# taz.de -- Biogas und Solarstrom: Unter Nigerias Sonne | |
> Sonne gibt es mehr als genug, wie auch ganz andere Ideen – zwei | |
> Nigerianer suchen nach Alternativen bei der Stromerzeugung. | |
Bild: Umweltverschmutzung durch traditionelle Kraftstoffgewinnung in Nigeria: A… | |
KANO/LAGOS taz | „Dass Solarenergie auch Arbeitsplätze schaffen könnte, hat | |
in Nigeria noch niemand bemerkt“, sagt Baba Dahiru spöttisch. Der | |
Geschäftsmann handelt mit Solarprodukten und leistet Pionierarbeit. Wie | |
auch Ingenieur Aniche Phil-Ebosie, der mit Biogasanlagen experimentiert. | |
Reich macht es beide nicht. | |
Die Glühbirne flackert noch einmal kurz auf, und dann wird es stockduster | |
und für einen Moment mucksmäuschenstill in Nigeria. NEPA ist weg, mal | |
wieder oder wie fast immer. NEPA (National Electric Power Authority) heißt | |
der staatliche Stromversorger zwar seit Jahren nicht mehr, sondern Power | |
Holding Company of Nigeria (PHCN). Doch die Abkürzung steht in Nigeria noch | |
für etwas ganz anderes: Never Expect Power Again – erwarte nie wieder | |
Strom. | |
Baba Dahiru seufzt. Denn wenn der Strom ausfällt, setzt spätestens ein paar | |
Minuten später ein ohrenbetäubender Lärm ein. Wer von den 160 Millionen | |
Einwohnern in dem Riesenland etwas auf sich hält, besitzt einen Generator. | |
Die kleinen Geräte fressen teuren Diesel – der Liter kostet mittlerweile 75 | |
Cent, seitdem die staatlichen Diesel- und Benzinsubventionen Anfang 2012 | |
reduziert wurden. Sie stinken und machen einen Höllenlärm. Dahiru zeigt auf | |
ein Haus in seiner Nachbarschaft, vor dem ein kleiner schwarzgelber | |
Generator brummt. „Kann bei dem Lärm überhaupt jemand schlafen? Ich | |
jedenfalls nicht“, sagt er spöttisch und fast ein wenig verzweifelt. | |
## Keine Laufkundschaft für Solarzellen | |
Dabei könnte es mit dem lautlosen und zuverlässigen Strom so einfach sein, | |
ginge es nach dem Geschäftsmann aus Kano, der Wirtschaftsmetropole im | |
Norden Nigerias. Dahiru schlendert über die Straße zu seinem kleinen Laden, | |
der wie eine Doppelgarage aussieht. Am Straßenrand liegen schwarze | |
Plastiktüten und leere Plastikflaschen. Ein paar Jungs jagen einem | |
halbplatten Fußball hinterher und kämpfen in ihren Flipflops gegen den Sand | |
an. Die Gegend liegt weit weg vom Gehupe und den Abgaswolken des Zentrums. | |
Auf Laufkundschaft kann Baba Dahiru ohnehin nicht setzen, um seine | |
Solarzellen an den Mann zu bringen. | |
Er hat sie vor dem Eingang ausgebreitet, und im Ausstellungsbereich steht | |
seine neueste Errungenschaft:ein großes Gestell aus 20 dünnen schwarzen | |
Rohren, durch die Wasser fließt. „Wenn die Sonne auf die Rohre scheint, | |
dauert es nur ein paar Minuten, bis das Wasser heiß ist“, erklärt Dahiru | |
den Solarwassererhitzer, „und im Tank dort oben“, er zeigt auf das große | |
Metallgefäß, „bleibt es stundenlang warm.“ | |
Dem Geschäftsmann gefällt die kleine, effektive Anlage, die sich gut für | |
Krankenhäuser oder Schulen eignen würde. Natürlich, die Anschaffung koste | |
Geld. „Aber dafür hat man später heißes Wasser fast umsonst.“ Dahiru | |
streicht über eines der schwarzen Rohre. Wer sich den Wassererhitzer nicht | |
leisten kann, für den hat er auch Günstigeres im Angebot. Mit einer 20.000 | |
Naira (100 Euro) teuren Solarzelle lassen sich zwei Handys aufladen und | |
etwas Licht in eine dunkle Hütte bringen. „Das bedeutet so viel mehr | |
Lebensqualität.“ Dahiru nimmt das schwarze Gerät vorsichtig in beide Hände. | |
Solarenergie ist Leidenschaft und Lebensaufgabe. | |
## Effizient und robust | |
Entdeckt hat er sie bei einer Messe in Los Angeles im Jahr 1984 in Form von | |
Solarkochern. Dahiru war begeistert und kaufte ein paar Vorführmodelle für | |
den nigerianischen Markt. Er reiste noch mehrfach in die USA und nach | |
Europa, auf der Suche nach neuen Modellen, die effizient und zugleich | |
robust sein sollten. Heute entscheidet sich Baba Dahiru immer häufiger für | |
günstigere Angebote aus China. „Qualitativ sind sie besser als ihr Ruf.“ | |
Die Nachfrage kurbelt das jedoch nicht an. Zwar bekommt Baba Dahiru seit | |
Ende 2010 mehr Aufträge von öffentlichen Einrichtungen. So durfte er | |
beispielsweise das Kanoer Büro des Goethe-Instituts komplett auf | |
Solarenergie umstellen. Und zum Kundenkreis gehören nun ein paar Schulen. | |
Trotzdem braucht der Geschäftsmann viel Durchhaltevermögen. | |
„Manchmal haben wir drei Monate lang keine Aufträge. In ganz Kano habe ich | |
vielleicht 20 Privatkunden.“ Er tritt vor die Tür, der Himmel ist tiefblau, | |
die Sonne knallt erbarmungslos wie die meiste Zeit des Jahres im Norden | |
Nigerias. Für den Solarpionier bietet das optimale Bedingungen, dennoch, | |
sagt er und zeigt auf die Nachbarhäuser, „denkt hier niemand an | |
Solarenergie“. | |
Das macht es schwer, qualifizierte Arbeitskräfte zu halten oder | |
Auszubildende zu finden. Dabei lag Nigerias offizielle Arbeitslosenquote | |
vergangenes Jahr bei 23,9 Prozent, darunter auch viele | |
Hochschulabsolventen, die schlechte Jobchancen haben und zu miesen | |
Konditionen arbeiten müssen. „Dass Solarenergie auch Arbeitsplätze schaffen | |
könnte, hat in Nigeria noch niemand bemerkt“, sagt Dahiru spöttisch. | |
## Der Tüftler | |
Aniche Phil-Ebosie hat sich seinen Job deshalb selbst geschaffen. Er klopft | |
auf den riesigen orangefarbenen Tank, dem Herzstück seiner Biogasanlage. 10 | |
Kilowatt Strom produziert er damit seit einigen Wochen. Nutznießer sind die | |
Marktfrauen von Ketu, einem großen Markt im Norden der Megacity Lagos, | |
1.000 Kilometer südlich von Kano. Für beide Seiten sei das Modellprojekt | |
ein Gewinn. | |
„Ich bekomme hier kostenlos das, was ich für die Anlage brauche: Obst- und | |
Gemüseabfälle“, sagt Phil-Ebosie und schaltet den grünen Generator ein, der | |
das Gas in Strom umwandelt. Die Glühbirne leuchtet auf, der Beweis dafür, | |
dass sein Projekt tatsächlich funktioniert. Als das erste Mal ein Lämpchen | |
blinkte, habe er sich vermutlich so gefühlt wie eine Frau nach der | |
Entbindung. Aniche Phil-Ebosie lacht auf. | |
Ähnlich lange wie eine Schwangerschaft hat auch die Tüftelei gedauert. Die | |
Idee dazu bekam er während seines Studiums in Paris, doch schnell folgte | |
Ernüchterung. „Biogasanlagen wie in Europa zu realisieren wäre unbezahlbar | |
gewesen. Ich hatte nicht einmal Startkapital“, sagt Phil-Ebosie und lacht | |
erneut. Ermöglicht hat ihm das Projekt schließlich eine Bauanleitung der | |
Firma Afrikom Technology Transfer aus Hirrlingen bei Stuttgart, die er für | |
6.500 Euro kaufte. | |
## Eine Vision, aber kein Geld | |
Doch auch mit einer Bauanleitung in der Hand dauerte alles noch viele | |
Monate. „Ich bin über Märkte gezogen, habe Werkstätten besucht. Ich musste | |
alles selbst herstellen lassen.“ Entmutigt hat ihn das nicht. „Ich war in | |
Lagos plötzlich in Gegenden, wo ich noch nie zuvor war.“ Richtig überzeugen | |
konnte er aber lange Zeit niemanden. Aniche Phil-Ebosie kam aus Europa | |
zurück als einer, der zwar eine Vision, nicht aber das große Geld und viele | |
Geschäftskontakte hatte. | |
Schick ist sein Arbeitsplatz auch heute noch nicht. In der kleinen, orange | |
gestrichenen Halle hängt noch der Geruch von frischer Farbe. Wenn er vor | |
die Tür geht, steht er mitten auf dem quirligen Ketu-Markt. Gut für | |
Phil-Ebosie sind die riesigen Mengen an organischem Abfall. 200 Kilo | |
verfaulte Melonen und schimmelige Ananas braucht er täglich, damit die | |
Anlage läuft. Er stochert in einer blauen Plastiktonne mit Bioabfällen | |
herum. Es riecht säuerlich. | |
Überzeugt hat das kleine Biogasmodell immerhin Lagos’ staatliche Müllabfuhr | |
Lawma (Lagos Waste Management Authority), die die Anlage jetzt übernommen | |
hat. Aniche Phil-Ebosie tüftelt weiter. „Für kleine Unternehmer ist das | |
Modell in Ketu zu teuer. Und wer Geld hat, will mehr Strom haben.“ Deshalb | |
sollen die künftigen Anlagen größer werden. Einen hervorragenden Standort | |
hat der Nigerianer vor ein paar Wochen entdeckt: die Schweinefarmen vor den | |
Toren von Lagos. „2.000 Bauern halten dort 500.000 Schweine. Was meinst du, | |
was dort für Abfälle anfallen, die bisher niemand entsorgt!“ | |
## Die Verbraucher | |
Nach Standorten mit riesigen Mengen von organischem Abfall hat offenbar | |
auch die nationale Energiekommission noch nicht gesucht. Dabei | |
veröffentlichte sie schon vor vier Jahren einen Masterplan zu erneuerbaren | |
Energien. Das Ziel lautet: hin zu einem Mix, bei dem nachwachsende | |
Ressourcen einen immer größeren Stellenwert spielen sollen, und weg vom Öl. | |
Es sei schließlich unklar, wie lange das Öl noch reiche, sagt Professor | |
Abubakar Sambo, Generaldirektor der nationalen Energiekommission. | |
Derzeit liegt die Fördermenge bei täglich 2,5 Millionen Barrel und könnte, | |
so hat es vor einiger Zeit Ölministerin Diezani Alison-Madueke angekündigt, | |
bis zum Jahr 2020 sogar auf 4 Millionen Barrel pro Tag steigen. Für Sambo | |
sollen regenerative Energien trotzdem künftig eine größere Rolle spielen. | |
„Unsere Hoffnung ist, dass in 30 Jahren 50 Prozent des gesamten Bedarfs | |
durch erneuerbare Energien gedeckt wird.“ Zuverlässige Zahlen, wie hoch ihr | |
Anteil heute ist, gibt es allerdings nicht. | |
In Kano hat sich Baba Dahiru in sein Büro zurückgezogen und vergleicht | |
Modelle von sonnenbetriebenen Klimaanlagen. Ein wichtiger Aspekt für | |
Privatkunden. Wer sich Solarenergie leisten kann, wird im heißen | |
Nordnigeria auch nicht auf die Klimaanlage verzichten wollen. Doch die | |
Modelle könnten noch so gut, noch so günstig sein, für Dahiru muss sich | |
erst einmal etwas Grundlegendes ändern. „Energie wird hier nicht geschätzt | |
und nicht gespart. Wir müssen erst einmal lernen, das Licht, den Fernseher | |
und die Klimaanlage auszumachen, wenn wir das Haus verlassen.“ | |
23 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
## TAGS | |
Nigeria | |
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