Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jesus-Karikatur entfernt: Auch Atheisten haben Gefühle
> Die Kasseler Kirchen stören sich an einem Caricatura-Plakat. Der Zeichner
> Mario Lars gibt dem Druck nach und lässt es entfernen.
Bild: Hängt nicht mehr: Karikatur mit Attacke auf Marias Jungfräulichkeit.
Jetzt hängt das Plakat also nicht mehr vor der Caricatura in Kassel. Die
dortigen Passanten erblicken keinen Jesus mehr, der zerknirscht einer
Stimme aus dem Off lauscht, die „Ey … du … Ich hab deine Mutter gefickt“
erklärt.
Die Zeichnung des Künstlers Mario Lars ist nicht witzig. Die Jesusfigur mit
ihren dünnen Gliedmaßen, dem riesigen Schädel und den Bartstoppeln, das
schiefe grüne Kreuz, dazu der blaue Himmel und ein paar Wölkchen – das
alles ist von limitierter Lustigkeit. Auch die Bildidee, die
umgangssprachliche Attacke auf einen der ältesten Hüte der Kleriker, die
Jungfräulichkeit von Christus’ Mama, ist mäßig. Da verfügte das
Vatileaks-Titelbild der Titanic immerhin über eine Basispointe.
Aber das ist kein Argument gegen die Karikatur und schon gar keines für
ihre Entfernung, die nach Protesten der Kasseler Kirchen und auf Wunsch des
Künstlers geschah. Was der Humorproduzent Robert Gernhardt einst
verkündete, gilt auch hier: Bis zum Ende der Welt müssten alle denkbaren
Witze gemacht werden. Auch die schlechten. So ist also das Recht auf Witze
und Karikaturen aller Art zu verteidigen, zumal sich einzelne Fälle zu
einer Offensive der vereinten Religionen gegen Karikaturisten und andere
vernünftige Menschen auswachsen.
Selbst in Zeiten eines kulturellen Backlashs sollten atheistische
Träumereien möglich sein. Wie viel angenehmer wäre doch die Welt, wenn auf
einmal alle Kirchen verschwänden, niemand mehr verbrannt, gesteinigt,
drangsaliert und schikaniert werden kann? Wobei wir ja, zugegeben, in der
permissiven Postmoderne leben. Wenn also die Kirchen deren Credo
akzeptieren, das alle Neigungen ausgelebt werden dürfen, aber niemand, der
andere hat, dadurch zu Schaden kommen darf, können sie weiterexistieren und
ihren Glauben verkaufen – als Lebensstilgruppe unter vielen.
Doch bis dahin bleibt auch dem abgeneigten Beobachter der Bereich
unfreiwilliger Komik. Die Stadtdekanin Kassels gehört hierhin. Sie meinte,
sie habe nichts gegen Karikaturen über kirchliche Amtsträger und ihre
Organisation, es sei jedoch eine Grenze überschritten, wenn religiöse
Gefühle verletzt würden. Auch der Schriftsteller Martin Mosebach mit seiner
skurrilen Forderung nach einem Blasphemiegesetz hat sich in diesem Bereich
eingefunden.
## Schlimmeres als die Verletzung religiöser Gefühle
Aber was sind eigentlich religiöse Gefühle? Haben Atheisten keine Gefühle?
Sicher lassen sich soziologische Schwergewichte wie Emile Durkheim
herbeizitieren, die über „die elementaren Formen des religiösen Lebens“
geschrieben haben. Aber in eher kleinen Debatten kann das schwere Geschütz
in der Reserve bleiben. Wenn man bedenkt, was in der Geschichte im Namen
religiöser Gefühle alles getan wurde, gibt es Schlimmeres als die
Verletzung religiöser Gefühle.
Kirchen betreiben auch heute Politik, setzen Geld und Macht ohne Skrupel
ein. Treffen sie auf Kritik, Spott und Häme, entdecken sie ihre religiösen
Gefühle. Vielleicht steht es aber gar nicht schlecht um die Aufklärung. Die
Zeichnung von Mario Lars ist nicht witzig. Überhaupt gibt es mittlerweile
wenig wirklich gute Komik gegen die Kirche.
Kulturell betrachtet, also hier humorkritisch, ist sie wohl nicht mehr
satisfaktionsfähig. Das Titanic-Titelbild ist noch im Bereich eines guten
Lachers, aber da geht es auch um die dunklen Geschäfte des Macht- und
Geldkomplexes Vatikan, also das Unternehmen „Papst Inc.“. Die Geschichte
mit der Jungfräulichkeit hingegen ist doch historisch gesehen durch.
24 Aug 2012
## AUTOREN
Mario Scalla
## ARTIKEL ZUM THEMA
Direktorin des Busch-Museums über Karikatur: "Eine wunderbare Zeit für die Ka…
Gisela Vetter-Liebenow ist Direktorin des Wilhelm-Busch-Museums in
Hannover. "Karikaturen", sagt sie, "sind angewandte Kunst".
Die Partei demonstriert für „Titanic“: „Wir haben den Papst besiegt“
Mitglieder von „Die Partei“ und „Titanic“ protestieren vor dem Hamburger
Landgericht. Obwohl sie eigentlich schon gewonnen haben. Aber das wollten
sie sich nicht nehmen lassen.
Verfügung gegen „Titanic“-Titel: Der Papst zieht zurück
Die Auseinandersetzung zwischen dem Papst und der Titanic ist vorerst
beendet. Die Kirche zog die einstweilige Verfügung zurück. Der Prozess ist
abgesagt.
Prozess um Titanic-Cover: Eine Hexe zum Verbrennen
Am Freitag beginnt die Verhandlung über das Papst-Cover der Titanic. Um
dessen Lebenswelt abzubilden, veranstaltet das Magazin einen
Mittelaltermarkt in Hamburg.
Komische Kunst aus Kassel: Der Schubs in den Abgrund
Wichtige Instrumente der Erkenntnis: Im Kulturbahnhof Kassel lehrt die
Caricatura VI den Wert unauffälliger Stopper und des Stutzens schätzen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.