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# taz.de -- Montagsinterview mit Achim und Helgard Kühn: "Unendliche Möglichk…
> Achim und Helgard Kühn führen seit fast 50 Jahren eine Atelierwerkstatt
> für Kunstschmiede. Nun soll auf dem Gelände in Grünau ein Museum mit
> Skulpturenpark, Kleinkunstbühne und Café entstehen.
Bild: "Ich mach das Geschäft, er macht die Kunst": Achim und Helgard Kühn.
taz: Frau Kühn, die erste Person, die uns hier auf dem Gelände Ihrer
Schmiede in Grünau begrüßt hat, war ein junger Japaner mit Tirolerhut,
Vollbart und einem Hammer in der Hand.
Helgard Kühn: Toshi, unser neuer Meisterschüler. Mein Mann ist ja
Kunstschmied und Architekt, aber auch Bildhauer. Wir hatten schon viele
japanische Kunststudenten hier. Die Bücher von Fritz Kühn werden in Japan
als Lehrbücher benutzt. Deshalb wollen viele angehende Künstler zu uns nach
Grünau, in die Werkstatt.
Herr Kühn, Sie haben eine echte Berliner Traditionsschmiede geerbt: Ihr
Großvater und Ihr Vater waren Kunstschmiede. Nun sind die Japaner
begeistert – aber in Deutschland wurde Ihr Werk und das Ihres Vaters Fritz
Kühn nach der Wende als Ostkunst abqualifiziert.
Achim Kühn: Da hatten wir ganz schön dran zu knabbern.
Helgard Kühn: Wir haben mehr als nur geknabbert. Seit der Wende sind 57
große Auftragswerke von Fritz Kühn und von Achim vernichtet worden. Ich
nenne das einen kulturellen Aderlass.
Welche Werke wurden zum Beispiel zerstört?
HK: Fritz Kühn war sehr stolz, dass er 1962 gefragt wurde, Stadtmöbel zu
entwerfen. Unter den Linden standen plötzlich diese Fritz-Kühn-Bänke mit
geschmiedetem Gestell und mit weiß gestrichenen Holzlatten als Sitzfläche.
Sie sahen fast aus wie Bauhaus-Bänke. Und sie gehörten 40 Jahre zur Stadt!
Gebäude werden unter Denkmalschutz gestellt, aber Skulpturen und solche
künstlerisch gestalteten Stadtmöbel werden einfach entsorgt wie Freiwild.
Wurden Sie informiert über diese Vernichtungsaktionen?
HK: Wir waren in der „Erbse DDR“ ja bekannt wie ein bunter Hund. Wir
kriegen noch heute solche Anrufe. Selbst in den Kirchen wird vernichtet,
wenn man nicht aufpasst. Ein Kirchenkreuz kann entweiht werden und dann ist
es nur noch: Schrott. Fritz Kühn hat 1961 für den evangelischen Kirchentag
ein riesiges Kreuz geschmiedet, für die im Krieg ausgebrannte Ruine der
Parochialkirche in Mitte. Leute aus der Gemeinde haben angerufen: Die sägen
am Kreuz rum – könnt ihr nicht was machen? Ich bin zum Pfarrer, und der hat
mich rausgeschmissen. Das ist Schrott und basta. Das Kreuz wurde dennoch
gerettet. Der Ältestenrat der Kirche hat es wieder aufhängen lassen.
Herr Kühn, einigen Ihrer Werke sind auch seltsame Dinge passiert. Wurde der
„Liebesbrunnen“ vor dem Bahnhof Friedrichstraße nicht geklaut?
HK: Sie meinen „Die kleine Liebessäule“. Die war plötzlich aus dem Brunnen
verschwunden, ja. Die Baufirma durfte auf dem Platz vor dem Bahnhof die
ganzen wunderschönen Linden fällen und dann hat sie die geschmiedete
Skulptur gleich mit umgehauen.
AK: Die war ummantelt mit Kupferhaut. Das ist teuer. Wer weiß, wo das
Kupfer heute ist. Aber, was soll’s – ich durfte den Brunnen noch mal
machen.
HK: Nach vielen traurigen Briefen. Die Säule hat ja Geschichte. Sie war
früher der Treffpunkt von vielen West-Ost-Leuten. Die wollten sich nicht im
Bahnhof treffen, wegen all der Horch-und-guck-Geschichten. Sie sind lieber
rausgegangen in die Parkanlage, zu dieser Liebessäule.
