# taz.de -- Abwrackwerften in Südasien: „Pässe der Toten werden verbrannt“ | |
> Die Todesrate der Arbeiter in Südasiens Abwrackwerften ist höher als in | |
> jeder anderen Branche. Das sagt der indische Forscher und Aktivist Gopal | |
> Krishna. | |
Bild: Eine Schiffsleiche in der Nähe von Mumbai. | |
taz: Herr Krishna, Sie beklagen seit langem, unter welchen Bedingungen | |
Reedereien ihre Schiffe in Pakistan, Indien und Bangladesch abwracken | |
lassen. Weshalb? | |
Gopal Krishna: Dort herrschen „sklavenähnliche Bedingungen“ – so hat es … | |
UN-Beauftragte genannt, mit dem ich zusammen die improvisierten Werften in | |
Alang besucht habe. Das ist ja keine Industrie in dem Sinne, sondern es | |
sind industrielle Strukturen, die ad hoc genutzt werden, wenn ein Schiff | |
kommt. | |
Wer arbeitet dort? | |
Menschen, die aus extremer Armut in Nord- und Ostindien fliehen. Ich weiß | |
von Leuten, die dort arbeiten, dass im letzten Monat vier Menschen bei | |
Unfällen ums Leben gekommen sind, das ist die übliche Todesrate. Die ist | |
höher als im Bergbau, der als die gefährlichste Branche gilt. | |
Eine offizielle Statistik gibt es nicht? | |
Statistik? Es gibt vor Ort noch nicht einmal ein Krankenhaus! Wenn Arbeiter | |
sterben, werden ihre Pässe verbrannt, damit die Firmen keinen | |
Schadensersatz zahlen müssten. Die Familien der Unfallopfer sind deshalb | |
völlig mittellos, die haben nichts. Ich bin gerade zu einer | |
Umweltschutztagung im Bundesstaat Orissa gefahren, in dem sich die „widow | |
villages“ befinden, also Dörfer, in denen fast in jedem Haus Witwen leben. | |
Wissen Sie, wie viele an Krankheiten sterben, die durch die Arbeit | |
ausgelöst wurden? | |
Auch dazu gibt es keine Zahlen. Die indischen Behörden behaupten, dass nur | |
16 Prozent der Arbeiter Asbest ausgesetzt sind. Der Wissenschaftler, der | |
das ermittelt haben soll, hat mir aber gesagt, dass das nicht stimme, die | |
Quote würde bei 60 bis 65 Prozent liegen. | |
Ende Juli hat der Oberste Gerichtshof in Indien geurteilt, dass Schiffe, | |
die gefährliche Materialien enthalten, nicht mehr einreisen dürfen. | |
Bedeutet das das Ende des Shipbreaking in Indien – und eine Verlagerung in | |
andere Länder? | |
Nein, zum einen hat es in Bangladesch eine ähnliche Entscheidung gegeben | |
und der recyclte Stahl wird in Indien ja gebraucht. Im übrigen ist auch der | |
Präsident der Shipbreaking Association in Indien dafür, dass die Schiffe | |
erst einreisen dürfen, wenn die verseuchten Teile entfernt wurden. Aus dem | |
einfachen Grund, weil sie dann die Kosten für die Dekontaminierung sparen. | |
Die Halden für Sondermüll sind einfach voll. | |
Aber dann müssten viele Schiffe geschleppt werden, weil zu viele Teile | |
ausgebaut würden, die sie für den Betrieb brauchen. | |
Das geschieht jetzt auch schon, das ist nicht das Problem. Es kann einfach | |
nicht sein, dass diejenigen, die den Müll verursachen, ihn nicht selbst | |
entsorgen, sondern sogar noch Geld damit verdienen. | |
Sie meinen die Europäer, denen 40 Prozent der weltweiten Flotte gehören? | |
Ja, das ist eine Doppelmoral. In Europa ist es verboten, Asbest zu | |
verwenden, aber er wird in Südasien abgeladen. Ich nenne das | |
Umwelt-Rassismus. | |
Die Europäische Kommission hat in diesem Jahr einen Vorschlag gemacht, wie | |
sich das ändern lässt. Und es gibt die Selbstverpflichtung der | |
Internationalen Seefahrtsorganisation, die Hong Kong Convention, die | |
allerdings noch nicht in Kraft ist. | |
Und das ist gut so! So wie diese beiden Regelwerke jetzt verfasst sind, | |
sind sie schwächer als das Basler Übereinkommen, auf dessen Grundlage die | |
Northern Vitality gerade festgehalten wird. Das müssten die europäischen | |
Länder eigentlich verbessern. Stattdessen knicken sie vor den | |
Wirtschaftsinteressen der Anleger und der Seefahrtsindustrie ein. | |
19 Sep 2012 | |
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