# taz.de -- Entscheidung in Karlsruhe: Militärischer Einsatz im Inland erlaubt | |
> Die Bundeswehr darf auch bei Einsätzen im Inland in Ausnahmefällen | |
> militärische Mittel einsetzen. Dies entschied jetzt das | |
> Bundesverfassungsgericht. | |
Bild: Bundeswehr-Soldaten üben für einen KFOR-Einsatz. | |
FREIBURG taz | Die Bundeswehr darf zur Abwehr terroristischer Angriffe auch | |
militärische Waffen wie Jagdflugzeuge einsetzen. Dies entschied jetzt der | |
Große Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Eine entsprechende | |
Grundgesetzänderung ist damit überflüssig geworden. | |
Konkret ging es um das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz, das seit 2005 den | |
Umgang mit potenziell gefährlichen Passagierflugzeugen regelt. Das Gesetz | |
erlaubte der Bundeswehr, von Terroristen entführte Jets abzudrängen und | |
notfalls abzuschießen – bevor sie als Großwaffe wie bei den Anschlägen am | |
11. 9. 2001 in den USA benutzt werden. | |
Auf Klage von FDP-Politikern wurde die Abschussregelung allerdings 2006 vom | |
Ersten Senat des BVerfG für verfassungswidrig erklärt. Sie verstoße gegen | |
die Menschenwürde. Außerdem – und darauf kam es jetzt an – verbiete das | |
Grundgesetz generell eine Amtshilfe der Bundeswehr mit militärischen | |
Waffen. Doch dann kam eine weitere Klage der Länder Bayern und Hessen. | |
Verhandelt wurde vor dem für Bund-Länder-Streitigkeiten zuständigen Zweiten | |
Senat. Die Länder monierten, dass das Luftsicherheitsgesetz der Bundeswehr | |
immer noch das Abdrängen von entführten Jets erlaube. Auch dieser Einsatz | |
der Luftwaffe sei eine unzulässige militärische Amtshilfe für die | |
eigentlich zuständigen Länder. | |
Schon in der mündlichen Verhandlung im Februar 2010 hatte sich angedeutet, | |
dass der Zweite Senat unter Andreas Voßkuhle von der Rechtsprechung des | |
Ersten Senats im Jahr 2006 abweichen will. Die von Bayern und Hessen | |
angemahnte Verfassungsänderung sei wohl überflüssig, weil das Grundgesetz | |
heute schon militärische Amtshilfe erlaube. | |
Nun musste also der Große Senat, die Vollversammlung aller 16 | |
Verfassungsrichter, schlichten. In der über 60-jährigen Geschichte des | |
Bundesverfassungsgerichts war dies erst fünfmal erforderlich. | |
Dabei hat sich im Wesentlichen der militärfreundlichere Zweite Senat | |
durchgesetzt. Nach der jetzt veröffentlichten Entscheidung erlaubt das | |
Grundgesetz schon heute den Einsatz „spezifisch militärischer Waffen“ zur | |
Abwehr schwerer Unglücksfälle. Wenn das Grundgesetz den Einsatz der | |
Bundeswehr zulasse, sei logischerweise auch der Einsatz von Panzern und | |
Jagdbombern gemeint, so die Argumentation. Die Klage von Bayern und Hessen | |
wird wohl alsbald abgewiesen werden. | |
## „Katastrophisches Ausmaß“ vorausgesetzt | |
Als Zugeständnis an den Ersten Senat hat das Karlsruher Plenum nun aber | |
mehrere Einschränkungen beschlossen. So darf nicht jede Lage, die die | |
Polizei überfordert, als „schwerer Unglücksfall“ eingestuft werden, es | |
müsse sich um einen Zwischenfall „katastrophischen Ausmaßes“ handeln. Das | |
heißt: Wenn ein Angriff auf ein Kernkraftwerk droht, darf die Bundeswehr | |
eingesetzt werden, wenn ein Anschlag auf einen Politiker droht, muss die | |
Polizei selbst eingreifen. | |
Zweitens dürfen Gefahren, die von Demonstrationen ausgehen, nicht als | |
„schwerer Unglücksfall“ eingestuft werden. Damit ist aber zunächst nur ein | |
bewaffneter Einsatz der Bundeswehr bei Demonstrationen sicher | |
ausgeschlossen. Die unbewaffnete Präsenz der Bundeswehr bei Demonstrationen | |
wie 2007 in Heiligendamm war jedoch bisher nicht als Einsatz, sondern als | |
technische Amtshilfe eingestuft worden. Das erklärt das Plenum an anderer | |
Stelle nun für unzulässig, wenn „Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- und | |
Einschüchterungspotenzial genutzt werden“. | |
Drittens müsse der schwere Unglücksfall bereits begonnen haben und der | |
Eintritt des Schadens „unmittelbar bevorstehen“ – falls nicht die | |
Bundeswehr hilft. Ein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr im Vorfeld von | |
Gefahren ist damit ausgeschlossen. Viertens dürfe nur die Bundesregierung | |
den Einsatz anordnen, ein Befehl des Verteidigungsministers genüge nicht. | |
Richter Reinhard Gaier, der dem Ersten Senat angehört, hat trotz dieser | |
Zugeständnisse ein Minderheitsvotum verfasst. Er hält daran fest, dass das | |
Grundgesetz der Bundeswehr derzeit bei Unglücksfällen den Einsatz | |
militärischer Waffen verbietet. „Wenn das Öffnen einer Tür verboten ist, | |
dann kann es nicht erlaubt sein, sie auch nur einen Spalt weit zu öffnen“, | |
schrieb Gaier. Die Einschränkungen der Mehrheit seien zudem zu unbestimmt | |
und daher praktisch nicht viel wert. | |
Der Abschuss von voll besetzten Flugzeugen ist von der neuen Entscheidung | |
nicht betroffen. Das Herunterholen eines Passagierjets bleibt weiterhin | |
verboten, da die Opferung unschuldigen Lebens gegen den Schutz der | |
Menschenwürde verstößt. Ohne Grundgesetzänderung könnte der Bundestag nun | |
aber ein Gesetz beschließen, das den Abschuss eines Flugzeuges erlaubt, in | |
dem nur Terroristen sitzen. | |
17 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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