# taz.de -- Die Wohnserie (VI): Fredos zukünftige Goldgrube | |
> Die Bewohner der Überseestadt wollen keine Yuppies sein, die im | |
> Luxus-Ghetto wohnen. Sie betrachten sich als "Pioniere" | |
Bild: Innen herrscht Hotelatmosphäre, außen genießen Leonard-Vincent und sei… | |
„Die Überseestadt darf keine Yuppie-Oase werden!“, las Paul-Alexander | |
Völcker im März in der Bild-Zeitung – und war sauer. Auf Bremens | |
Bürgermeister Jens Böhrnsen, der das gesagt haben soll. „Ich bin kein | |
Yuppie“, sagt Völcker, der seit Oktober 2010 in der Überseestadt lebt – | |
ganz hinten im „Landmark-Tower“. Rund 70 Menschen wohnen hier in 53 | |
Mietwohnungen, die zwischen zehn und 15 Euro pro Quadratmeter kosten – wenn | |
man die 12 bis 48 Quadratmeter großen Balkone mitzählt. Keine Yuppies, | |
sondern „Pioniere“ seien sie, sagt Völcker. Weil damals in der Gegend kaum | |
etwas anderes gestanden habe als das Hochhaus. | |
Noch heute fährt man an riesigen Brachen vorbei, bis zur | |
Konsul-Smidt-Straße 90. Ein Restaurant gibt es dort und einen Bäcker. Wer | |
etwas anderes braucht, kann es am Fuß des Towers in „Fredo’s Shop & More“ | |
versuchen. Der Kioskinhaber hat das im Sortiment, was seine Kunden | |
nachgefragt haben. Chorizo-Wurst, Fleckentferner für Möbel, Kondome, | |
Kaffeefilter, Katzenfutter, Tütensuppen und was man sonst so gebrauchen | |
kann. Das Zeitschriftenregal ist übersichtlich. „Ich bestell nur, was auch | |
gekauft wird“, erklärt der Mann hinterm Tresen, der in der Zeitung Fredo | |
heißen möchte. Die FAZ verkauft er, die Bild, einige bunte Blätter sowie | |
die Diät-Zeitschrift Eat Smarter und das Urlaubsmagazin Land und Meer mit | |
Sylt-Special zum Herausnehmen. | |
Auch seine Öffnungszeiten hat Fredo an die Nachfrage angepasst. Von 6 bis | |
17 Uhr hat er jetzt geöffnet, sonntags gar nicht und samstags nur von 7.30 | |
Uhr bis 13 Uhr. Auf Vorbestellung gibt es Brötchen, denn der Bäcker hat | |
samstags mangels Kundschaft wieder geschlossen. Auch für ihn lohne sich das | |
Geschäft nicht, sagt Fredo, dafür sei zu wenig los. | |
Der Endfünfziger ist seit 2010 Kioskbesitzer, seitdem es sein Betrieb nach | |
30 Jahren „mal ohne ihn probieren wollte“, wie er es formuliert. Jetzt | |
hofft er, dass er noch zwei Jahre in der Überseestadt durchhalten kann. | |
Dann nämlich, glaubt er, „ist das hier eine Goldgrube“. | |
Fredo ist ein Pionier, auch wenn er sich nicht so nennt und wenn es für ihn | |
eine ganz andere Bedeutung hat als für die Bewohner des Stadtteils. Die | |
Yuppies. Ausgerechnet Völcker, der keiner sein will, ist einer. Jedenfalls | |
dem Wortsinn nach: Mit 35 ist er „young“ genug, als gebürtiger Frankfurter, | |
der in München und Berlin gearbeitet hat, sehr „urban“ und „professional… | |
was sich mit „hoch qualifiziertem Berufstätigen“ übersetzen lässt – pa… | |
auch. Der Hotelfachmann und Betriebswirt führt die Geschäfte der | |
stadtteileigenen Restaurant-Kette River Hudson Gastronomie GmbH, die vier | |
Lokale in der Überseestadt betreibt, ein fünftes wird bald eröffnet. Viele | |
Gäste, hat Völcker bemerkt, kommen von weit her, aus dem Umland oder aus | |
Horn-Lehe. | |
Welche Restaurants in Bremen gut laufen hat er nach vier Jahren in der | |
Stadt herausgefunden – mithilfe von Nicole Ciara, seiner Frau. Sie ist | |
Bremerin und arbeitet seit langem in der Gastronomie, heute als Angestellte | |
