# taz.de -- Jude und Palästinenser auf Reisen: „Die Tage haben uns näher ge… | |
> Die Vorsitzenden einer palästinensischen und einer jüdischen Gemeinde in | |
> Niedersachsen waren zusammen in Israel und Palästina. Die Erfahrung war | |
> für beide positiv. | |
Bild: Sind sich zwar nicht einig über die Einschätzung des Palästina-Konflik… | |
taz: Herr Fürst, Herr Shammout, hat der Angriff arabisch-stämmiger | |
Jugendlicher auf eine jüdische Tanzgruppe in Hannover vor zwei Jahren das | |
Verhältnis zwischen der jüdischen und palästinensischen Gemeinde | |
verschlechtert? | |
Michael Fürst: Nein, überhaupt nicht. Wir führen seit drei Jahren einen | |
Dialog und arbeiten an einem guten Zusammenleben. | |
Yazid Shammout: Wir tun gut daran, nicht wegen einer Einzelaktion eine | |
ganze Gemeinde an den Pranger zu stellen. Außerdem waren es keine | |
arabischen, sondern türkische Jugendliche. | |
Fürst: Was uns nach unserer Reise nach Israel viel mehr bewegt ist, dass | |
wir dort mit Sorge sehen müssen, dass es einige Übergriffe von streng | |
religiösen Juden in den besetzten Gebieten gibt, die selbstverständlich von | |
den israelischen Behörden verfolgt werden. | |
Wie stark schlagen die Wendungen des Nahostkonflikts auf Ihre beiden | |
Gemeinden durch? | |
Fürst: Wir können in Hannover nicht die Weltgeschichte bewegen. Wir können | |
nur versuchen, im Kleinen ein Miteinander zu leben. Natürlich diskutieren | |
wir gelegentlich über die Weltpolitik, aber wir versuchen, dem anderen | |
nicht die eigene Meinung aufzudrängen. | |
Haben Sie in Israel und Palästina von Ihrem Dialog erzählt? | |
Shammout: Selbstverständlich, sonst wären wir beide ja nicht auf dieser | |
Reise dabei gewesen. | |
Wie wurde darauf reagiert? | |
Fürst: Sehr positiv. | |
Shammout: Extrem positiv. | |
Fürst: Nur ein Beispiel: Es gab ein Missverständnis zwischen der | |
Staatskanzlei in Hannover und der deutschen Botschaft darüber, ob Dr. | |
Shammout bei den Treffen mit dem Staatspräsidenten Schimon Peres und dem | |
Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu dabei sein könne. Ministerpräsident | |
David McAllister (CDU) stellte seine Delegation ohne Herrn Shammout vor, | |
erwähnte aber, dass in seiner Delegation auch ein Palästinenser sei. | |
Netanjahu sagte, er hätte ihn sehr gerne bei sich in der Staatskanzlei | |
gehabt. | |
Könnte Ihr Dialog ein Modell für den Nahen Osten sein? | |
Shammout: Es wäre uns beiden genug, wenn dieses erfolgreiche Beispiel in | |
anderen Bundesländern Schule machte. | |
Fürst: Wir haben in den Gesprächen dargestellt, dass wir einander zuhören. | |
Dort wurde mehrfach gesagt, dass man derzeit nicht miteinander spreche. Wir | |
versuchten, deutlich zu machen, dass das der entscheidende Punkt ist. Wenn | |
man nicht miteinander spricht, dann bleibt es bei einem Stillstand. Und das | |
ist eine gefährliche Angelegenheit. | |
Hat sich Ihre Sicht auf den Konflikt durch den Besuch geändert? | |
Shammout: Es hat uns beide bedrückt gemacht, zu sehen, dass es auf beiden | |
Seiten keinerlei Bewegung gibt. | |
Kein Wunder: Es gibt einen konkreten Streit um Land und Macht… | |
Fürst: Es ist ein Streit um Land. Die Macht ist nicht mehr das Problem. | |
Alle unsere Gesprächspartner haben die Zwei-Staaten-Lösung als die einzig | |
mögliche gesehen. | |
