# taz.de -- Wrestling als Spaßorgie: Testosteroni flippt aus | |
> Bei der Berliner Variante des Showsports zählen: krasse Kostüme, | |
> anarchischer Spirit und maximale Unprofessionalität. | |
Bild: Immer voll druff! | |
Gegen Mitternacht hat das Warten für die Fangemeinde ein Ende. Die lauten | |
„Testo, Testo“-Gesänge, die schon den ganzen Abend den Auftritt des | |
Großmeisters einfordern, werden erhört. Tetosteroni besteigt den Ring. Er | |
dreht eine Begrüßungsrunde. Mit knappem, abgeschnittenem Jeanshöschen und | |
dunkler Maske bekleidet, jubelt der Wrestler seinem Anhang zu. Die Fans | |
bedanken sich artig, indem sie ihrem hormongetränkten Helden die original | |
Testo-Fan-Mittelfinger aus Pappmaché entgegenstrecken. | |
Der Kampf geht los. „Let’s fucking fight you bastards!“, schleudert der | |
Moderator, einem Henker gleichend, der Menge entgegen. Testo enttäuscht | |
nicht. Er schmeißt sich auf sein Gegenüber, schleudert es durch den Ring. | |
Der Gegner versucht, seinen kantigen Kopf zu retten – sein Outfit glänzt | |
besonders durch ein trapezförmiges Haupt. Die rund 400 Leute im Festsaal | |
Kreuzberg kreischen, johlen, drängen um den Wrestling-Ring. Dort flippt | |
gerade Testosteroni wie ein Flummi zwischen den Seilen hin und her. | |
## „Rock the block“ | |
Am Dienstagabend erlebte das „Ghetto Wrestling“ im Rahmen des Kreuzberger | |
„Rock the block“-Festivals seine zweite Auflage. Die subkulturelle Berliner | |
Variante des Showsports wurde von dem Berliner Künstler Dave The Chimp ins | |
Leben gerufen. Im Juni 2011 feierte das Format im Künstlerhaus Bethanien | |
Premiere. Die Neuauflage im Festsaal war eine große Spaßorgie – die | |
Kostümierung der Wrestler war dabei genauso wichtig wie maximale | |
Unprofessionalität. | |
Dave und Marc, die früher das Backjumps-Graffitimagazin herausgebracht | |
haben, organisieren die Veranstaltung mit den anderen ehemaligen | |
Mitstreitern. Die Wrestler und Wrestlerinnen kommen zum Teil aus ihrem | |
Umfeld, zum Teil wurden sie gecastet. Man kann diesmal nicht nur einzeln, | |
sondern auch in Zweierteams antreten. „Wir fnden Wrestling schon früher | |
lustig“, sagt Marc, 30. „Die Mischung aus Show und Sport ist reizvoll.“ | |
Denn Wrestling ist irgendwo zwischen Performance, Schauspiel, Rollenspiel | |
und hartem Sport anzusiedeln. Im Festsaal ist es vor allem ein wildes, | |
schuljungenhaftes Ringen und Raufen mit anarchischem Spirit. In den | |
Neunzigern erlebten die US-amerikanischen Veranstaltungen der World | |
Wrestling Federation auch in Deutschland einen Hype, die Stars des | |
Wrestling wurden gefeiert. Mittlerweile aber ist das Catchen, wie man es in | |
Europa auch nennt, fast in Vergessenheit geraten. | |
Mit „The Eye of the Tiger“ wird der Abend eröffnet. Laute Mucke begleitet | |
die Kämpfer und Kämpferinnen während ihrer Auftritte im Ring. D Rex Roy | |
tritt gegen das Duo Big Belly Bastardo an. Letztere stechen mit haarigen | |
Wampen hervor, die sie durch ein ins T-Shirt geschnippeltes Loch stolz | |
präsentieren. Dazu tragen sie schwarze Lederhosen. Sie sehen aus wie die | |
Panzerknacker aus Disney’s „Lustigem Taschenbuch“, die sich in die | |
Sado-Szene verirrt haben. | |
Sofort entwickelt sich ein wilder Kampf unter den dreien, alle gegen alle. | |
Schulterwürfe werden angesetzt, man wirft sich aufeinander, hebt den Gegner | |
hoch und trägt ihn wie eine erlegte Jagdtrophäe durch den Ring. Auch der in | |
Rot leuchtende Ringrichter mischt mit, tritt mal hier drauf, hilft mal dort | |
mit einem Griff nach. Seine Sonnenbrille aber sitzt perfekt. | |
Adam aus New Mexico kämpft im vierten Kampf. „The Moustache“ nennt er sich. | |
Er sieht ein bisschen aus wie Charlie Chaplin. Adam ist noch nicht lange im | |
Business. „Soll ich ehrlich sein?“, fragt er: „Seit heute Nachmittag um 15 | |
Uhr bin ich Wrestler. Da haben mich die Veranstalter gefragt, ob ich nicht | |
einspringen könnte.“ | |
Eigentlich ist Adam Burlesquetänzer im Bassy-Club in Prenzlauer Berg. Auch | |
im Ring hüpft und tänzelt er elegant hin und her. Nebenbei setzt er einen | |
Würgegriff an. Gegen Ende des Ringens steht er in schwarzem Tanga da und | |
jubelt, der Schweiß verwischt seine Wimperntusche. Weh tut ihm nichts: | |
„Aber meinen Gegner hat’s erwischt, der hat eine Platzwunde und muss | |
vielleicht ins Krankenhaus.“ | |
Dabei war dies fast die einzige Regel: Verletzungen zu vermeiden. Es soll | |
aber die einzige des Abends bleiben. Ansonsten: Wenig Tabus, fast alles | |
geht. Eigentlich ist ein Wrestlingkampf vorüber, wenn der Gegner am Boden | |
liegt und angezählt wird (bis drei) oder wenn man das Gegenüber in einer | |
Position hält, aus der es sich nicht befreien kann. Beim Ghetto Wrestling | |
werden zwar Sieger erkoren – doch das ist zweitrangig. | |
In den Pausen debütiert ein junges Pärchen aus dem Publikum, die beiden | |
schleudern einander durch den Ring. „Ich glaub, das wird mein neues Hobby“, | |
sagt die junge Probandin, nachdem sie ihren Freund verdroschen hat. Sie | |
nippt an einem pinken Flachmann, den sie aus der Tasche zaubert. Dann tanzt | |
sie weiter zu „Thriller“ von Michael Jackson oder „I Wanna Be A Dog“ von | |
den Stooges. | |
Im letzten Kampf geben Miss Demeanor und Iron Moses nochmal alles. Moses | |
trägt Demeanor durch den Ring – die schmeißt ihn einfach um. Mittlerweile | |
drängt die Menge sich so dicht an den Ring, dass man glaubt, sie werde ihn | |
gleich stürmen. Dazu kommt es nicht. Kann beim nächsten Ghetto Wrestling | |
noch werden. | |
3 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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