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# taz.de -- Gomera war einmal ein Geheimtipp: „Letzte Currywurst vor Afrika“
> Das Valle Gran Rey, das Tal der Aussteiger, verändert sich. Übernommen
> haben die Feinrippträger, meint Capitano Claudio, Herausgeber des
> Valle-Boten.
Bild: Noch gibt es die Idylle im Tal der Aussteiger auf Gomera.
taz: Herr Claudio, ist Gomera nach den verheerenden Waldbränden im Sommer
noch mal davongekommen?
Capitano Claudio: Im großen Ganzen ja. Der Nationalpark hat nur ganz im
Süden was abbekommen, rund um den Garajonay ist nichts weiter passiert. 90
Prozent sind intakt. Gewandert wird auch wieder wie eh und je. Unser Tal
ist in einer Nacht völlig evakuiert worden, alle sind runter an den Hafen.
Wer wollte, konnte mit Schiffen raus. Der untere Teil des Valle ist völlig
verschont geblieben. Ganz oben ist sehr viel verbrannt, auch einige Häuser.
Da sieht es böse aus. Böse gesagt ist das jetzt unser Schwarzwald.
Bis vor einigen Jahren traf man hier fast nur Urlauber aus
Berlin-Kreuzberg, der Kölner Südstadt oder dem Frankenberger Viertel in
Aachen. Jetzt drängen immer massiver Pauschaltouristen, überwiegend
Rentner, in den früheren Geheimtipp. Haben diese Schnabeltässler, wie die
deutschen Einwohner des Valle spöttisch sagen, die Mehrheit übernommen?
Schnabeltässler ist ja ironisch gemeint, das ist doch ein sympathisches
Alter. Auch Mick Jagger ist Schnabeltässler, ich auch. Nein, übernommen hat
der Feinrippträger, der durchschnittliche Konsumtourist. Zahlenmäßig ist er
schon in der Mehrheit, er fällt nur nicht so auf, weil er sich meist im
Hotel aufhält, auf seinem Balkon eine Tomate teilt und selten abends in die
Kneipe geht. Vielleicht guckt er den Hippies zum Sonnenuntergang beim
Trommeln zu. Danach ist er verschwunden. Tagsüber laufen diese Leute mit
ihren Stöcken durch die Berge und machen Southern Walking. Und ab Mai ist
ja immer Ruhe.
Ist das spezifische Flair dadurch verschwunden?
Nein. Man kann sich abschirmen. In Vueltas, hier im Hafen, gucken diese Art
von Touristen höchstens tagsüber mal in die Läden rein. Und es bleiben ja
viele Nischen. Der Mensch schafft sich Oasen, wo früher nicht mal Wüste
war.
Aber die Magie ist weg?
Das Valle hat noch seine Magie. Die vielen Esoteriker hier nennen das
Vibrations, Energiefelder. Mir sagt das nichts, aber bitte. Das Besondere
liegt an den vielen Leuten, die immer noch kommen, Jahr für Jahr, wenn auch
zunehmend ergraut. Die Uhren gehen hier schon noch anders.
Die Kirchenglocken bimmeln auch immer ein paar Minuten nach der Zeit.
Die sind eben vallisch falsch programmiert. Was ist denn schon Zeit?
Bis vor fünf Jahren waren fast ausschließlich Deutsche hier. Dadurch hatte
man das verschwörerische gemeinsame Gefühl, die Restwelt hat das Tal noch
nicht entdeckt. Mittlerweile: Holländer, Franzosen, sehr viele Engländer.
Läuft hier die zweite Okkupation, erst die Deutschen, jetzt der Rest?
Offenbar haben Reiseveranstalter aus vielen Ländern das Valle plötzlich ins
Programm genommen. Zack! - bist du im Katalog. Aber wer hier lebt, bekommt
die schleichende Veränderung gar nicht so mit.
Nur die Amis fehlen noch.
