Meter. Durch | |
einen Zufall musste sie kurzzeitig verletzungsbedingt vor einem Wettkampf | |
eine Woche pausieren. Danach hat sie bis zu 68 Meter geworfen. Die Pause | |
war entscheidend. Dafür muss man ein Gefühl haben, eine Art Instinkt. Die | |
Grundlage dafür ist aber auch eine lange Zusammenarbeit. | |
Ist das die Grundvoraussetzung für Erfolg? | |
Der Wettkampf ist das Ziel und die Medaille. Das sind natürlich | |
fortwährende Stresssituationen. Das hält einen aber nicht davon ab, | |
menschlich zu reagieren. Natürlich macht man Fehler, als Athlet ebenso wie | |
der Trainer. Aber nur so macht man Erfahrungen, lernt mit Druck umzugehen. | |
Ich habe neulich etwas sehr Interessantes aus dem Bereich Lernphysiologie | |
gelesen. Kinder lernen chaotisch und damit unterrichten die Schulen | |
meistens völlig an ihren Bedürfnissen vorbei. Entscheidend ist das | |
differenzielle Lernen. | |
Unser Gehirn überspielt Missstände. Es sucht den einfachsten, den optimalen | |
Weg. Als Lehrer muss ich also eine riesige Palette von Übungen draufhaben, | |
um die Kinder produktiv auszulasten. Eigentlich funktioniert das ganze | |
Leben so. | |
Sie unterrichten trotz Pensionsanspruch immer noch am Gymnasium. | |
Alles was ich jetzt mache, kommt der Schule zugute. Ich bin 68, die sechs | |
Stunden, die ich heute noch gebe, sind eine Art Sahnestunden. Ich bekomme | |
jetzt eine 7. Klasse. Da sind topfitte Mädels im Bereich Leichtathletik | |
dabei. Mir würde es immer noch großen Spaß machen, jemanden hochzuziehen. | |
Bis auf Marathon würde ich alles machen. Wenn so ein Sternchen käme – ich | |
würde nicht nein sagen. Ich wäre heute wieder so verrückt. | |
10 Aug 2012 | |
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Jan Scheper | |
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