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# taz.de -- Ausstellung über Ostsee-Anrainer: Schiffe wie Moorleichen
> Die Schweriner Ausstellung "Connected by Art" hat Ostsee-Anrainer
> zusammengeholt und überraschende Gemeinsamkeiten gefunden.
Bild: Landschaft, surreal verfremdet: "Situation Dictionary" von Kamil Kuskowsk…
SCHWERIN taz | Was ist die Ostsee? Ein Meeres-Moloch, an dessen Rändern ein
paar verstreute Völker hausen? Eine Deponie versenkten Militärgeräts? Oder
Ort möglicher Gas-Pipelines von Russland nach Deutschland, die dreist das
verärgerte Polen umgehen?
Sie ist ein bisschen von allem, und zu definieren, was Ostsee-Identität
ist, scheint müßig. Denn die Gemeinsamkeiten der Anrainer sind begrenzt –
wenn man davon absieht, dass sie ähnliches Licht und verwandte Farben in
ihrer Natur erleben. Und das macht ja etwas mit Literatur, Kunst und Musik.
Vielleicht ist aus genau dieser Beobachtung die Schweriner Idee erwachsen,
eine Ostseekunst-Ausstellung zu zeigen. Norweger, Schweden, Finnen, Esten,
Letten, Litauer, Polen, Russen und Deutsche wurden da geladen – und ob es
nun am geopolitischen Kontext oder am Zufall liegt: Etliche dieser Länder
haben oder hatten über längere Zeit linksgerichtete politische Systeme,
jedoch aus verschiedenen Gründen: die Ex-Ostblock-Staaten aufgrund der
realsozialistischen Diktatur. Die Nordeuropäer waren lange aus freier
Entscheidung sozialdemokratisch.
Die ökologischen Folgen des Sowjetkommunismus spüren aber alle, und viele
Künstler fokussieren das. Da sind etwa die mit Sonartechnik aufgenommenen
Schiffswracks des Schweden Magnus Petersson auf dem Meeresgrund. Einige
wirken wie Bakterien, andere erinnern an Moorleichen in Hockerstellung. Was
für Schiffe dies einst waren, ahnt man nur; die Form deutet auf
Kriegsschiffe hin, aber genau weiß man es nicht. Diese Fotos sind
deutungsoffen und eine gute Ouvertüre zu der Schau, die anderswo weit
direkter an das Thema herangeht.
Da sind zum Beispiel die Litauer Nomeda und Gediminas Urbonas. Den
finnischen Turku-Archipel hat das Künstlerpaar in den Blick genommen, das
mit interventionistischen, fluxus-ähnlichen Projekten bekannt wurde. Der
Turku-Archipel war während des Kalten Krieges florierender
Militärstützpunkt. Nach 1989 zog das Militär ab. Etliche Inselbewohner
gingen mit – aber nicht alle: Einige Schafzüchter sowie Künstler und
Aussteiger blieben, weil sie Kulturtechniken und Identität der Inseln
erhalten wollten. Das wollten auch Nomeda und Gediminas Urbonas.
Sie reisten hin, veranstalteten Käserherstellungs-Workshops, diskutierten,
wie man die Bunker nutzen könnte. Die Wieder-Inbesitznahme des öffentlichen
Raums haben sie vorangebracht und diesen Prozess in Schwerin aufbereitet:
in einer Raumschiff-artigen Stahlkonstruktion mit Videos und
Interview-Tonspuren, die direkt von den Inseln berichten. Ein Versuch, mit
modernen Mitteln die ursprüngliche Identität der Insel zurückzuholen – wohl
wissend, dass dies trotz allem eine neue Erzählung ist.
Zeitschichten hat auch die Estin Marge Monko in ihren Film „Nora’s Sisters�…
verschachtelt. Und das geht so: Man nehme Schwarzweiß-Fotos von
Arbeiterinnen einer estnischen Textilfabrik der Sowjet-Ära, die einem
realsozialistischen Propagandaplakat entstammen könnten. Dann reihe man sie
zu einem Video und unterlege sie mit Dialogen aus Elfriede Jelineks Stück
„Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte“, einer Fortsetzung
von Henrik Ibsens Emanzipations-Drama. Und siehe da, die Zwiegespräche sind
gar nicht gestrig. Da ist Nora, die sagt, frau habe ihr Blut für die
Sozialdemokratie – sprich: den Sozialismus – gegeben und werde nach dessen
Ende doch als erste entlassen. Und da sind Noras Gefährtinnen, die finden,
Nora sei klug, aber hässlich geworden.
Von echter Emanzipation trotz Fabrikarbeit also keine Spur – eine so dichte
wie zynische Antwort auf die Frage, ob der Sozialismus das
Selbstverständnis von Frauen wirklich veränderte. Und wie viel
Gleichberechtigung übrig bleibt, sobald Arbeit knapp wird. Als Monks Video
fertig war, wurde übrigens besagte Fabrik als unrentables Relikt des
Sozialismus geschlossen.
Und wer jetzt denkt, der Lette Miks Mitrevics sei gar nicht politisch, nur
weil er echte Äste nutzt, der täuscht sich. Da ist zum Beispiel eine
Infusionsflasche, aus der es auf einen Ast und dann in einen Eimer tropft.
Ein Kreislauf ist das nicht, denn die Natur ist gestört, braucht Medizin,
weil der Regen nicht mehr aus den Wolken kommt. Was also, wenn die
Infusionsflüssigkeit versiegt? Und was, wenn sich – in diesem Fall
lettische – Identität nicht mehr über die dortige intakte Natur definieren
kann?
Fragen, die für den seit einigen Jahren in Belgien lebenden Künstler
drängend sind – und weniger altmodisch als gedacht: Denn dass wir
Westeuropäer uns mit der Zerstörung von Natur abgefunden haben, heißt
nicht, dass wir sie seelisch verkraften. Dies anzutippen ist Miks
Mitrevics’ Verdienst.
Aber die Ausstellungsmacher waren ja ausgezogen, Ostsee-Identität zu
erkunden, und da schauen sie natürlich auch aufs Meer: mit Udo Rathkes
Computer-Bildschirmen. Wasser-Szenen sind darauf zu sehen, gemacht aus
Videos und verfremdeten Gemälden. Da ist ein Fischschwarm, der auf- und
absteigt, verschwindet. Eine krankhaft rot verfärbte Quelle. Rasend
flutendes Wasser. Irre langsame Amöben, die sich treffen und wieder
trennen. Und abgesehen davon, dass die Screens aussehen wie hingestreute
Buchseiten und so das Buch als Format lebendig erscheinen lassen, erzählen
sie eine dichte, archaisch wirkende Geschichte vom Kranksein des Meeres.
Und genau dies ist das verbindende Element der Schau: das Verfließen von
Archaik und Aktualität. Der archaische Zweig hinterfragt moderne Identität.
Der Computer als Fenster in die Vergangenheit des Meeres. Moderne Künstler
als Schafzüchter. Diese Arbeiten sind so poetisch wie ambivalent, und sie
nutzen den ökologischen GAU nicht, um sich zu profilieren. Denn diese
Künstler arbeiten zwar mit der Ästhetisierung. Aber sie bleiben in ihrer
Sorge um die Welt authentisch und dezent.
11 Aug 2012
## AUTOREN
Petra Schellen
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