| # taz.de -- Leben ohne Polizei: "Henkel entpuppt sich als Enttäuschung" | |
| > Seit 30 Jahren ist Klaus Eisenreich (SPD) Geschäftsführer der | |
| > Gewerkschaft der Polizei (GdP). Ende des Jahres geht er in den Ruhestand. | |
| Bild: Die amtierende Polizeipräsidentin kommt besser weg als der Innensenator. | |
| taz: Herr Eisenreich, seit einem Dreivierteljahr wird Berlin von | |
| Rot-Schwarz regiert. Was für ein Zeugnis stellen Sie Innensenator Frank | |
| Henkel aus? | |
| Klaus Eisenreich: Henkel entpuppt sich zunehmend als Enttäuschung. | |
| Enttäuschung für wen? | |
| Für die Wähler des öffentlichen Dienstes. Für die Beamten war ganz | |
| entscheidend, dass Henkel eine Einkommensanpassung über die schon vom | |
| Vorgängersenat beschlossenen 2 Prozent versprochen hat, wenn die CDU in | |
| Regierungsverantwortung kommt. Das steht auch im Wahlprogramm. Polizisten | |
| in anderen Bundesländern verdienen 300 bis 900 Euro im Monat mehr als in | |
| Berlin. Jetzt ist Henkel dran, aber es passiert nichts. Das Einzige, was er | |
| macht, ist eine Tarifanpassung von 2 Prozent, die der alte Senat noch | |
| beschlossen hat. Die CDU setzt die rot-rote Politik fort. | |
| Wie meistert Henkel seine Aufgaben als Dienstherr der Polizei? | |
| In neun Monaten Amtszeit hat er es nicht geschafft, die | |
| Koalitionsvereinbarung in Hinblick auf die Kennzeichnungspflicht | |
| umzusetzen. Wie Sie wissen, haben SPD und CDU vereinbart, rollierende | |
| Nummern einzuführen. Die Polizeiführung kann erst aktiv werden, wenn Henkel | |
| die Vorgaben für die neue Geschäftsanweisung gemacht hat. Das ist ein | |
| einfacher bürokratischer Akt. Der Vorgang liegt bei seinem Staatssekretär. | |
| Keiner in der Polizei weiß, warum das so lange dauert. Dass er sein Ressort | |
| schleifen lässt, schadet Henkel. | |
| In den Umfragewerten schlägt sich das aber nicht nieder: Henkel hat | |
| Wowereit längst überholt und inszeniert sich zunehmend als | |
| Bürgermeisterkandidat. | |
| Die CDU hat bei den letzten Wahlen vor allem Stimmen im öffentlichen Dienst | |
| hinzugewonnen. Diese Wähler hat Henkel enttäuscht. Das werden die auch | |
| nicht vergessen, weil es um ihr Geld geht. | |
| Der frühere Polizeipräsident Dieter Glietsch hatte die | |
| Kennzeichnungspflicht 2011 gegen den Widerstand der Polizeigewerkschaften | |
| und Personalräte eingeführt. Haben Sie insgeheim mal gedacht: Ein Namens- | |
| oder Nummernschild an der Uniform ist gar nicht so schlecht? | |
| Nie. Meine Meinung hat sich seit 1969, als diese Diskussion das erste Mal | |
| aufkam, nie geändert. Die Mehrheit der Kollegen will das nicht. Das gilt | |
| auch für die GdP. Wir sagen, das gefährdet die Kollegen. | |
| Wie nah dran sind Sie an der Basis? | |
| Sehr nah. Ich bekomme ziemlich schnell mit, wenn es irgendwo klemmt oder | |
| brennt. | |
| Wie viele Polizeipräsidenten haben Sie in Ihren 45 Jahren Dienstjahren | |
| kommen und gehen sehen? | |
| Vier. Klaus Hübner, Georg Schertz, Hagen Saberschinsky und Dieter Glietsch. | |
| Mit Hübner und Schertz bin ich immer gut ausgekommen. Sie haben immer | |
| gegengehalten, wenn die Politik die Polizei vereinnahmen wollte. | |
| Seit 1983 sind Sie GdP-Landesgeschäftsführer. Hat es mal einen Zeitpunkt | |
| gegeben, wo Sie hinschmeißen wollten? | |
| Nein, nie. Das ist mein Traumjob. Ich mache das mit Leidenschaft. Außerdem | |
| ist das meine Lebenseinstellung – in der Politik wie in der Gewerkschaft: | |
| Ich trete nie freiwillig zurück. | |
| 1999 standen Sie heftig unter Medienbeschuss. Nach einer privaten Feier, so | |
| der damalige Vorwurf, sollen Sie einen Taxifahrer, der Sie gefahren hat, | |
| unter anderem als blödes Ostschwein beleidigt haben, weil der Mann einen | |
