# taz.de -- Internationales Literaturfestival: Kleine, nächtliche Ratlosigkeit | |
> Große Worte (4): Drei kluge Denker sprechen beim Literaturfestival über | |
> Emanzipation durch Intellekt - aber was meinen sie wohl damit? | |
Bild: Karge Flure in der JVA: Der Linoleumboden schluckt die Geräusche. | |
Doch, es sind wirklich kluge und auch sympathische Menschen, die da im Haus | |
der Berliner Festspiele auf der Bühne sitzen. Das muss man sich immer | |
wieder sagen, damit man nicht zu sehr verzweifelt an dieser Runde, die sich | |
am Mittwochabend zusammengefunden hat, um über „Emanzipation durch | |
Intellekt“ zu sprechen. | |
Da ist der New Yorker Mark Greif, ein junger Diagnostiker der Gegenwart mit | |
dem unaufgeregten Erscheinungsbild eines Reisebusfahrers. In Deutschland | |
ist Greif, der die Occupy-Bewegung unterstützt, mit seinen Analysen zum | |
Wesen des Hipsters zu Recht zu Ruhm gelangt. | |
Neben ihm sitzt die Philosophin Juliane Rebentisch, auf deren Gedanken man | |
sich auch freut, nachdem sie es in ihrem Buch „Kunst der Freiheit“ | |
durchgezogen hat, die Ästhetisierung von Politik zu verteidigen. Das lässt | |
sich ja nicht ohne weiteres verstehen. Und schließlich ist die britische | |
Autorin Nina Power zu Gast. Als hierzulande die Alphamädchen und Charlotte | |
Roche mit ihren Feuchtgebieten die neuen feministischen Debatten prägten, | |
veröffentlichte Power „Die eindimensionale Frau“. Darin sprach sie dieser | |
Art von Feminismus die politische Perspektive ab. | |
Bemerkenswert also, dass sich ausgerechnet bei dem Zusammentreffen dieser | |
drei Denker Witz und Gelassenheit rückstandslos auflösen. Als Rebentisch im | |
Hinblick auf Occupy kritisiert, dass die soziale Wärme innerhalb der Gruppe | |
kein politischer Wert an sich sei, geht Greif nicht darauf ein – sondern | |
gleich zur Verteidigung der Bewegung über. Die drei rauschen in einer | |
Themenachterbahn durch den Abend: von Fernsehkochshows – Greif hatte | |
darüber geschrieben – zu Postdemokratie zu Arbeitsideologie zu Tiervideos | |
im Internet. | |
Sie bleiben dabei sonderbar weit weg vom Publikum, dem durch die Art und | |
Weise des Sprechens nahegelegt wird, sich rauszuhalten: Begriffe wie das | |
„negative Kollektiv“ werden mit einer Selbstverständlichkeit verwendet, mit | |
der ein Bäcker „Brot“ sagen würde. Oft ist von einem „wir“ die Rede, … | |
sich auch nicht greifen lässt: Meinen sie sich selbst oder alle im Saal | |
oder am Ende vielleicht das geheimnisvolle negative Kollektiv? Aus der | |
Emanzipation durch Intellekt wird eine kleine, nächtliche Ratlosigkeit. | |
6 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Joanna Itzek | |
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