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# taz.de -- Piraten im Umfragetief: Von der Realität eingeholt
> Ein Jahr nach dem Wahlerfolg von Berlin ist die Euphorie um die Piraten
> längst verflogen. Das kann Vor- oder auch Nachteile für die Partei haben.
Bild: Anders als die Wähler: Abgeordneter der Piraten Gerwald Claus-Brunner.
BERLIN dapd | Den Piraten geht es nicht gut. Von ihrem Umfragehoch im
Frühjahr sind sie deutlich abgesackt. In die Schlagzeilen geraten sie meist
durch Personalquerelen und Kompetenzwirrwarr. In der Parteikasse fehlt
weiterhin das Geld. Ein Jahr nach dem spektakulären Wahlerfolg von Berlin
sind die Piraten in vieler Hinsicht von der Realität eingeholt worden. Die
Partei läuft in mehrfacher Hinsicht Gefahr, sich selbst zu zerlegen.
Obwohl die Piraten inzwischen in drei weiteren Landesparlamenten sitzen,
ist der Einzug in den Bundestag im kommenden Jahr alles andere als sicher.
„Mit ihrer Kernwählerschaft kommen die Piraten nicht in den Bundestag“,
sagt der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer. Er schätzt deren
Anteil auf bis zu 2,5 Prozent, was in etwa dem Bundestagswahlergebnis von
2009 (2,0 Prozent) entspricht.
Um den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen, müssten die Piraten
auch einen großen Teil der sogenannten Randwähler bei der Stange halten,
sagt Niedermayer. Er lehnt das geläufige Etikett „Protestwähler“ ab, weil
dieser Protest inhaltlich bestimmt sei. Das Versprechen von Transparenz und
Partizipation habe den Piraten die Stimmen gebracht. „Diese Wähler sind zum
Teil enttäuscht“, sagt Niedermayer, weil sich nun die Diskrepanz zwischen
dem Anspruch der Piraten und den Möglichkeiten zeige, dies in einer
parlamentarischen Demokratie umzusetzen. „Die Piraten müssten endlich
versuchen, für sich selbst klar zu definieren, was sie denn unter
Transparenz in der Politik verstehen“, fordert der Parteienforscher.
## Die FDP würde sich freuen
Meinungsforscher Peter Matuschek vom Forsa-Institut sieht noch einen
anderen Grund für die sinkenden Umfragewerte. Es gebe eine Diskrepanz
zwischen den recht normalen Wählern und dem exotischen Führungspersonal der
Piraten. Matuschek verweist auf den Politischen Geschäftsführer Johannes
Ponader, der zunächst von Hartz IV gelebt und später angekündigt hatte,
seine Lebensunterhalt über Spenden finanzieren zu wollen. Das könnten viele
Bürger aus dem eher konservativen Spektrum nicht nachvollziehen.
Dennoch warnt Matuschek davor, die Piraten schon abzuschreiben, auch wenn
es einen „Anflug von Entzauberung“ gebe. Schließlich seien Umfragewerte von
sechs bis sieben Prozent immer noch recht hoch für die Newcomer. Die FDP
würde sich in der Tat darüber freuen.
Wie sehr der Hype um die Partei abgenommen hat, zeigen auch die Gästelisten
der öffentlich-rechtlichen Talkshows. In den Politik-Runden bei Frank
Plasberg, Anne Will und Maybrit Illner tauchen die Piraten seit Mai nicht
mehr auf. Statt dessen sind sie Dauergast beim sogenannten Soft-Talker
Markus Lanz geworden, vor allem Ponader.
Welches Image die Partei in der Bevölkerung besitzt, zeigt auch ein Anruf
in der Berliner Geschäftsstelle der Piraten. Eine Mutter fragt an, ob ihr
Sohn ein Praktikum in dem Büro machen könnte. Auf die Frage des
Geschäftsstellenmitarbeiters, was ihn dafür qualifiziere, antwortet die
Frau: „Er ist auf einem Hochbegabteninternat, ist hyperaktiv und will
Berufspolitiker werden.“ „Dann soll er doch zur FDP gehen“, blafft der
Mitarbeiter zurück.
Dabei kommt das Anliegen der Mutter nicht von ungefähr. Vermutlich hat sie
nur den aktuellen Spiegel-Artikel über den Berliner Abgeordneten
Christopher Lauer gelesen. Lauer, der an ADHS leidet, stößt mit seinen
Alleingängen der Basis regelmäßig vor den Kopf. Aber ihm ist die
Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wichtiger als der Zuspruch der
Mitglieder. Für Parteienforscher Niedermayer könnte dieser Widerstand der
Piratenbasis gegen prominentes Führungspersonal eine Hürde für den
Bundestagseinzug sein: „Gerade in der heißen Phase des Wahlkampfes wird in
den Medien sehr viel über die Personen berichtet. Und wenn da die Piraten
als einzige gar nicht mehr vorkommen, ist es halt gefährlich.“
## Noch nicht für den Bundestag gesetzt
Bei den Piraten nimmt man den Rückgang in der Wählergunst betont gelassen.
„Der Hype ist etwas abgeflaut. Jetzt können wir wieder ruhig arbeiten“,
sagte Ponader jüngst der Süddeutschen Zeitung. Nach Angaben von
Pressesprecherin Anita Möllering plant die Partei, „den Wahlkampf im Herbst
inhaltlich vorzubereiten und dann im Dezember nach der
Mitgliederversammlung in die Offensive zu gehen“.
Für Wahlkampfkoordinator Sebastian Nerz ist der Einzug der Piraten in den
Bundestag jedoch kein Selbstläufer. „Ich sehe uns noch nicht für den
Bundestag gesetzt. Das wird ein harter Wahlkampf werden“, sagte Nerz. Die
größte Gefahr für die Piraten sieht der Ex-Parteichef in Personaldebatten
und internem Dauerstreit. „Wir können es uns selbst kaputt machen“, warnt
Nerz seine Partei. Möglicherweise verzichten die Piraten daher wegen des
Wahlkampfs auf die turnusgemäße Neuwahl ihrer Parteispitze im kommenden
Frühjahr.
Wo es für die Piraten hingeht, das werden auch die Landtagswahlen Ende
Januar in Niedersachsen entscheiden. Parteienforscher Niedermayer: „Wenn
sie dann deutlich einbrechen, dann wird der Tenor der Berichterstattung für
das Bundestagswahljahr sein: Die sind weg vom Fenster.“
14 Sep 2012
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