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# taz.de -- Zum Tod des Historikers Eric Hobsbawm: Die Haltung des Beobachters
> Eric Hobsbawm agierte engagiert, aber unaufgeregt: Der marxistische
> Historiker und Denker des „Zeitalter der Extreme“ ist mit 95 Jahren
> gestorben.
Bild: Immer parteilich, aber nie gedankenfrei einer Parteidoktrin treu: Eric Ho…
„Das alte Jahrhundert hat kein gutes Ende genommen“, heißt es auf den
ersten Seiten eines Buches, das als Grundlagenwerk für das Verständnis des
20. Jahrhunderts gelten kann: Eric Hobsbawms „Das Zeitalter der Extreme“.
Dass dieser Autor selber ein Ende nach einem langen und ertragreichen Leben
gefunden hat, ist für die, die seine Autobiografie gelesen haben, alles
andere als selbstverständlich.
Im Tone eines Chronisten beschreibt Hobsbawm darin, wie erst sein Vater,
dann seine Mutter sterben und er selber im Alter von 14 Jahren 1931 von
Wien nach Berlin geschickt wird zu Verwandten, die dann bald darauf mit ihm
vor den Nazis nach London fliehen müssen. Spätestens als der Autor in
seinen Lebensbeschreibungen Mitte der dreißiger Jahre ankommt, stellt sich
für den Leser die Frage, wie jemand in diesen großen und kleinen
Katastrophen überhaupt Orientierung und einen Halt finden konnte.
Auf einem Foto von 1936 sieht man den jungen Hobsbawm auf einem Kamerawagen
der französischen Sozialisten in Paris stehen. Die Regierung der Volksfront
feiert den Tag der Bastille; Hobsbawm feiert mit. Und steht doch dort oben
in der gefassten Haltung eines Beobachters, der sich fragt, was aus der
aktuellen historischen Konstellation alles entstehen könnte. Dieses Foto
ist emblematisch – Hobsbawm agierte zeit seines Lebens engagiert, aber
unaufgeregt, war immer parteilich, aber nie gedankenfrei einer
Parteidoktrin treu.
Wer sein Leben erzählt oder Revue passieren lässt, findet sich unweigerlich
in den großen geschichtlichen Situationen wieder, den Knackpunkten der
Historie im 20. Jahrhundert. Hobsbawm befürwortete den sowjetisch-deutschen
Nichtangriffspakt zwischen Stalin und Hitler, verteidigte den
Ungarn-Aufstand 1956 als „Revolte der Arbeiter und Intellektuellen gegen
Bürokraten und Pseudokommunisten“, und er schauderte 1989 vor einem
Kapitalismus ohne Gegenwelt und Korrektiv.
## Er blieb Kommunist
Viele verließen nach den nicht wenigen politischen Krisen der
Nachkriegszeit die Kommunistische Parteien – er blieb, liebäugelte mit dem
Eurokommunismus und war einer der Intellektuellen, die in der Labour-Partei
Einfluss besaßen. Eine Zeit lang galt er sogar als „Neil Kinnocks
Lieblingsmarxist“. Als Labour bei der Wahl von 1983 nur 28 Prozent der
Stimmen bekam, riet er dringend zu Korrekturen und Reformen, doch als Tony
Blair Gelegenheit zu seiner Version der Labour-Reform bekam, sah Hobsbawm
in ihm lediglich eine „Thatcher in Hosen“.
Die neue Thatcher erfand New Labour und begann, den traditionell prägenden
Einfluss der Intellektuellen in der Partei zurückzudrängen. Auf die Worte
eines alten Marxisten wurde fortan dort nichts mehr gegeben, lieber wurden
brave Stichwortgeber wie Anthony Giddens ins Rampenlicht geschoben. Giddens
sitzt heute als Baron im House of Lords und schreibt langweilige Bücher,
Hobsbawm dagegen erklärte bis zuletzt, warum Marx recht habe. Der
Historiker bewies noch im hohen Alter und trotz schwerer Krankheit eine
erstaunliche intellektuelle Präsenz.
Es ist sicher schwer, zwischen der Person, dem politischen Menschen und dem
Wissenschaftler zu trennen. Aber warum sollte man auch? Hobsbawms Leben ist
ein Beleg dafür, wie unproduktiv so etwas ist. In seinem großen Werk „Das
Zeitalter der Extreme“ ist der Historiker und Autor als Person, mit seinen
politischen und historischen Erfahrungen präsent, und eben weil er
Geschichte als gelebte Erfahrung begriff, werden seine Bücher weiter
gelesen werden. Wenn Hobsbawm etwa in seiner Autobiografie über die
Historikergruppe in der britischen KP schreibt, in der sich große
Historiker wie E.P. Thompson und Christopher Hill trafen, dann klingt ein
warmer, familiärer Ton an.
## Brückenschlag zur Kultur
Von Hobsbawms wissenschaftlichem Werk wird vieles bleiben – natürlich die
große Weltgeschichte des „kurzen“ 20. Jahrhunderts und seine dreibändige
Geschichte des „langen 19. Jahrhunderts“ von 1789 bis 1914. Aber bleiben
werden auch seine Bücher über Jazz, über Banditen als Sozialrebellen oder
seine Studie über Nationen und Nationalismus. Sicherlich liegt die gute
Haltbarkeit seiner Texte daran, dass Hobsbawm immer den Brückenschlag zur
Kultur gepflegt hat und ein beachtlicher Stilist war.
Schön zu lesen sind auch seine Erinnerungen, wie er noch in mittleren
Jahren als Jazzkritiker für die Journaille durch Nacht und Halbwelt
stromerte. Auch Humor findet sich reichlich – nicht verwunderlich bei
einem, dessen Familie eigentlich Obstbaum hieß, bis die Eltern des
künftigen Historikers, die nach Ägypten übersiedelten, sich vor einem
Zollbeamten einfanden, der diesen Namen nicht lesen konnte und aus einem U
ein W machte.
Zuletzt war Eric Hobsbawm einer der profiliertesten Intellektuellen, die
eine Marx-Renaissance vorantrieben, in zahlreichen Interviews, Artikeln und
seinem aktuellen Buch „Wie man die Welt verändert. Über Marx und
Marxismus“. Bei diesem Renaissance-Projekt wird er in Zukunft fehlen. Auch
wenn er schon einige Zeit schwer krank war, begann man sich gerade an den
Gedanken zu gewöhnen, der Historiker werde einfach weiterschreiben und zur
Veränderung einer Welt aufrufen, die es nötig hat. Eric Hobsbawm starb am
Montag im Alter von 95 Jahren ihn London.
1 Oct 2012
## AUTOREN
Mario Scalla
## TAGS
Geschichtswissenschaft
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