# taz.de -- Precht im ZDF: Der redegewandte Dressman | |
> Am Sonntag geht der Philosoph Richard David Precht im ZDF auf Sendung. Er | |
> löst Peter Sloterdijk ab. Der Großmeister verschwindet, der Übersetzer | |
> kommt. | |
Bild: In der ersten Sendung geht es um das Bildungssystem – TV-Philosoph Rich… | |
Man kann den Wechsel von Peter Sloterdijk zu Richard David Precht im | |
Bereich der TV-Philosophie je nach Neigung als Verfallsgeschichte oder als | |
Aufklärungsfortschritt beschreiben. Auf YouTube gibt es ein Video, wo sich | |
ein Paar über diese Ablöse unterhält. Die Frau – eine über 50-Jährige in | |
„spätidealistischer Stimmung“ (so Sloterdijk über Prechts Publikum) – i… | |
erfreut darüber und sagt zu ihrem bedauernden Mann: Ich will verstehen, | |
aber du hast gehobene Ansprüche, du willst weiterhin nichts verstehen. | |
Tatsächlich ist aber weder bildungsbürgerlicher Dünkel noch | |
antiintellektuelles Ressentiment angebracht. Denn das, was bei diesem | |
Wechsel in erster Linie stattfindet, ist eine – keineswegs zufällige – | |
Figurenablöse. Die Philosophie kann im Fernsehen auf mehrere Arten präsent | |
sein: durch Inhalte, durch die Form einer Gesprächskultur und durch | |
Figuren, die sie repräsentieren. | |
Als Figur gab Peter Sloterdijk den Großmeister. Das ist eine | |
Inszenierungsform, für die allgemeine Verständlichkeit kein vorrangiges | |
Ziel ist. Die Dame aus dem Video hat aber schon recht, wenn sie von einem | |
Nichtverstehenwollen spricht: Das Publikum will den Großmeister gar nicht | |
verstehen, es will an ihn glauben. | |
Es will glauben, dass er Träger des Wissens ist. Deshalb ist das | |
Nichtverstehen Teil der Faszination dieser Figur. Dementsprechend war | |
Sloterdijks Programm nicht das Erklären, sondern die Bestätigung, dass es | |
ein anderes Wissen, eine nichtempirische Weltbetrachtung gibt, und die | |
Versicherung, dass es Leute gibt, die dieses Wissen verwalten und | |
verkörpern. | |
## Büchermenschen aus „Fahrenheit 451“ | |
In gewissem Sinn erinnerten er und sein Quartett – diese strukturell | |
männliche Runde, der auch gelegentliche Frauenbesuche nichts anhaben | |
konnten – an die Büchermenschen aus Ray Bradburys Roman „Fahrenheit 451“, | |
die sich in die Wälder zurückgezogen haben und dort Bücher memorierten, um | |
sie vor dem Vergessen zu bewahren. Über zehn Jahre hinweg haben diese | |
Büchermenschen im TV ordiniert und offensichtlich einem Publikumsbedürfnis | |
entsprochen. | |
Richard David Precht stellt einen ganz anderen Intellektuellentypus dar, | |
den Typus des Übersetzers: Das ist jener, der die Unübersehbarkeit des | |
Wissens überbrücken hilft, der Theorie in Alltagssprache übersetzt. Precht | |
hat ein pädagogisches, ein volksbildnerisches Programm. Verständlichkeit | |
ist demnach für ihn zentral. | |
Und wenn das einem Bedürfnis entsprechen sollte – das wird man ja erst an | |
den Einschaltquoten sehen, die Verkaufserfolge seiner Bücher legen das | |
jedoch nahe –, wenn dies also einem Bedürfnis entspricht, dann hat das doch | |
etwas Erfreuliches: ein Publikum, das nicht in Ehrfurcht erstarren, sondern | |
selber denken möchte, ein Publikum, das einen Dialog auf Augenhöhe der | |
Faszination von Großmeistern vorzieht. Denn dieses Gefühl gibt Precht dem | |
Publikum: auf Augenhöhe zu sein, mithalten zu können und gemeint zu sein. | |
Das entspricht den Bedürfnissen einer „Gesellschaft der Singularitäten“ | |
(Pierre Rosanvallon). Der Übersetzer stellt also Verbindlichkeit her, nicht | |
Distanz. Das ist aber zugleich sein Vorteil und sein Problem. Denn was | |
macht Precht? Er zieht die Differenz ein – die Differenz zu einer anderen | |
Wissensordnung als der alltäglichen, die Differenz zu einer anderen Sprache | |
als der Alltagssprache. | |
## Alles ist übersetzbar | |
Während Sloterdijk einen fremden Diskurs vorführt, eine andere Art, über | |
die Welt zu sprechen, bestätigt uns Precht, dass wir alles verstehen | |
können, alles übersetzbar ist, es keine Fremdheiten gibt. Während | |
Sloterdijk einen anderen Wissensort offenhält, setzt Precht die Alltagswelt | |
absolut. Das ist der Kern seiner Mainstreamkompatibilität. Prechts Problem | |
ist nicht, dass er zu wenig Niveau hat, Prechts Problem ist, dass er als | |
redegewandter „Dressman“ alle Forderungen einer medialisierten Warenwelt | |
erfüllt, dass er sie also übererfüllt. | |
Es wäre aber völlig verfehlt, daraus seine höhere TV-Kompatibilität | |
abzuleiten. Sloterdijk und Precht sind vielmehr gleichermaßen | |
fernsehtauglich - wenn auch aus gegenteiligen Gründen. Bei dem einen | |
leistet das die Eitelkeit der Gegenbehauptung, des Unzeitgemäßen, der | |
Überlegenheit des Wissenden, bei dem anderen diejenige des Informierten, | |
die Eitelkeit der Normerfüllung. | |
"Precht", So., 23.25 Uhr, ZDF | |
2 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Isolde Charim | |
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