# taz.de -- Finanzsenators Traum: Gegenwartskunst im Dornröschenschlaf | |
> Vision war gestern: Zum 15-Jährigen beschwört die Gegenwartsgalerie der | |
> Hamburger Kunsthalle die Vergangenheit. | |
Bild: Defizitär: Die kalkweiße Galerie der Gegenwart.. | |
HAMBURG taz | Hubertus Gassner orientiert sich gern an Vorbildern. Er ist | |
seit 2006 Chef der Hamburger Kunsthalle und verbeugt sich vor denen, die | |
vor ihm kamen. Das gilt für seinen Vor-Vorgänger Werner Hofmann, und für | |
Vorgänger Uwe M. Schneede, dem die „Neuhängung“ in der Galerie der | |
Gegenwart gilt. | |
Dabei ist Schneede schuld an Gassners Dilemma. Schneede hat nämlich 1997 | |
den defizitären Kunsthallen-Erweiterungsbau „Galerie der Gegenwart“ | |
eröffnet, der jetzt 15 wird. Für den Kunstvereins-Mann Schneede war das ein | |
Raum, in dem er sich austoben konnte: Richter, Polke, Baselitz hat er | |
gehortet, hat Arbeiten von Richard Serra und Ilja Kabakov fest einbauen | |
lassen. | |
Ort des Geschehens war der weiße Kubus des Quadrat-Fetischisten Oswald | |
Mathias Ungers – wobei das Konzept auch Beschränkung bedeutet. Denn wer | |
alles im Quadrat ausrechnet, hat eben zu niedrige Fenstersimse und zu kurze | |
Treppenstufen. Andererseits kann man den Versuch, die Welt zu | |
quadratisieren, gern ironisch lesen. | |
Auch inhaltlich war das Konzept paradox: Musealisierte Gegenwartskunst – | |
das kann es schon semantisch nicht geben. Und genau deshalb versuchte | |
Schneede es: Frische Werke zu sammeln und sie, immer mal umgeräumt, zu | |
zeigen. Das ging gut, bis der erste Galeriechef Christoph Heinrich genug | |
hatte vom fehlenden Etat. Pünktlich zum Zehnjährigen ging er in die USA. | |
Und auch zum 15-Jährigen wissen die Macher nicht, ob sie lachen sollen. | |
Fürs Erste haben sie sich dafür entschieden und sich ein Symposion und das | |
„Open Museum“-Projekt geleistet. Doch das kaschiert nur notdürftig die | |
Misere der Galerie, die längst zum Prügelknaben wurde. | |
Denn nicht nur, dass Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) 2008 | |
begann, das Haus der Misswirtschaft zu zeihen. Sie brachte | |
Schneede-Nachfolger Hubertus Gassner auch dazu, für eine Entschuldung | |
„dankbar“ zu sein und die Galerie elf Monate lang – kostengünstig – ch… | |
zu lassen. | |
Auch ignorierte die Politik, dass das Defizit ein Geburtsfehler war: „Wir | |
hatten die Betriebskosten 1997 solide kalkuliert,“ erinnert sich Schneede. | |
„Dann hat die Bürgerschaft plötzlich beschlossen, nur die Hälfte zu | |
ersetzen.“ Was hieß, dass der Stiftungsrat die Kunsthalle jeweils ersuchte, | |
die Zahlen so zu verändern, dass man sie absegnen konnte. „Da hat man dann | |
mit höheren Einnahmeerwartungen gearbeitet“, sagt Schneede. | |
Senatorin von Welck wollte aber 2009 vom Defizit nichts hören und ließ | |
errechnen, dass das Haus „auskömmlich“ finanziert sei, solange es keine | |
Ausstellungen zeige. | |
Ein höhnisches Postulat, das nur getoppt wurde vom Diskurs des Jahres 2010: | |
Die Galerie der Gegenwart müsse wegen der Sanierung der Brandschutzklappen | |
zeitweise geschlossen werden, verkündete die Senatorin. Kunsthallen-Chef | |
Gassner sagte, das stimme nicht, es sei eine Sparmaßnahme. Dafür bezog er | |
Prügel; seither steht in seinem Vertrag, dass sein Gehalt an die Schwarze | |
