# taz.de -- Ärzte-Honorarstreit eskaliert: Jammern und drohen | |
> Wir wollen mehr Geld, fordern die Mediziner. Ihr wollt zu viel Geld, | |
> kontern die Kassen. Jetzt wollen die Ärzte streiken – womöglich ab | |
> Dienstag. | |
Bild: Der Ton verschärft dich bei den Honorarverhandlungen der Ärzteverbände… | |
BERLIN taz | Der Streit über die Honorare für die 129.000 niedergelassenen | |
Ärzte und 21.000 Psychotherapeuten in Deutschland ist am Wochenende | |
eskaliert. Als „diffamierend und respektlos“ bezeichnete der | |
Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas | |
Köhler, die bisherigen Verhandlungsergebnisse mit dem Spitzenverband der | |
gesetzlichen Krankenkassen (GKV). | |
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, nannte die | |
Kassen gar „ein verantwortungsloses Machtkartell, das monopolartig | |
versucht, uns unter seine Knute zu zwingen“. Dies aber wollen sich die | |
Praxisärzte nicht bieten lassen: Auf einer Sondervertreterversammlung der | |
KBV am Samstag in Berlin beschlossen die Ärztefunktionäre, gegen die | |
bislang zugesagte Honorarsteigerung von 270 Millionen Euro für das kommende | |
Jahr vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zu klagen. | |
Darüber hinaus forderten sie den Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr | |
(FDP) auf, „diesen Beschluss zu beanstanden“. Den Kassen setzten die | |
Funktionäre „ein Ultimatum“: Sollten sie bis Montag bei der Vergütung nic… | |
nachbessern, dann werde es zu „Protestaktionen bisher nicht bekannten | |
Ausmaßes“ kommen, drohten sie. Bereits ab Dienstag könnten erste Praxen | |
geschlossen bleiben, Patienten wären dann gezwungen, zu anderen Ärzten oder | |
in Krankenhäuser auszuweichen. | |
Nicht die Empörung der Ärzte an sich, wohl aber ihr Zeitpunkt und vor allem | |
der martialische Ton, in dem der Unmut kundgetan wird, markieren eine neue | |
Qualität in dem seit Jahren gestörten Verhältnis zwischen KBV und GKV. Neu | |
ist, dass die niedergelassenen Ärzte nun bereits während der laufenden | |
Verhandlungen mit Gericht, Streik und Rufen nach dem Minister reagieren. | |
Bei den 270 Millionen Euro handelt es sich nämlich nur um ein Teilergebnis. | |
Dieses war am Donnerstag per Schlichterspruch in dem sogenannten | |
Erweiterten Bewertungsausschuss beschlossen worden, einem Gremium, dem | |
neben GKV- und KBV-Vertretern auch drei unparteiische Mitglieder angehören. | |
Der Ausschuss hatte darüber zu befinden, mit welchem Faktor („Punktwert“) | |
ärztliche Leistung künftig vergütet werden soll. Die KBV-Vertreter waren in | |
diesem Gremium überstimmt worden. Sie hatten den neuen Punktwert so | |
festlegen wollen, dass am Ende ein Honorarplus von 3,5 Milliarden Euro | |
herauskommen sollte. Dies begründeten sie mit der Inflation, gestiegenen | |
Kosten für Praxisräume und Personal. | |
Die Kassen ihrerseits hatten für eine Honorarsenkung um 2,2 Milliarden Euro | |
plädiert und angeführt, das Einkommen der Ärzte sei seit 2007 | |
überproportional gestiegen, verglichen mit den Kosten und der Leistung. Die | |
letztlich festgelegten 270 Millionen Euro entsprechen einem Honorarplus von | |
0,9 Prozent oder durchschnittlich 1.800 Euro mehr pro Jahr und Praxis. | |
## Alte, kranke Gesellschaft | |
In der kommenden Woche soll darüber hinaus verhandelt werden, ob und um wie | |
viel Prozent das Gesamtvolumen ärztlicher Behandlungen erhöht werden muss. | |
Hintergrund ist, dass die Gesellschaft immer älter und immer häufiger krank | |
wird. Jede Erhöhung des Gesamtvolumens („Gesamtpunktzahl“) geht finanziell | |
zu Lasten der Kassen – es profitieren jedoch die Ärzte. | |
2011 bekamen die Ärzte von den Kassen nach Angaben der GKV insgesamt 33,3 | |
Milliarden Euro. Dies entspricht einem durchschnittlichen Jahreseinkommen | |
von 134.000 Euro pro niedergelassenem Arzt. 1997 noch lag dieses | |
Durchschnittseinkommen bei 105.000 Euro. Es sei „Quatsch“, in diesem | |
Zusammenhang zu behaupten, es habe in den vergangenen Jahren keine | |
Honorarsteigerungen gegeben, sagte der GKV-Sprecher Florian Lanz am Samstag | |
im Deutschlandfunk. Rechne man die Einnahmen von Privatpatienten und | |
privaten Behandlungen noch hinzu, dann liege das durchschnittliche | |
Einkommen derzeit sogar bei 165.000 Euro. | |
Verschiedene Ärzteverbände, darunter die Hausärzte, kritisierten am | |
Wochenende, das so genannte Durchschnittseinkommen sei wenig aussagekräftig | |
und vor allem ungerecht: So gebe es Hausärzte, die mit 75.000 Euro jährlich | |
auskommen müssten, während Radiologen um die 290.000 Euro verdienten. Die | |
Aufteilung der Honorare zwischen den verschiedenen ärztlichen | |
Fachdisziplinen jedoch obliegt weder den Kassen noch dem | |
Bundesgesundheitsministerium, noch Gerichten: Hierfür sind die Ärzte allein | |
verantwortlich. | |
2 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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