ihres Mannes. Warum der sich so über Böhrnsens Yuppie-Spruch ärgerte, | |
musste er ihr erklären. Der Begriff ist so 80er, er sagte der 32-Jährigen | |
nichts. Das etwas neuere Wort „Dinky“ schon eher, aber das trifft auf das | |
Paar nicht zu. „Double Income“ ja, aber nicht „no kids“. Sie sind | |
eingezogen, als Nicole Ciara mit dem heute 16 Monate alten Leonard-Vincent | |
schwanger war. Er war der Grund, eine neue Wohnung zu suchen, die | |
Überseestadt bot sich wegen der Nähe von Arbeits- und Wohnort an. | |
Kein Problem war es, einen Platz in der privaten Kita zu bekommen, am | |
anderen Ende der zwei Kilometer langen Straße. Zwei Kleinkindgruppen gibt | |
es dort, für eine dritte fehlten die Anmeldungen. Vielleicht liegt’s an den | |
Preisen: 30 Wochenstunden kosten 355 Euro. Wenn der Arbeitgeber seinen | |
Anteil nicht übernimmt, werden weitere 330 Euro fällig. „Nicht alle | |
Eltern“, sagt eine Mitarbeiterin der Krippe, „wohnen oder arbeiten in der | |
Überseestadt.“ | |
Dabei ist Leonard-Vincent nicht das einzige Kind im Landmark-Tower. Über | |
ihm wohnt eine Zweijährige und auch in den Eigentumswohnungen in den | |
Nachbarhäusern sollen Familien leben. Doch auf der Straße ist nichts von | |
ihnen zu sehen. Hemden tragende Männer und Frauen eilen zum Mittagstisch, | |
genauso, wie es im Werbefilm für die Überseestadt zu sehen ist, der nonstop | |
in der Lobby des Towers läuft. Hier sitzt ab 20 Uhr ein Mitarbeiter eines | |
Sicherheitsdienstes. Wer einen Ausweis für die nicht öffentliche „Sky Bar“ | |
ganz oben in der 20. Etage hat, darf an ihm vorbei. | |
„Man muss sich nichts vormachen“, sagt Nicole Ciara, „wer hier in der | |
ersten Reihe am Wasser wohnt, der muss sich die Preise leisten können.“ | |
1.450 Euro zahlen die beiden für ihre 110 Quadratmeter große | |
Dreizimmer-Wohnung im vierten Stock. Für 2.300 Euro wird derzeit eine 156 | |
Quadratmeter große Wohnung neben der „Sky Bar“ angeboten. | |
Dabei ist schon der Blick aus Völckers und Ciaras Wohnung spektakulär. Wer | |
sich fragt, warum sie in diesem unfertigen, homogenen und am Reißbrett | |
entstandenen Stadtteil wohnen, bekommt die Antwort spätestens auf dem | |
Balkon, der sich an den zwei voll verglasten Außenseiten der Wohnung | |
entlangzieht. Zu Füßen liegt die Weser, auf der anderen Flussseite geht der | |
Blick über das grüne Rablinghausen, dahinter die Neustädter Häfen. | |
Bei diesem Ausblick braucht es keine Bilder mehr, fand Nicole Ciara. Die | |
Wohnung hat sie sparsam eingerichtet, auf dem Esstisch steht ein | |
Pflanzen-Arrangement. Dass hier auch ein Kind lebt, ist am Bobbycar – ein | |
Modell von BMW – zu erkennen. Und am Kinderwagen vor der Wohnung. Der und | |
die Fußmatte der Nachbarn – „Ich will zurück nach Sylt“ geben dem langen | |
dunklen Gang etwas Persönliches. „An den Luxus eines Hotels“ will der | |
Bauherr mit dem Design erinnern, heißt es auf dessen Homepage. | |
Anonym und einsam sei es im Turm aber nicht, sagt Paul-Alexander Völcker. | |
„Wir haben hier mehr Kontakt zu unseren Nachbarn als früher.“ Dennoch | |
wollen sie nicht ewig hier wohnen bleiben. Wenn das Kind größer wird, soll | |
es in einem Garten spielen. Und der, findet das Paar, muss nicht in der | |
Überseestadt liegen. | |
2 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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