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# taz.de -- Montagsinterview mit Curry-Bernd: "Jeden Tag nackte Ärsche"
> Bernd Mikeleit betreibt seit 38 Jahren eine Imbissbude an der Ecke
> Kurfürsten-/Genthiner Straße in Schöneberg - direkt am Straßenstrich.
Bild: "Was hier stattfindet, kann man nicht in Worten wiedergeben"
taz: Herr Mikeleit, Sie betreiben seit 38 Jahren ganz alleine eine
Currywurstbude. Wie halten Sie das aus?
Bernd Mikeleit: Das frage mich auch (lacht). Manchmal gehe ich widerwillig
hin. Denke: Scheiße, schon wieder in das Ding rein, auf Deutsch gesagt. Im
Sommer ist es heiß. