# taz.de -- Wolfgang Thierse verlässt Bundestag: Der moralische Vorzeigeostler | |
> Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse macht nach 24 Jahren im | |
> Bundestag Schluss. Der 68-Jährige wird im nächsten Jahr nicht mehr | |
> antreten. | |
Bild: Thierse 1990 – das Jahr, in dem er Abgeordneter des gesamtdeutschen Par… | |
Länger als er könnte ein Ostdeutscher gar nicht Mitglied des Bundestags | |
sein. Pünktlich am 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung, wurde | |
Wolfgang Thierse Abgeordneter des gesamtdeutschen Parlaments. Nächstes Jahr | |
im Herbst soll Schluss damit sein, Thierse kandidiert nicht mehr. | |
Er habe sich, teilte der 68-Jährige am Dienstag mit, entschieden, bei der | |
Bundestagswahl 2013 nicht wieder anzutreten. „Ich war an wichtigen | |
politischen Entscheidungen beteiligt und war, so glaube ich, eine | |
vernehmbare Stimme, insbesondere für Ostdeutschland und Berlin.“ Im Oktober | |
kommenden Jahres werde er nun siebzig, das reiche. | |
Thierse wurde 1943 in Breslau geboren. Die katholische Familie, der Vater | |
war Rechtsanwalt, flüchtete nach Thüringen, wo Sohn Wolfgang Schriftsetzer | |
wurde. Zum Studium ging er nach Berlin, er belegte Germanistik und | |
Ästhetik, fand eine Stelle im Kulturministerium der DDR. Als er nach der | |
Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 durch „unbotmäßige Reden“ auffiel, wurde | |
er entlassen, fand aber eine Nische im System: Im Literaturinstitut lebte | |
er als Wissenschaftler „eine grimmige Idylle“, wie er das später | |
formulierte. | |
Im bewegten Herbst 1989 schloss Wolfgang Thierse sich dem Neuen Forum an, | |
er war ein Verfechter der Idee von einer reformierbaren DDR. Die | |
Bürgerrechtler waren ihm aber in der Machtfrage zu unschlüssig, und | |
Wolfgang Thierse wechselte nach nur drei Monaten zur SDP, der | |
Sozialdemokratischen Partei der DDR. Im Juni 1990 wurde er | |
Parteivorsitzender und schon im September Vizevorsitzender der | |
gesamtdeutschen SPD. | |
Damit war Wolfgang Thierse im politischen Establishment angekommen, er | |
wurde eine Art moralischer Vorzeigeostler. Doch das und auch seine Stellung | |
als Parlamentspräsident konnten ihn während der CDU-Parteispendenaffäre vor | |
Angriffen der Union nicht schützen. Im Jahr 2000 verhängte er eine Strafe | |
von 7,8 Millionen Mark gegen die CDU, die staatlichen Zuschüsse ließ er um | |
41 Millionen Mark kürzen. Exkanzler Helmut Kohl nannte Thierse später den | |
„schlimmsten Präsidenten seit Hermann Göring“. | |
Wolfgang Thierse machte weiter unbeirrt seine Arbeit, seit 2005 als | |
Bundestagsvizepräsident. Nun hört der Mann mit der sonoren Stimme auf. | |
Seinen Ostberliner Wahlkreis wird nun jemand anderes zu gewinnen versuchen. | |
29 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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