| # taz.de -- Dauer-Camping: Gekommen, um zu bleiben | |
| > Wer in den Sommermonaten campen will, muss deshalb nicht gleich | |
| > verreisen: Der Wohnwagen der beiden Tempelhofer Karin und Harry Ibold | |
| > steht seit vierzig Jahren in Spandau. | |
| Bild: Für echte Fans: Camping-Computerspiel | |
| Um kurz vor vier fischt Harry Ibold das nächste Bier aus dem Kasten und | |
| schiebt ihn wieder an seinen Platz unter der Eckbank. Ibold lehnt sich | |
| zurück und beobachtet seine Frau, die gerade eine Telenovela verfolgt. Der | |
| Fernseher ist in die Schrankwand eingelassen, über dem Esstisch hängt eine | |
| beige Lampe, unter den Füßen der Ibolds breitet sich ein flauschiger | |
| Teppich aus. Dass ein Gebilde, das von außen eindeutig als Zelt zu | |
| identifizieren ist, von innen so nah an die typische Einrichtung eines | |
| Wohnzimmers herankommt, ist kaum zu glauben. „Der Ausbau hat ewig | |
| gedauert“, sagt Harry Ibold, einst Monteur in der Edelstahlbehandlung. Doch | |
| da Karin und er fast das ganze Jahr auf dem Campingplatz verbringen, habe | |
| sich der Aufwand gelohnt. | |
| Seit vierzig Jahren schon sind Harry und Karin Ibold Dauercamper. Ihre | |
| Wohnung in Tempelhof, sagen sie, biete ihnen einfach nicht genug Freiraum | |
| und frische Luft. Früher sind sie nur an den Wochenenden auf den Spandauer | |
| Campingplatz gefahren. Seitdem die beiden jedoch Rentner sind, verbringen | |
| sie fast ihre komplette Zeit hier in Gatow westlich der Havel. „Wir fahren | |
| eigentlich nur in unsere Wohnung, um Wäsche zu waschen und die Post zu | |
| holen“, sagt Harry Ibold. Auch im Winter seien sie regelmäßig hier: „Daf�… | |
| habe ich doch extra die Fußbodenheizung eingebaut.“ | |
| Früher hatten die Ibolds wie ein Großteil der anderen 65 Gatower | |
| Dauercamper ihren Wohnwagen samt Vorzelt auf einem Platz im Spandauer | |
| Ortsteil Haselhorst stehen. Doch als dort die Wasserstadt gebaut wurde, | |
| mussten sie weichen. Der Bezirk wies ihnen als Ausgleichfläche 2,3 Hektar | |
| zwischen Havel und General-Steinhoff-Kaserne in Gatow zu. Dort ging der | |
| Campingplatz 1999 in Betrieb. | |
| Im Gegensatz zu den aufwändig ausgebauten Unterkünften der Dauercamper ist | |
| der Platz selbst eher funktional gehalten: Ordentlich geteerte Wege | |
| unterteilen die große Rasenfläche in mehrere Abteilungen, die wiederum | |
| durch kurz gehaltene Hecken parzelliert werden. So werden die einzelnen | |
| Stellplätze voneinander abgegrenzt. Dazwischen stehen ein paar Bäume. Der | |
| vordere Teil des Platzes hin zur Straße bietet 80 Plätze für kurzfristige | |
| Besucher, im hinteren Teil Richtung Fluss residieren die Dauercamper. | |
| „Früher standen hier Lauben und ein Pferdestall“, erzählt Klaus-Eberhard | |
| Lehmann, Vorsitzender des Berliner Landesverbandes des Deutschen | |
| Camping-Clubs (DCC), der den Platz betreibt. Lehmann hat den neuen Standort | |
| geplant und gemeinsam mit den Campern, die aus Haselhorst übersiedelten, | |
| aufgebaut. | |
| Lehmann ist selbst Dauercamper, doch anders als Karin und Harry Ibold trägt | |
| er heute keine Freizeitkleidung, sondern Hemd und Stoffhose – schließlich | |
| ist er hier als Vorsitzender im Dienst. Sein eigener Wagen steht auf dem | |
| zweiten Platz des DCCs etwas weiter südlich in Kladow. „Dort ist alles ein | |
| wenig enger, weil die Parzellen auf die kleinen Wohnwagen von damals | |
| ausgerichtet wurden und nicht auf die großen Schiffe von heute“, sagt er. | |
| Zudem läge der Platz im Wald, was ihn bei Dauercampern unbeliebter mache: | |
| „Der Fernsehempfang ist unter den Bäumen einfach zu schlecht.“ | |
| Ein Leben ohne Fernseher ist für Dauercamper zwar möglich, aber sinnlos. | |
| Denn es sind nicht der Wunsch nach Purismus oder eine besondere | |
| Verbundenheit mit der Natur, die sie jedes Wochenende an den Stadtrand ins | |
| Grüne ziehen. Zwar schätzen sie die viele frische Luft und die Havel vor | |
| der Haustür – aber auf die Annehmlichkeiten des modernen Lebens wollen sie | |
| dennoch nicht verzichten. Und neben der eigenen Dusche und Klimaanlage im | |
| Wagen, einem funktionierenden Gasherd mit Ofen, Kühlschrank und | |
| Spülmaschine gehört dazu selbstverständlich auch ein Fernsehanschluss. | |