Wo haben Sie beide sich kennen gelernt?
AK: Das war 1965 in Leipzig auf der Messe. Im Grassi-Museum, bei der
Ausstellung des Kunsthandwerks.
HK: Ich war Jung-Gesellin bei einer Silberschmiedin, sie hat mich
mitgenommen zur Messe. Die jüngeren Aussteller trafen sich immer in einem
bestimmten Restaurant.
AK: Das hieß „Intermezzo“. Ich hab damals Architektur in Weimar studiert
und ein paar Monate später wollte ich Urlaub in Budapest machen. Ich hatte
noch einen Platz im Auto frei und dann dachte ich: jetzt wird es aber
langsam Zeit …
HK: Das ist jetzt aber privat …
AK: … der Sommer kommt, hab ich gedacht, da war doch was … und dann hab ich
sie eben angerufen.
Gemeinsam haben Sie beide dann von einem Tag auf den andern die
Atelierwerkstatt übernommen, als Ihr Vater plötzlich verstarb. Wie war Ihr
Vater als Lehrer?
AK: Ganz anders als ich. Autoritärer. Nicht immer freundlich. Aus meiner
Ausbildung hat er sich rausgehalten. Das war ja kein
Vater-Sohn-Unternehmen, sondern ein Betrieb mit vielen Mitarbeitern und
Lehrausbildung.
Also waren Sie frei in Ihrer Ausbildung?
AK: Frei, na ja … Ich kann mich an eine Sache erinnern, als ich hier
angefangen habe …
HK: Mit vierzehn.
AK: Ein Mitarbeiter hat mich gleich rangenommen zum Schmieden, und Vater
hat ihn unheimlich zusammengestaucht. Wie er dazu komme, gleich so eine
qualifizierte Sache zu zeigen, am ersten Tag! Man fängt klein an! So ist
der erste Schmiede-Lehrplan in der DDR entstanden. Den hat Vater
ausgearbeitet. Das sind vier Blätter. Es gab einen Schlosser-Lehrplan und
drei Schmiede-Lehrpläne.
Sie haben also als Schlosser angefangen?
AK: Man lernt das Feilen und Nieten. Jemand kloppt einen Würfel aus
Vierkantmaterial ab, und den musste man zu einem exakten Würfel feilen. Das
Resultat war – man hat drei Wochen gefeilt.
HK: Sträflingsarbeit war das, ich musste das auch machen.
AK: Man kriegt das nie zustande, weil immer was schief ist. Zwei Seiten
gehen, die dritte Seite ist immer irgendwie krumm gewesen. Das ist
natürlich stinklangweilig. Aber so fängt man an. Der Lehrberuf war
Bauschlosser. Kunstschmied gab es nicht als Ausbildungsberuf. Gibt es heute
noch nicht.
Lassen Sie Ihre Lehrlinge auch Wochen lang feilen?
AK: Den blöden Würfel habe ich ganz weggelassen. Das Feilen kann man auch
anders lernen. Eigentlich will man erst mal schmieden, ran ans Feuer. Das
Handwerkliche mitkriegen, ohne zu denken: Jetzt muss eine bestimmte Form
dabei rauskommen, eine Zeit eingehalten werden, ein bestimmtes Maß. So
macht das Spaß. Das andere kommt später.
Sie klingen wie ein Montessori-Schmied. Mit Ihrem Vater haben Sie also gar
nicht zusammengearbeitet?
AK: Mein Vater hat seine Gesellen in der Werkstatt gehabt und er war der
Chef an seinem Tisch im Büro. Er hat delegiert und alles bestimmt. Zettel
geschrieben.
Und Sie haben seine Entwürfe mit ausgeführt?
AK: Hmm. Wir waren sehr verschieden. Mein Vater hat die Ansicht vertreten,
dass jedes Ding eine Aufgabe erfüllen, einen Sinn haben muss. Die Funktion
stand im Vordergrund. Dinge, die keinen Zweck hatten, im Sinne einer
abstrakten Plastik, diese Art zu arbeiten habe ich in die Werkstatt
eingebracht.
Haben Sie einen Lieblingskünstler?
AK: Ich habe eine große Zuneigung zu Jean Tinguely, dem Schweizer
Metallbildhauer, der mit Niki de Saint Phalle verheiratet war. Er war ein
Künstler, der die Dinge sehr humorvoll gesehen hat. Das war eine Art, die
ich nicht kannte, dieses Humorvolle, Lustige, Leichte, Spontane.