| Umweg gefahren ist. Auch herbeigerufene Polizisten sollen Sie beleidigt | |
| haben: Die Beamten seien viel zu klein, um Sie zu befragen. Sie sollen | |
| gedroht haben, ihnen die Beine wegzuhauen. Auch danach – nie an Rücktritt | |
| gedacht? | |
| Nein. Sie müssen auch erzählen, wie es ausgegangen ist. Der mit den | |
| Ermittlungen beauftragte Oberstaatsanwalt hat meine volle Unschuld | |
| festgestellt. Das war ein Freispruch erster Klasse. Das habe ich aber nicht | |
| veröffentlicht, weil ich die ganze Geschichte in den Medien nicht noch mal | |
| aufrühren wollte. | |
| Sie hatten aber Streit mit dem Taxifahrer? | |
| Das Entscheidende war, dass ich ihm in der Goerzallee gesagt habe, dass er | |
| falsch gefahren ist. Ich habe gesagt, das bezahle ich nicht. Das müssen wir | |
| klären. Er möchte bitte nach Zehlendorf-Mitte zum zuständigen Abschnitt | |
| fahren. Dort gab dann ein Wort das andere, aber nicht so, wie es in der | |
| Zeitung stand. | |
| Den Ausgang der Ermittlungen als Geschäftsführer auszusitzen ist schon eine | |
| Leistung. Die GdP hat Ihnen keinen Druck gemacht, den Hut zu nehmen? | |
| Es mag erstaunlich klingen, aber viele Leute haben mir geglaubt, dass die | |
| beschriebenen Äußerungen nicht mein Vokabular sind. Ich kann in der Sache | |
| heftig austeilen, aber solche diskriminierenden Äußerungen gehören nicht zu | |
| meinem Repertoire – nicht mal, wenn ich zwei Promille intus hätte. | |
| In der Öffentlichkeit sind Sie bekannt und geschätzt dafür, dass Sie kein | |
| Blatt vor den Mund nehmen. Was für ein Mensch sind Sie privat? | |
| Persönlich würde ich mich schon eher so beurteilen: harte Schale, weicher | |
| Kern. Nach außen zeig ich das natürlich nicht. | |
| Da dominiert das Raubein. | |
| In der Politik und Gewerkschaftsarbeit muss man gegenhalten. Sonst kann man | |
| den Job nicht machen. | |
| Was bekommen Sie von den Leuten zurückgespiegelt? | |
| Eine Menge Leute sagen: Mit dem arbeite ich gerne. Das betrifft nicht nur | |
| die GdP. Und dann gibt es Leute, die sagen, der ist schon zehn Jahre zu | |
| lang auf dem Posten. Man hat immer Gegner, damit muss ich in meiner | |
| Position leben. | |
| Was ist Ihnen in all den Jahren am meisten an die Nieren gegangen? | |
| Der Höhepunkt der Tiefschläge war, als der rot-rote Senat unter Führung von | |
| Klaus Wowereit 2.000 Auszubildende bei der Polizei nicht übernommen hat. | |
| Das war 2003. Ich bin ja selbst Sozialdemokrat. In den 70er und 80er Jahren | |
| konnte man sich als Gewerkschaft mit der Politik noch auseinandersetzen. | |
| Plötzlich spielten Argumente keine Rolle mehr. Danach habe ich meine | |
| politischen Aktivitäten in der SPD deutlich reduziert. Wowereit hat die | |
| politische Kultur in dieser Stadt nachhaltig negativ verändert. | |
| Die GdP ist immer gut, wenn es darum geht, Forderungen zu stellen. | |
| Darauf werden wir gerne reduziert. Dabei ist unser zentraler Kritikpunkt | |
| ein ganz anderer: Kürzungen sind dann okay, wenn die Politik auch die | |
| Verantwortung für die Konsequenzen übernimmt. Darunter verstehe ich, dem | |
| Bürger reinen Wein einzuschenken: dass er wegen der Stelleneinsparungen auf | |
| dem Bürgeramt sechs Stunden und länger warten muss; dass es anderthalb | |
| Stunden dauern kann, bis der Funkwagen kommt. Aber was tut die Politik? Man | |
| schiebt es auf die Beschäftigten, nach dem Motto: Die sind faul. Die | |
| Politik lenkt von ihren Entscheidungen ab und richtet den Zorn der | |
| Bürgerinnen und Bürger auf die öffentlich Beschäftigten. | |
| Ende des Jahres gehen Sie in den Ruhestand. Was legen Sie Ihrem Nachfolger | |
| oder Ihrer Nachfolgerin ans Herz? | |
| Die GdP muss langfristig sicherstellen, dass sie weiter wahrgenommen wird. | |
