# taz.de -- DIE WAHRHEIT: Der Wille zum Liedgut | |
> Olympia 2012: Durch konsequentes Hymnentraining zum Erfolg | |
Bild: Als Hymnenverweigerer ist der Rekordolympionike Michael Phelps zum stumme… | |
1988 in Seoul, da war noch Musik drin. Da holte die Deutsche Demokratische | |
Republik 37 Goldmedaillen und die Bundesrepublik 11. Selbstverständlich | |
waren die aus dem Osten alle gedopt, aber trotzdem träumten Sportpatrioten | |
und -idioten hüben wie drüben davon, dass eine vereinigte deutsche | |
Olympiamannschaft mit den USA bald Schritt halten könnte. 20 Jahre später | |
ziehen im Medaillenspiegel sogar Großbritannien und Südkorea locker an uns, | |
ja genau, lieber Leser, an dir und mir vorbei. | |
Gut, die Südkoreaner sind alle gedopt, das muss uns nicht weiter grämen. | |
Sollen sie sich doch mit anabolen Steroiden vollpumpen, genau wie die | |
Kasachen und Franzosen und Australier, die nur deshalb so schnell schwimmen | |
können, weil sie dort unten ein Haiproblem haben. Die Engländer stehen oben | |
auf dem Treppchen, weil es bei Rudern, Reiten und Leichtathletik kein | |
Elfmeterschießen gibt. Gleichwohl gibt die vollkommen beschämende | |
Medaillenausbeute zu denken. | |
Im Februar des Jahres stellte die Süddeutsche Zeitung ganz naiv die | |
Sinnfrage: „Warum muss der moderne Staat seine Leistungsfähigkeit überhaupt | |
noch über Sporterfolge beweisen? Der Kalte Krieg ist doch vorbei.“ Und | |
Hans-Peter Friedrich, der Bundesmedaillenminister, erklärte leicht pikiert: | |
„Auch heutzutage ist es positiv für ein Land, jemanden zu haben, der viele | |
Tore schießt, der weit springen kann oder schnell Bob fährt.“ | |
Du und ich, Leser, wir haben tatsächlich jemanden, der gut im | |
Skeet-Schießen ist. Manchmal liege ich nachts wach und frage mich: Wieso | |
bin ich eigentlich so gut drauf? Bis mir dann klar wird, dass Christine | |
Wenzel 2008 in Peking im Skeet die Bronzemedaille geholt hat. Ganz schön | |
wirkungsmächtig für eine Disziplin, die gute Chancen hat, randständigste | |
Randsportart aller Zeiten zu bleiben. Beim Skeet starrt man so lange ins | |
Nichts, bis sich in der Luft der Arena ein hellblaues Rauchwölkchen | |
materialisiert. Danach muss man die Körpersprache der Athleten lesen, um zu | |
wissen, ob sie getroffen haben. | |
An der Sporthochschule Köln gibt es seit drei Jahren eine Ausbildung zum | |
Körpersprachenkorrespondenten, und auf die Körpersprache hatten sich alle | |
Berichterstatter diesmal eingeschworen. Den Tunnelblick und das | |
Nervenflattern, die Lockerheit und die Übersäuerung, alles geben die | |
geschwätzigen Leiber preis, wenn man sie nur zu lesen weiß. Nicht Baron de | |
Coubertin, Michel Foucault ist der Schutzherr der olympischen | |
Disziplinierung. | |
Wer Disziplin sagt, der meint Hymne. Wer Hymne sagt, der meint Deutschland. | |
Und wer Deutschland sagt, der meint Erfolg. Wo man singt, da lass dich | |
ruhig nieder, Viertplatzierte haben keine Lieder. Und das Lied der | |
Deutschen wird in Zukunft zum integralen Trainingsbestandteil aller | |
Sportarten. Gerhard Mayer-Vorfelder wird der neue Oralcoach des Deutschen | |
Sportbundes, das ist bereits durchgesickert. | |
„Wenn man mich braucht, helfe ich gerne“, erklärte der lebenslustige | |
Grandseigneur in einer Portweinkneipe in Kensington auf einer kurzfristig | |
unter dem Tisch anberaumten Pressekonferenz. „Und wenn man mich nicht | |
braucht, erst recht.“ | |
Alle Sportler werden Tag und Nacht die Hymne singen, sie pausenlos | |
intonieren und internalisieren. Der Deutschlandachter singt sie als Kanon, | |
die Schwimmer stellen ihre Atemtechnik komplett um, um auch unter Wasser | |
„Blüh im Glanze“ zu blubbern. Die Pferde werden sie wiehern, die | |
Synchronspringer und Staffelläufer finden ihre Feinabstimmung in der | |
vorverdichteten Inbrunst des Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Die | |
schwarze Stoppuhr, der rote Medizinball und das goldene Gesangbuch bilden | |
die Säulen des Erfolges. Keiner wird mehr in die Nähe eines | |
Leistungszentrums gelassen, der die Hymne nicht punktgenau abrufen kann. | |
Das Schicksal des Michael Phelps sollte bei all dem zur Mahnung gereichen. | |
Bei seinen Siegerehrungen in London glotzte der Schwimmer romantisch in der | |
Gegend herum und kriegte die Zähne nicht auseinander. Abgesehen davon, dass | |
Phelps wie alle US-Boys, -Girls und -Mutanten selbstverständlich gedopt | |
war: Was hätte der 200-fache Goldmedaillengewinner alles aus sich machen | |
können, wenn er seine nicht durch Etsch, Memel und Überalles historisch | |
belastete Hymne immer fleißig mitgesungen hätte? | |
Vielleicht hätte er sich sogar zum Platzwart beim VfB Stuttgart | |
hochgearbeitet. Das Talent war da. Aber so, ohne jegliche Gesangseinlage, | |
versandete seine Karriere im Mittelmaß. Und Mittelmaß wollen wir nicht. Wir | |
wollen Gold. Ganz viel Gold. Goold. Gooold, Goooold … | |
10 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Rob Alef | |
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
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