Lustig und leicht war’s mit Ihrem Vater eher nicht?
AK: Nee! Tinguely hat mit Bewegung gearbeitet, und mein Vater hat Künstler,
die zum Beispiel Mobiles mit Motorenantrieb entwickelten, sehr kritisch
gesehen. Bei ihm sollte sich nichts bewegen. Der Mensch hat sich zu
bewegen.
Sie selbst bauen oft bewegliche Objekte.
AK: Das ist ein Gegenpol zum Schaffen meines Vaters: mobile Sachen zu
machen. Stahl ist ein Material mit unendlichen Möglichkeiten: du kannst
schweißen, du kannst schmieden, Blech und massiven Stahl kombinieren, es
kann sich bewegen, es kann tönen, rosten und Farbe annehmen. Alles geht mit
Stahl. Stahl ist mein Material.
Sie haben auch eine Serie von Büchern geschmiedet: „Bücher aus dem Feuer“.
Da stutzt man und denkt spontan an die Bücherverbrennung.
AK: Ja, die war mein Blickpunkt. Im Gegensatz dazu sollten jetzt in Berlin
Bücher im Feuer entstehen. Geschmiedete Bücher. Meine Gedankenwelt beruht
auf der Verkörperung von Gegensätzen, von Kontrasten, die ich gestalten
kann, so dass sie wieder verschmelzen, in welcher Form auch immer. Der
Gegensatz zwischen einem Block Stahl und einem Buch, das aus feinsten
Papierseiten besteht, das hat mich interessiert. Wenn ich ’ne alte Bibel
sehe – als Buch ist das auch ein massiver Block.
Sind Sie eigentlich gläubig?
AK: Was man so unter gläubig versteht? Nicht so sehr.
HK: Na ja, wir sind schon beide evangelische Christen. Fritz Kühn war auch
evangelisch. Nur alle keine Kirchgänger …
Hatten Sie Schwierigkeiten in der DDR wegen Ihrer offiziellen
Kirchenzugehörigkeit?
HK: Nein. Wir nicht. Fritz Kühn auch nicht.
Herr Kühn, was möchten Sie in diesem Leben unbedingt noch bauen oder
entwerfen?
AK: Manchmal denk ich, nu reicht’s. Aber … es gibt eine Idee für eine
Sonnenuhr. Auf der Brücke von Frankfurt (Oder) nach Polen rüber. Da, wo
Deutschland und Polen sich berühren, da könnte die Sonnenuhr stehen.
Mittags um 12 Uhr zeigt sie genau auf diese definierte Linie. Vormittags
deutsche Zeit – und ab 12 Uhr polnische Zeit.
Frau Kühn, Sie waren Goldschmiedin und führen diesen Betrieb seit 45 Jahren
als Geschäftsfrau. War es leicht für Sie, in die zweite Reihe zu gehen?
HK: Ich bin nicht in der zweiten Reihe. Wäre ich bei meinem Schmuck
geblieben, da wäre ich in der zweiten Reihe gelandet. Kleinkram! Hier
wurden die großen Sachen gemacht. Ich habe schnell begriffen, dass jemand
das Werk von Fritz Kühn bewahren muss. Mein Vater hat mir in der Schulzeit
beigebracht: die Sprache der Politik, die lerne auswendig wie Vokabeln. Je
besser man die Vokabeln der offiziellen Sprache des Sozialismus
beherrschte, desto besser konnte man seine eigenen Gedanken behalten. Man
holte sich einfach die gute Zensur im Fach Politik, die man brauchte, um
weiterzukommen. Das kann auch Spaß machen.
Hm. Ihr Vater war Zoologe, stimmt’s?
HK: Er hat an der Universität Halle die Biologen ausgebildet. Dort habe ich
mir als Kind das Sächseln angewöhnt, das fand mein Vater furchtbar. Später,
in Potsdam, wurde ich von den anderen Kindern geschnitten, wegen der
Aussprache. Da hab ich mich an den See gesetzt und mir Steine in den Mund
gesteckt, weil ich irgendwo gelesen hatte, dass Cäsar das so gemacht hat,
um seine Artikulation zu optimieren. So habe ich mir das Sächseln ganz
schnell wieder abgewöhnt.