Null gekoppelt ist. Auch darf er nicht mehr „strukturelles Defizit“ sagen. | |
Das tut er auch nicht, überhaupt wirkt er seither gezähmt – wie die Spitze | |
der Gegenwartsgalerie. Denn die hat keinen starken Chef mehr, sondern eine | |
Doppelspitze mit eingebautem Schmusekurs. So überraschte es nicht, dass | |
Heinrichs Nachfolgerin Sabrina van der Ley nach zwei Jahren ins reiche Oslo | |
floh. | |
Seit März 2012 leitet Brigitte Kölle gemeinsam mit Kuratorin Petra Roettig | |
das Gegenwartshaus. Die beiden sind brav und helfen, jährlich 800.000 Euro | |
einzusparen. Das, sagt Kölle, sei der Rest des um 200.000 Euro | |
heruntergerechneten strukturellen Defizits: Auch die aktuelle | |
Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) lässt wurschteln. | |
Geld für Ausstellungen hat das Haus nämlich nicht: Das muss akquiriert | |
werden, bevor die Planungen beginnen. „Da die aber jahrelangen Vorlauf | |
erfordern, arbeiten wir parallel“, sagt Kölle. Aber es sei „enorm | |
belastend, mit Leihgebern zu sprechen und ihnen zu verschweigen, dass die | |
Ausstellung noch nicht finanziert ist“. | |
Wie hoch der Ausstellungsetat der Galerie einst war? Kölle kann es nicht | |
rekonstruieren und sagt nur: „Ich habe hier viele Möglichkeiten.“ Aber die | |
sind kleiner geworden, und so zeigte man inzwischen allerlei: Die | |
Erwerbungen des Ex-Kunsthallen-Chefs Werner Hofmann, Gemälde des | |
Goethe-Zeitgenossen Jakob Philipp Hackert. | |
Sabrina van der Ley brachte dann schnell den Documenta-Künstler Pedro | |
Cabrita Reis und den Wandmaler David Tremlett, bevor sie aufgab; Kölle und | |
Roettig haben Louise Bourgeois gezeigt. Das aber ging nur, weil der | |
Kunsthallen-Freundeskreis kurzfristig viel Geld gab. Das kann er nicht | |
jedes Mal. | |
Von einem Scheitern seiner Vision will Galeriegründer Schneede indes nicht | |
sprechen. „Nachfolger machen Dinge stets anders“, sagt er. Und die Sammlung | |
sei ja gut. Allerdings lag sie zuletzt meist im Depot. Und als solches | |
präsentiert sich derzeit bizarrerweise die Gegenwartsgalerie. Zur | |
„Neuhängung“ hat man nämlich mit Richter, Polke und Baselitz die | |
Schneede-Favoriten hervorgeholt. | |
Warum so eine visionslose Hängung zum Jubiläum? „In Schneedes Ära waren die | |
meisten Ankäufe möglich“, sagt Kölle. Und wie zur Bestätigung dieses | |
retrospektiven Blicks hat Kölle derzeit die Hamburger Künstlergruppe | |
„Baltic Raw“ auf den Sockel vor der Galerie geholt. Diese Künstler basteln | |
seit Jahren Kunst- und Performance-Räume aus Holzmodulen. „Dass diese | |
Künstler sich nicht mehr im Hinterhof verkriechen, ist eine Revolution“ | |
sagt Kölle. „Sie ändern den Blick auf den öffentlichen Raum. Das ist sehr | |
politisch.“ | |
Dem steht zwar entgegen, dass der beteiligte Künstler Berndt Jasper sagt, | |
er sei unpolitisch, und auch das Projektende klingt zahm. „Umschichten“ | |
heißt es, und es bedeutet, dass der Bau Ende September zerlegt und in den | |
Hof der Gegenwartsgalerie gebracht wird. Nicht für immer, sondern bis zur | |
nächsten Aktion oder für bessere Zeiten. Kunst-Module im Dornröschenschlaf: | |
Finanzsenators Traum. | |
12 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
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Kunstverein Hamburg | |
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