| Da so viel Equipment nicht einmal im modernen Großraumwohnwagen Platz hat, | |
| haben Harry und Karin ihre komplette Küchenzeile in das ausgebaute Vorzelt | |
| ausgelagert. Bei so viel Professionalität fragt man sich natürlich, warum | |
| sie sich nicht gleich ein kleines Haus gemauert haben. Aber das verbietet | |
| die Platzordnung: „Die Vorzelte müssen beweglich bleiben“, sagt | |
| Vorsitzender Lehmann – aus Stein und Beton darf auf dem Campingplatz nur | |
| das Waschhaus sein. | |
| Auch darüber hinaus herrschen hier, in der fast freien Natur, ganz schön | |
| viele Regeln, wie man dem Infokasten am Eingang entnehmen kann: Während der | |
| zweistündigen Mittagspause ist es verboten, Lärm zu machen und mit dem Auto | |
| über den Platz zu fahren, Gleiches gilt für die Nachtruhe zwischen 22 und 6 | |
| Uhr. Autowaschen ist auf dem Platz verboten, seine Parzelle individuell zu | |
| bepflanzen, ebenso. Nicht mal das Aufstellen von Gartenzwergen ist erlaubt. | |
| „Wir sind hier ja keine Kleingartenanlage“, meint Lehmann. Wobei er | |
| natürlich nichts gegen die Laubenpieper habe, schließlich sei er selbst | |
| einmal Vorstand einer solchen Kolonie gewesen. „Die einen kümmern sich eben | |
| um Pflanzen, die anderen ums Reisen.“ | |
| Ein Satz, der angesichts der domestizierten Vorzelte der Dauercamper wie | |
| ein Witz klingt. Doch tatsächlich haben auch Harry und Karin das Verreisen | |
| noch nicht aufgegeben – schon in der nächsten Woche planen sie einen Trip | |
| an die Müritz. Da ihr großer Wohnwagen jedoch so bequem mit dem Vorzelt | |
| verwachsen ist, haben sie sich einfach noch einen zweiten für unterwegs | |
| gekauft. Wenn sie nicht auf Reisen sind, steht der ebenfalls auf ihrem | |
| Stellplatz und dient als Gästehaus. Weil die beiden ohnehin selten in ihrer | |
| Wohnung in Tempelhof anzutreffen sind, müssen ihre Gäste eben nach Gatow | |
| kommen. „Ist für die doch auch schön hier draußen“, sagt die sonst so | |
| stille Karin. „Des Campers Fluch sind Regen und Besuch“, sagt Harry. | |
| Eine Wohnung, zwei Wohnwagen, ein Deluxe-Vorzelt, ein großer Stellplatz und | |
| dazu noch regelmäßige Reisen – dass sich die beiden Rentner aus Tempelhof | |
| das alles leisten können, liegt auch daran, dass die Parzelle im Grünen mit | |
| 640 Euro pro Jahr nicht sehr teuer ist. Möglich ist das, weil die | |
| Durchreisenden mehr Geld dalassen. Für sie wird schon nach einem Monat die | |
| Jahresgebühr der Ibolds fällig. | |
| Zwei Besucher sind gerade Walter und Karin Sdonuß aus dem Ruhrgebiet, die | |
| heute Vormittag angekommen sind, ihren Wohnwagen ausgerichtet haben und nun | |
| in Badebekleidung in der Sonne liegen. Für den Platz haben sie sich | |
| entschieden, weil er so gut angebunden ist – mit dem Bus ist man in knapp | |
| 40 Minuten am Zoo. Dass es neben den Besuchern auch Dauercamper gibt, die | |
| den Platz als ihren persönlichen Garten begreifen, findet das Paar völlig | |
| normal: „Wir hatten unseren Wagen selbst lange in Holland stehen.“ | |
| Auch Vorstand Lehmann betont, dass die Dauercamper mit Hausrecht und die | |
| ständig wechselnden Gäste gut miteinander auskämen. „Die Camper sind eine | |
| Gemeinschaft, die sich international versteht“, sagt er. Besonders gut sei | |
| die Stimmung früher immer gewesen, wenn mit der Loveparade die jungen | |
| Menschen auf dem Platz eingefallen seien. „Die haben mittags ihre Musik | |
| angemacht und sich verkleidet, das war super“, sagt er. Wenn der Nachwuchs | |
| schon mal den Weg auf den Campingplatz findet, nimmt man es mit der | |
| Mittagsruhe offenbar nicht so genau. | |
| Denn angesichts der günstigen und wesentlich zentraler gelegenen Hostels in | |
| Berlin ist das Campen sonst eher den älteren Generationen vorbehalten. Auch | |
| unter den Dauercampern machen sich langsam Nachwuchssorgen breit. „Die | |
| Anschaffung eines Wohnwagens ist eben nicht ganz billig“, meint Lehmann. | |
| Das solle einen Begeisterten allerdings nicht vom Dauercampen abhalten: | |
| „Uns ist auch willkommen, wer nur ein Iglu-Zelt hat.“ Freie Plätze gibt es | |
| genug. | |
| 20 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Juliane Wiedemeier | |
| ## TAGS | |
| Jugendarbeit | |
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