Das Museum für Fritz Kühn, das jetzt neben dem Schmiedegelände entstehen
soll, ist Ihr Lebenswerk. Es klingt, als hätten Sie Fritz Kühn sehr
verehrt. Gab es Ähnlichkeiten zwischen ihm und Ihrem Vater?
HK: Ich habe die Haltung meiner Eltern hier im Hause wieder gefunden, ja.
Wie sie hatte auch Fritz Kühn seine politische Vokabel. In Kühns Fall war
es die Naturfotografie. Wenn er die vorgelegt hat, konnten sie nicht mehr
sagen: Sie arbeiten abstrakt! Verboten! Er hat die Sprache dieser Leute
aufgefangen und gesagt: Sehen Sie, ich bin kein Abstrakter, ich bilde die
Natur nach. Das konnten sie verstehen. Für ihn war das eine Metapher.
Die Arbeitsgemeinschaft mit Ihrem Mann funktioniert seit fast 50 Jahren.
Erfolgreich. Wie haben Sie das geschafft?
HK: Wir haben damals beschlossen: Ich mach das Geschäft, und er macht die
Kunst. Das war für mich eine perfekte Situation.
Seit der Wende kämpfen Sie mit gesamtdeutschen Staatsvokabeln um das
Fritz-Kühn-Museum.
HK: Nach langen, langen Vorverhandlungen hat unser Museumsverein am 4.
September die Anträge für die öffentlichen Fördermittel eingereicht. Wir
haben seit kurzem prominente Unterstützung durch den Senat und von der
Kunsthistorikerin Simone Tippach-Schneider. Sie ist beteiligt an der
umfangreichen Kunstsammlung aus den neuen Bundesländern, die 2014 auf
Schloss Biesdorf eröffnet werden soll. Sie hat gesehen, dass wir hier auf
einem Schatz sitzen. Wir haben ja seit 1967 nichts verkauft, damit das Werk
komplett erhalten bleibt.
Also gab es schon 1967 den Plan, hier ein Museum zu eröffnen?
HK: Ich hatte das Museum schon.
Bitte?
HK: Der Magistrat von Berlin hat mir 1986 zugesichert: Das Museum soll
kommen, in Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule Weißensee. Der Baubeginn
war für 1991 festgelegt. Das war der neue Fünf-Jahres-Plan. Und dann kam
die Wende.
Der Fall der Mauer 1989 hat Ihren Fünf-Jahres-Plan für das Museum
mitgerissen?
HK: Kultursenator Ulrich Roloff-Momin hat das ganze Projekt auf Eis gelegt.
1991 ist er ganz großzügig mal hier rausgekommen. Wir haben ihm das Werk
und den Museumsplan im Detail vorgestellt. Da habe ich jedoch begriffen,
was ich später immer wieder gemerkt habe: Viele Leute in den alten
Bundesländern haben überhaupt keine Vorstellung von dem Leben in der DDR.
Wenn sie unser großes Gebäude hier sehen, das schöne Grundstück und hören,
dass wir hier immer selbstständig waren, dann ist für sie klar, wir müssen
„Parteiniks“ gewesen sein. Waren wir aber nicht! Und Fritz Kühn sowieso
nicht. Wir haben in Ost und West gearbeitet. Fritz Kühn war in der
Bundesrepublik in Architektenkreisen eine bedeutende Persönlichkeit und bei
den Ost-Architekten auch, ohne diese politische Schiene. Dass Erfolg in der
DDR nur möglich war, wenn man sich der Partei angebiedert hat, das stimmt
nicht.
AK: Ich hab das immer genossen, wenn jemand von den Staatlichen mit einem
Auftrag kam – und dann saß hier schon jemand von der Kirche. Die haben ja
sonst nicht miteinander geredet.
HK: Wir haben viel Aufklärungsarbeit geleistet in den letzten zehn Jahren.
Und inzwischen arbeitet die Zeit für uns. Wir sind nah dran an Schönefeld.
Tausende von Leuten werden hierher ziehen für den neuen Flughafen. Die
möchten auch kulturelle Angebote. Ich hoffe, dass wir den Grundstein für
das Museum im Februar 2014 legen. Ende 2014 soll die Eröffnung sein.
Mal gucken, wer schneller ist – das Fritz-Kühn-Museum oder der
Willy-Brandt-Flughafen …
HK: So oder so. Ich gehe davon aus, diesmal werden wir fertig.
17 Sep 2012
## AUTOREN
Marie-Claude Bianco
Gaby Sohl
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