Sie haben sicher gesehen, dass Israel die Zwei-Staaten-Lösung hintertreibt. | |
Fürst: Das ist eine sehr wertende Position von Ihnen. Das ist weder von | |
Netanjahu noch von Peres noch von den sieben politischen Beratern, die wir | |
getroffen haben, so gesehen worden. | |
Was haben Sie gesehen? | |
Fürst: Ich kann nicht feststellen, dass die Zwei-Staaten-Lösung von Israel | |
hintertrieben würde. Das ist einer der Punkte, bei dem Herr Shammout und | |
ich uns nicht einig werden. Israel versucht das Möglichste. Für Israel | |
steht seine Anerkennung durch die Palästinenser an erster Stelle. | |
Haben Sie die Westbank bereist? | |
Fürst: Selbstverständlich. | |
Ist Ihr Eindruck der gleiche, Herr Shammout? | |
Shammout: Da stehe ich auf einem ganz anderen Standpunkt. Die Mauer, die | |
Kontrollposten, die Expansion der Siedlungen mit allen brutalen | |
Auswirkungen für die Menschen, die dort leben, die Einschränkung von deren | |
Bewegungsfreiheit… Angesichts eines Siedlungsausbaus, wie es ihn in 30 | |
Jahren nicht gegeben hat, verstehe ich die palästinensische Position voll | |
und ganz: Worüber sollten wir verhandeln, wenn auf dem Boden Tatsachen | |
geschaffen werden? | |
Was war denn der stärkste Eindruck, den Sie mitgenommen haben? | |
Shammout: Die unwahrscheinlich große Freude von Palästinensern in Israel | |
wie auf der Westbank, dass erstmals innerhalb einer deutschen Delegation | |
ein Palästinenser als Vorsitzender der palästinensischen Gemeinde | |
teilgenommen hat. | |
Fürst: Was mich am meisten betroffen gemacht hat, war, dass von allen, zum | |
Teil mit einer gewissen Verzweiflung, gesagt wird: „Es gibt nur die | |
Zwei-Staaten-Lösung, aber wir wissen nicht, wie dahin kommen.“ | |
Dafür gibt es doch die Verträge von Oslo, die Oslo Road Map. | |
Fürst: Die gibt ja nur den Weg vor, sagt aber nicht, wie man Gespräche | |
führt. | |
Schreibt dieser Friedensplan von 1993 nicht vor, wie der zweite Staat | |
entstehen soll? | |
Shammout: Die Delegationsteilnehmer haben mir alle übereinstimmend | |
berichtet, dass die israelischen Gesprächsteilnehmer kaum von dem | |
Zwei-Staaten-Modell als Lösungsansatz gesprochen haben. Es wurde zwar | |
gesagt, dass es die Zwei-Staaten-Lösung gibt, aber das war’s und dann ging | |
man zum Iran als Thema über. Wesentliche Themen wie der Siedlungsbau werden | |
auf israelischer Seite kaum adressiert. | |
Stehen Sie sich beide nach der Reise näher oder ferner als zuvor? | |
Fürst: Die drei Tage haben uns einander näher gebracht. Das heißt aber | |
nicht, dass wir unsere Meinung über den israelisch-arabischen Konflikt ad | |
acta legen können. | |
Sind auch Emotionen hochgekommen in den paar Tagen? | |
Fürst: Es war für mich ein berührender Moment, als wir in Jaffa das Haus | |
von Dr. Shammouts Großeltern gefunden hatten. | |
Shammout: Ich kann nur unterstreichen, was Herr Fürst gesagt hat. Wir haben | |
ein sehr gutes Verhältnis zueinander, was sich sicher dadurch verbessert | |
hat, dass wir drei Tage lang nah beieinander waren. Daran ändert auch | |
nichts, dass wir in manchen Dingen unterschiedliche Ansichten haben. | |
Nichtsdestotrotz haben wir eine große Gemeinsamkeit. Auch Herr Fürst | |
erkennt an: „Es gibt Palästinenser und denen ist ein Unrecht getan worden.“ | |
3 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
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