Von wegen. Die Amis waren als Erste hier. 1969, Hippies aus Kalifornien und
Vietnam-Deserteure, die in den USA strafrechtlich verfolgt wurden. Die
haben den Laden hier, die Cacatua-Bar, aufgemacht. Das hieß damals
Crocodile. Dann erst kamen die deutschen Hippies, vor allem weil man sie
auf den Balearen weggemobbt hat. Da war Gomera der große Geheimtipp. Per
Bananendampfer kamen die. Ganz vereinzelt leben auch noch welche hier von
damals. Aber auch Aussteiger werden alt. Anders sind die, die alt geboren
werden. Mit 25 machen die sich schwere Gedanken, was in 40 oder 50 Jahren
ist. Neulich war eine junge Frau bei mir im Laden: Sie wollte einen Job,
aber unbedingt eine Festanstellung - wegen der Rente. Schnabeltässler von
Geburt sind das. Aber auch bei den Leuten, die hier leben, gibt es längst
auch diese deutsche Gartenzwergmentalität. An Leitkultur bleibt dir nichts
erspart: Currywurst kannst du heute hier schon haben. Die werben mit
„Letzte Currywurst vor Afrika“.
In Playa gleich gegenüber der legendären Bar Maria steht seit Jahren ein
großer, hässlicher Rohbauklotz von Appartment-Anlage, unfertig, verrammelt.
Blühen hier Korruption und Betrug?
Allerdings. Die Insel der Glückseligen sind wir lange nicht mehr. Neben
Maria ist viel schiefgegangen mit Genehmigungen und dem Investor. Keiner
weiß, was da wird. Appartments werden gern gleich vom Reißbrett verkauft.
Wenn fertig gebaut ist, erfahren die Käufer, dass ihr Appartment gerade
versteigert wird, weil sie nicht im Grundbuch eingetragen waren. Darauf
setzen betrügerische Verkäufer. In der Inselverwaltung werden die Beamten
alle zwei Jahre ausgetauscht wegen Korruption und ihrer Seilschaften. Der
frühere Bürgermeister Bethencourt, wir nannten ihn nur Betten Kurt, ist
gerade mit Mühe dem Knast entgangen wegen massiver Veruntreuung. Ich hab
immer gedacht, Deutschland habe die Bürokratie erfunden. Gegenüber Spanien
hat Deutschland einen schlank organisierten Apparat.
Einige deutsche Kneipiers und Ladenbesitzer hier sind ja doch ziemlich
pampig und unfreundlich …
Kann ich verstehen, dass das so wirkt. Viele haben mit dem aufblühenden
Tourismus einen Laden aufgemacht, manche sind von kaufmännischen
Kenntnissen völlig unbeleckt. Dann stimmt die Kasse nicht wie erträumt,
dann kommen die Ellenbogen, wie sie es von zu Hause gewohnt sind. Das geht
auf Kosten der Stimmung. Manche sind frustriert, merken erst spät: Mensch,
ich hab ja auch Kosten, und auch noch dauerhaft! Wir haben mehr Touristen
als je zuvor. Aber es sind auch mehr Anbieter da. Also gibt es mehr
Konkurrenz. Die Geschäftsleute hätten gern noch mehr Neckermänner. Die
deutschen Valle-Einwohner, 500 sind es von den rund 5.000 insgesamt, sind
ja irgendwie alle abhängig vom Geld der Touristen.
Die normale Welt ist im Gepäck dabei, die Gesetze des Marktes.
Tja, eigentlich wollten wir den Rest der Welt zurückgelassen. Aber die Welt
kommt hartnäckig hinterher. Wir haben ja keine Marktlücke gesucht, sondern
wollten mit dem ganzen Konsumwahn in Deutschland nichts mehr zu tun haben,
mit dem Rattenrennen, dem Stress. Als wir hierherkamen, hatten wir eine
Glühbirne im kleinen Zimmer und haben das Wasser in Kanistern geholt.
Wunderbar. Früher war ein Fernseher in einer Kneipe igitt, da wurde dem
Wirt gedroht. Und heute? Bei wem samstags nicht die Bundesliga läuft, der
kann inzwischen gleich zumachen.
Also ist das Valle zwar mit der Zeit gegangen, aber liebenswert skurril
geblieben?
Unbedingt. Wer hier lebt oder wer regelmäßig kommt, für den ist es
weitgehend, wie es immer war. Auf der Reeperbahn haben auch welche ihr
Zuhause und ihre Szene, und andere sind nur Touristen aus München oder
Gelsenkirchen.
Das Valle als St. Pauli Südwest?
Fast. Dazu fehlt allerdings das Rotlicht.
21 Sep 2012
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
Reiseland Spanien
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