# taz.de -- Aktion zur Lesewoche: Bücher pflücken | |
> Die Organisatoren der Sprach- und Lesewoche verwandeln Parks in | |
> Open-Air-Bibliotheken. Wer ein Buch haben will, muss es von den Bäumen | |
> pflücken. | |
Bild: Schnapp dir ein Buch! | |
Ob es sich wirklich um die weltweit größte Open-Air-Bibliothek handelt, wie | |
die OrganisatorInnen der Berliner Lesewoche meinen, wird wohl ungeklärt | |
bleiben. Mit Sicherheit jedenfalls ist es die größte Zahl von Büchern, die | |
je in den Bäumen der Hasenheide hing. | |
120 SchülerInnen verteilten am Donnerstag 3.000 Bücher in der großen | |
Grünanlage in Neukölln, knüpften Romane an Äste, versteckten Sachbücher im | |
Gebüsch. 10.000 Bücher haben die OrganisatorInnen insgesamt zu vergeben, | |
ein weiterer Teil davon wurde zeitgleich im Volkspark Friedrichshain | |
verteilt. Am heutigen Freitag wird die Aktion „Pflück mich und lies mich“ | |
im Weddinger Humboldthain und im Tiergarten fortgesetzt. Sie soll für die | |
„Berliner Woche der Sprache und des Lesens“ werben, die Ende August | |
beginnt. | |
Aleyna und Melisa haben je zwei Bände aus der Serie „Lila Lakrizzen“ unter | |
dem Arm. Eine Stunde lang haben sie in der Hasenheide Bücher an Äste | |
geknüpft oder in Gebüschen versteckt. Zwei pro Person dürfen die | |
Helferinnen zur Belohnung nun selbst mit nach Hause nehmen. Die Bücher über | |
die Abenteuer des multikulturellen Mädchenclubs Lakrizzen kennen und mögen | |
sie. Eigentlich würden sie aber nicht so viel lesen, erzählen die beiden | |
Achtklässlerinnen der Neuköllner Liebig-Sekundarschule: „Lieber gehen wir | |
raus!“ | |
Ihr Klassenkamerad Berrak hat ein Kochbuch für seine Mutter und ein | |
Bilderbuch für seinen kleinen Bruder eingepackt. Er selbst lese nicht so | |
gern, sagt er. Und Mohammed rühmt sich, er habe „seit fünf Jahren kein Buch | |
gelesen, das länger als 30 Seiten ist!“ Er schaue lieber Filme, sagt der | |
13-Jährige. | |
Dabei finden die SchülerInnen Lesen eigentlich gut – und wichtig: „Man | |
erfährt dabei viel Neues und lernt, sich zu konzentrieren“, sagt Jennifer. | |
Sie hat sich einen Roman ausgesucht, ihre Freundin Angelique ein | |
Spanischwörterbuch. Die Sprache möchte sie gern lernen. | |
Yvonne Büschi, die Lehrerin der AchtklässlerInnen, muss ein bisschen | |
schmunzeln über das Dilemma ihrer Teenager. „Sie wissen eigentlich ziemlich | |
gut, was richtig und wichtig ist“, sagt sie. „Nur machen sie oft genau das | |
Gegenteil davon.“ Auch deshalb hat sie mit ihrer Klasse an der Buchaktion | |
teilgenommen: „Lesen ist unabdingbar für den Spracherwerb“, sagt Büschi, | |
„und wichtig für jedes Schulfach.“ Mit der Idee, einen Park in eine | |
öffentliche Bibliothek zu verwandeln, hätten ihre SchülerInnen erst nicht | |
viel anfangen können. Doch am Ende hat die Open-Air-Aktion allen Spaß | |
gemacht. | |
In der Hasenheide erregen die Bücher derweil Aufsehen. Wie Riesenostereier | |
hängen sie in den Ästen, regensicher in durchsichtigen Plastiktüten | |
verpackt. Von Krimis über Literaturklassiker wie Max Frisch oder Oscar | |
Wilde bis hin zu Reiseführern und Bildbänden ist alles dabei. An zwei | |
Seniorinnen, die einen kleinen Bücherstapel am Wegesrand durchforsten, | |
läuft eine Joggerin mit einem Fotobuch unterm Arm vorbei. „Hier hängt ja | |
alles voller Bücher!“, ruft ein Radfahrer erstaunt seinem Begleiter zu. Die | |
beiden älteren Damen haben in dem Romanstapel nichts Passendes gefunden, | |
sie suchen weiter: „Wir wollen etwas Ausgefalleneres“, erklären sie. Durch | |
einen Zeitungsbericht sind sie auf die Aktion aufmerksam geworden, die sie | |
„fantastisch“ finden: „Eine tolle Idee! Sehen Sie sich mal um, das spricht | |
doch hier alle an!“ | |
Der Berliner Büchertisch und einige Verlage haben die Bücher für die Aktion | |
zur Verfügung gestellt. Jedes Buch ist im Inneren mit einem Aufkleber | |
versehen. Dort sollen die LeserInnen ihren Namen eintragen und das Datum, | |
an dem sie das Buch weitergegeben haben. Denn auch dafür ist die Aktion | |
gedacht: Die Bücher sollen nach dem Lesen weiter gegeben werden. Deshalb | |
kann beides auch auf der Internetseite der Sprachwoche eingetragen werden. | |
Dort kann man anhand der Buchnummer dann nachsehen, welchen Weg jedes Buch | |
zurücklegt. | |
Kazim Erdogan steht etwas ermattet am Rand der Hasenheide. Der Neuköllner | |
Psychologe, bekannt durch seine Gesprächsgruppen für türkischstämmige | |
Männer, hat sich die ganze Aktion ausgedacht. Mehrere Jahre organisieren | |
Erdogan und sein Team schon die „Neuköllner Lesewoche“. Damit haben sie so | |
viel Erfolg gehabt, dass das Sprach- und Literaturfest in diesem Jahr | |
erstmals berlinweit stattfindet. | |
Vom 31. August an gibt es zehn Tage lang Lesungen, Aufführungen und | |
Mitmachveranstaltungen. Wichtig ist Erdogan, dass das Programm die | |
kulturelle Vielfalt der Hauptstadt abbildet. Lesungen arabischer, | |
persischer oder afrikanischer AutorInnen gehören deshalb ebenso dazu wie | |
deutsche Märchen oder europäische Redensarten. | |
10 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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