# taz.de -- Thomas Reiter über das freie Schweben: „Näher kann man dem All … | |
> Der Astronaut Thomas Reiter war der erste Deutsche mit einem | |
> Langzeiteinsatz im All. Er sah die Unendlichkeit und die sterbenden | |
> Regenwälder der Erde. | |
Bild: Kann sich nicht vorstellen, dass nicht irgendwo anders intelligentes Lebe… | |
taz: Herr Reiter, haben Sie im Weltall Gott gefunden? | |
Thomas Reiter: Ich bin zwar religiös, aber nicht so sehr, dass es dort eine | |
übergeordnete Rolle gespielt hätte. Ich glaube auch nicht, dass man | |
irgendwo „näher dran“ ist an Gott – egal, ob auf der Erde oder sonst wo … | |
Weltall. | |
Was haben Sie im All gesucht? | |
Erkenntnis. Damit meine ich nicht nur wissenschaftliche Forschungsaufgaben, | |
sondern auch die Art, wie man einen Aufenthalt im Weltall wahrnimmt. Denn | |
das sind Eindrücke, die wirklich überwältigend sind. Gerade, wenn man nicht | |
nur auf die Erde schaut, sondern in die entgegengesetzte Richtung und sich | |
vorstellt, irgendwann einmal dorthin zu fliegen. | |
Wollten Sie schon immer ins All? | |
Ja, es war ein ganz klassischer Kindheitstraum. Schon als kleiner Junge | |
habe ich mich für Raumfahrt interessiert. Als ich dann in der Schule in das | |
Alter kam, wo man konkreter über Berufe nachdenkt, habe ich mir überlegt, | |
dass ich etwas mit der dritten Dimension, mit der Raumfahrt zu tun haben | |
möchte. Ich habe dann bei der Bundeswehr Raumfahrttechnik studiert und bin | |
in die Fliegerei gegangen. Dass ich später mal eine Chance haben könnte, | |
ins All zu fliegen: Damit habe ich allerdings nicht gerechnet. | |
Als Kampfjet-Pilot der Bundeswehr waren Sie bis 1989 darauf geeicht, die | |
Sowjetunion als Feind zu betrachten. Später flogen Sie mit russischen | |
Kosmonauten ins All. Wie empfanden Sie das? | |
Als ich ins „Sternenstädtchen“ Swjosdny Gorodok nordöstlich von Moskau | |
ging, um für den Einsatz zu trainieren, schwang das zunächst noch mit, aber | |
das verlor sich bald. Meine Familie, meine Kollegen und ich sind dort sehr | |
herzlich aufgenommen worden und es haben sich Freundschaften ergeben, die | |
heute noch existieren. | |
Was ist das Anstrengendste an einem Einsatz im All? | |
Dass beim Start der Rakete das Dreieinhalbfache des Körpergewichts auf den | |
Körper einwirkt und bei der Landung etwas über das Vierfache. Für mich war | |
das allerdings nichts Neues, weil ich als Jetflieger teils höheren | |
Belastungen ausgesetzt war. | |
Wie groß ist die psychische Belastung? | |
Die ist schon stärker. Das Schwierigste ist, in der Enge der Raumstation zu | |
leben. Obendrein hängt das Überleben von der Funktion der vielen Systeme | |
ab, die einen umgeben. Außerdem lebt man in einer Umgebung, in der jede | |
Minute verplant ist. Und das alles für ein halbes Jahr: Das macht das Leben | |
dort oben nicht gerade zu einem Spaziergang. Im Gegenteil: Das Vakuum des | |
Weltraums ist eine zutiefst lebensfeindliche Umgebung. | |
Kann schon ein kleiner Fehlgriff lebensgefährlich sein? | |
In bestimmten Situationen ist das offensichtlich: Bei Außenbordeinsätzen | |
ist man zum Beispiel durch ein Stahlseil mit der Station verbunden. Man | |
muss also sich selbst, die Ausrüstung und die wissenschaftlichen | |
Instrumente, die man draußen installieren will, sichern. Natürlich gibt es | |
überall Redundanzen: Wenn im Raumanzug ein System ausfällt, ist das nicht | |
gleich lebensbedrohlich. Aber es ist auch nicht so wie auf der Erde, wo man | |
sagen kann: Wenn der Motor nicht anspringt, nehme ich halt die Straßenbahn. | |
Es ist also klar, dass da oben die Marge für Fehler viel geringer ist. | |
Hatten Sie nie Angst, ins All abgetrieben zu werden? | |
Eigentlich nicht. Denn man wird sehr gut vorbereitet und trainiert diese | |
Außenbordeinsätze hier auf der Erde in großen Schwimmbad-Wassertanks. Da | |
wird jeder Handgriff geübt, bis man ihn im Schlaf beherrscht, weil man da | |
oben nur sechs Stunden zur Verfügung hat, um die Außenarbeiten zu | |
erledigen. So lange reicht der Sauerstoff-Vorrat. Und man weiß natürlich, | |
dass man wegtreiben kann, wenn man sich nicht sicher festhakt. Andererseits | |
weiß auch jeder Bergsteiger, der in der Steilwand hängt: Wenn ich einen | |
Fehler mache, hat das fatale Konsequenzen. | |
Was haben Sie gefühlt, als Sie erstmals im All schwebten? | |
Das ist gar nicht leicht in Worte zu fassen. Vielleicht ein Beispiel: Beim | |
ersten Außenbordeinsatz hatte ich die Aufgabe, die Luke der Schleusenkammer | |