| Damit meine ich aber nicht, dass wir uns an der Deutschen | |
| Polizeigewerkschaft im Beamtenbund (DPolG) ein Beispiel nehmen sollten. | |
| Worauf wollen Sie hinaus? | |
| Bodo Pfalzgraf … | |
| … der Vorsitzende der Berliner DPolG … | |
| … hat mal aus Protest gegen die Kennzeichnungspflicht vor versammelter | |
| Presse mit einem der neuen Nummernschilder ein Eisbein durchtrennt. | |
| Pfalzgraf wollte zeigen, wie scharf das Nummernschild ist. Es ging darum, | |
| das Verletzungsrisiko aufzuzeigen. Das sind Grenzen. So was würde ich nie | |
| machen. Aber damit kommt man in die Medien. | |
| Steht bei der GdP ein Generationswechsel an? | |
| Das könnte man so sagen. Es hat mit der Wahl von Michael Purper zum | |
| Vorsitzenden der GdP Berlin und eines neuen Vorstands 2010 begonnen. Ich | |
| gehe jetzt. 2014 folgen der Vorsitzende des Gesamtpersonalrats Dropmann und | |
| dessen Stellvertreter Eberhard Schönberg. | |
| Auch an der Spitze der Polizei steht ein Wechsel an. Hat Vizepräsidentin | |
| Margarete Koppers Chancen, Polizeipräsidentin zu werden? | |
| Wenn man Innensenator Henkel Anfang der Woche im Radio gehört hat. | |
| Nach den Kundgebungen von „Pro Deutschland“ hat Henkel die muslimischen | |
| Verbände und die Polizei für ihr besonnenes Verhalten gelobt. | |
| Henkel hat ausdrücklich Frau Koppers gelobt. Und zwar so was von deutlich. | |
| Das muss er ja nicht machen. Er kann die Polizei loben. Er kann sagen, die | |
| Vorgespräche mit den muslimischen Verbänden, das hat die Polizei gut | |
| gemacht. Aber er hat ausdrücklich gesagt: unter der Führung von Frau | |
| Koppers. | |
| Wen würde die GdP denn gern als Polizeipräsidenten sehen? | |
| Die GdP hat mal den Fehler gemacht, sich auf einen Kandidaten festzulegen. | |
| Das war 2001. Wir waren der Meinung, der damalige Polizeivizepräsident Gerd | |
| Neubeck sollte Nachfolger von Hagen Saberschinsky werden. Was war das für | |
| ein Theater! Danach haben wir uns geschworen, uns im Vorfeld nie wieder zu | |
| so einer Frage zu äußern. | |
| Und wenn ich Sie nach Ihrer Privatmeinung frage? | |
| Außer Klaus Keese, Leiter der Direktion 1, kenne ich keine weiteren | |
| Kandidaten. In der Polizeiführung gibt es Beamte, die sagen, Frau Koppers | |
| mache eine knallharte Personalpolitik. Damit sind offenbar nicht alle | |
| zufrieden. Ich habe dazu eine klare Haltung: Eine Polizeivizepräsidentin | |
| ist kein Spielball ihrer Beschäftigten. Wer eine solche Riesenbehörde | |
| führen will, kann nicht jedermanns Liebling sein. | |
| Das heißt, Frau Koppers führt? | |
| Ich finde schon. Sie ist konsequent, und das finde ich gut. Das | |
| Entscheidende ist aber: Mit ihr kann man reden. Nicht mauscheln, nein. Sie | |
| setzt sich hin, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Das sagen auch die | |
| Personalräte und der Gesamtpersonalratsvorsitzende Karl-Heinz Dropmann. Im | |
| Unterschied zum früheren Polizeipräsidenten Dieter Glietsch kann man mit | |
| Frau Koppers Argumente austauschen. | |
| Wie war das bei Glietsch? | |
| Ich habe oft die Gesprächsvermerke des damaligen GdP-Landesvorsitzenden | |
| Eberhard Schönberg mit Glietsch gelesen. Ich habe oft gefragt: „Eberhard, | |
| warum triffst du dich mit dem überhaupt noch? Glietsch macht ja doch, was | |
| er will.“ Seine Meinung stand immer schon vorher fest. Er war kein Mensch | |
| des Austauschs und der Kooperation. | |
| Haben Sie schon Pläne für den Ruhestand? | |
| Ich werde Geschichte studieren. Im Wintersemester fange ich an. Registriert | |
| bin ich schon. Das wollte ich schon immer. | |
| 23 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Plutonia Plarre | |
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