# taz.de -- Schnapspanscherei in Tschechien: Tödlicher Volkssport | |
> 24 Menschen sind im September bereits an vergiftetem Alkohol gestorben. | |
> Verantwortlich ist eine Methanol-Mafia. Der will die Polizei jetzt | |
> endlich das Handwerk legen. | |
Bild: Billig, aber bisweilen gefährlich: Schnapsausschank in Prag. | |
PRAG taz | Tschechiens Polizeipräsident Martin Cervicek hat Sinn fürs | |
Dramatische: seine SoKo „Metyl“ habe die Methanol-Mafia zerschlagen“, | |
erklärte er am Sonntag während einer Fernsehdiskussion. „Unsere | |
Ermittlungsergebnisse werden wir aber erst am Montag in einer | |
Pressekonferenz veröffentlichen“, fügte er dann aber schnell hinzu. Der | |
Cliffhanger, so Cervicek, habe rein ermittlungstechnische Gründe. | |
Dramen hatte Tschechien in den vergangenen Wochen seit Ausbruch der | |
Methanolaffäre am 3. September allerdings schon genug. Zum einen sind da | |
die 24 Todesopfer. Fünf von ihnen vergifteten sich noch an mit Methanol | |
gepanschtem Schnaps, nachdem die Regierung am 14. September den Verkauf und | |
Ausschank von „Getränken mit einem Alkoholgehalt von über 20 Prozent | |
verboten hatte. | |
Während sich daraufhin Gesundheits- und Finanzministerium über die Dauer | |
der Schnapsprohibition stritten, die den Staat täglich um mehrere | |
hunderttausend Euro an Steuergeldern bringt, kam bereits der nächste Schlag | |
für Wirtschaft und Staatskasse: Auf Druck Brüssels musste Tschechien am | |
vergangenen Donnerstag den Export von hochprozentigen Schnäpsen sofort | |
einstellen. | |
## Todesurteil für kleine Brennereien | |
Die Maßnahme dürfte zwar das gesamte Exportvolumen Tschechiens nicht | |
besonders treffen. Denn an dem beträgt die Alkoholausfuhr nicht mal ein | |
Promille. Für die vielen kleinen Schnapsbrennereien, die durchschnittlich | |
40 Prozent ihrer Produktion im Ausland absetzen, kommt das Exportverbot | |
jedoch einem Todesurteil gleich. | |
Doch bevor der materielle Schaden überhaupt beziffert werden kann, ist erst | |
einmal die Polizei am Zug. Im Zusammenhang mit der Methanolaffäre wurden | |
bereits 41 Personen verhaftet und gegen 17 von ihnen Strafverfahren | |
eingeleitet. Dabei handelt es sich aber ausnahmslos um kleine Fische, die | |
die gepanschten Schnäpse vertrieben oder Etiketten und Steuermarken | |
gefälscht haben. | |
Klar ist zumindest schon eines: In manchen Gegenden der Tschechischen | |
Republik ist Schnapspanschen ein organisierter Volkssport. Der hat mit | |
Schnapsbrennen allerdings gar nichts zu tun. Gebrannt wird nichts, nur | |
gemischt. Das Muster ist immer das gleiche: Denaturierter Industriealkohol | |
wird in brachliegenden Lagerhallen, Kuhställen oder Garagen gesäubert und | |
mit einem Schuss Methanol versehen, um die Prozentzahlen in die Höhe zu | |
treiben. Das Ganze wird dann versehen mit den Aromastoffen verschiedener | |
Schnäpse und fertig sind Wodka, Rum oder Weinbrand. | |
## Ein Viertel der Schnäpse sind illegal | |
Ein neues Phänomen ist der Schnapsschwarzmarkt dabei nicht. Seit Jahren | |
berichten tschechische Medien darüber, dass zwischen 25 und 30 Prozent, so | |
optimistische Schätzungen, der tschechischen Schnäpse aus aromatisiertem | |
Industriealkohol aus illegaler Produktion stammen. | |
Dennoch hat der Staat jahrelang nicht nur weggesehen, sondern den Panschern | |
auch noch Schützenhilfe geleistet. 2009 erhöhte die Regierung nicht nur die | |
Alkoholsteuern, sondern erklärte das Mischen von Alkohol als per se nicht | |
strafbar. Zudem haben harte Wirtschaftsreformen, Kürzungen und | |
Mehrwertsteuererhöhungen dafür gesorgt, dass die Schicht der sozial | |
Schwachen und mit ihnen auch die Nachfrage nach Billigschnaps wächst. | |
23 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Sascha Mostyn | |
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