zu öffnen. Hierfür wird langsam der Druck gesenkt. Die Temperatur fällt und | |
es bildet sich Kondensat. Das fängt an zu sieden, und sobald die Tür auf | |
ist, wird es binnen Sekunden zu Eis. Das hatte ich beobachtet und als wir | |
die Tür öffneten, flogen diese Eiskristalle nach draußen und gingen in den | |
Sternenhimmel über. | |
Und Sie flogen mit. | |
Ich habe mich gesichert und bin „rausgegangen“. Dann fiel mein Blick auf | |
den Horizont, wo gerade die Sonne aufging, und ich konnte von außen auf die | |
Raumstation schauen. Das sind Sekunden, in denen einfach der Atem stockt. | |
Man ruft sich ins Bewusstsein, dass man sich mit etwa 27.000 | |
Stundenkilometern über die Erdoberfläche bewegt, während man in der | |
Schwerelosigkeit schwebt. Wenn man sich gelegentlich mit dem Rücken zur | |
Station dreht, also von dieser Behausung nichts mehr sieht und die | |
Kontinente vorbeiziehen sieht, stellt man fest, dass das so weit jenseits | |
unseres normalen irdischen Erfahrungshorizonts ist, dass man sich sagt: | |
Träumst du jetzt oder ist das Wirklichkeit? Näher kann man dem Weltraum ja | |
nicht sein. | |
Wie fühlt sich die Schwerelosigkeit an? | |
Der Körper passt sich überraschend schnell an. Am Anfang gibt es eine | |
Gewöhnungsphase – da verschiebt sich die Gewebeflüssigkeit in den | |
Oberkörper, sodass man ein aufgedunsenes Gesicht bekommt. Das geht aber | |
nach einiger Zeit wieder weg. Und dann genießt man das Gefühl und die | |
dritte Dimension. | |
Und wie bewegt man sich? | |
Das erfordert etwas Übung. Man braucht nämlich nur winzige Kräfte. Zu | |
Anfang versucht man zum Beispiel, sich mit Kraft abzustoßen, um von einer | |
Seite auf die andere zu kommen. Dann merkt man, dass man viel zu schnell | |
fliegt und Probleme hat, an der anderen Seite abzubremsen. | |
Woran erkennt man Oben und Unten? | |
Man merkt sich bestimmte Dinge – zum Beispiel die Farbe des Bodens oder | |
eines Kabels. Oder welche Geräte an der Wand und welche an der Decke | |
hängen. Aber Sie können eben an der Decke oder an der Wand arbeiten, das | |
macht keinen Unterschied. Das Gehirn braucht zur Orientierung ein paar | |
Tage, und dann hat man sich daran gewöhnt. | |
Glauben Sie seither an extraterrestrisches Leben? | |
Das ist für mich ganz grundsätzlich eine Frage der Statistik. Ich kann mir | |
nicht vorstellen, dass in diesem unendlichen Universum nicht irgendwo | |
anders intelligentes Leben existiert. Die Frage ist: Wird es uns gelingen, | |
den Nachweis zu erbringen, dass es zum Beispiel auf unserem Nachbarplaneten | |
Mars Leben gab oder gibt? Sonden, die um den Mars kreisen, haben lokale | |
Methan-Konzentrationen in der Atmosphäre gefunden. Dieses Phänomen könnte | |
der Hinweis auf biologische Aktivität sein. Wir wissen auch, dass auf dem | |
Mars wahrscheinlich große Ozeane existierten, und wo Wasser ist, ist | |
eigentlich auch Leben. Aber noch haben wir es nicht gefunden und das wird | |
eine große Aufgabe noch in diesem Jahrzehnt sein – auch mithilfe der | |
kürzlich gelandeten amerikanischen Curiosity-Mission und den Missionen, die | |
die europäische Raumfahrt-Agentur ESA plant: dort Mikroben oder | |
Beinahe-Mikroben zu finden. | |
Sie werden nie wieder hochfliegen. Finden Sie Ihr irdisches Leben nicht | |
schrecklich langweilig? | |
Nein. Denn auch wenn man dort oben ist und runterschaut und vom Anblick | |
unseres Planeten begeistert ist, weiß man ja, dass die Verhältnisse hier | |
nicht immer so toll sind, wie sie von dort oben erscheinen. | |
Sieht von oben wirklich alles toll aus? | |
Nein, man erkennt die Verletzlichkeit dieses Planeten sehr genau. Denn | |
natürlich hören wir Radio, sehen fern oder lesen über die Abrodung der | |
Regenwälder und die Gefährdung unserer Atmosphäre. Wenn man dort oben aber | |
mit eigenen Augen sieht, welches Ausmaß die Abholzung der Regenwälder hat, | |
dann wird einem die Dimension des Problems schlagartig klar. Hier unten | |
sitzen wir und denken, wir haben 100 Kilometer Atmosphäre über unserem | |
Kopf. Wenn man von oben runterschaut, sieht man: Es ist eine ganz dünne, | |
zarte Schicht, die sehr verletzlich erscheint. | |
Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Unterzeile wurde irrtümlich | |
behauptet, Reiter seit der erste Deutsche im All gewesen. Wir haben das | |
inzwischen korrigiert. Den Kommentarschreibern vielen Dank für den Hinweis. | |
9 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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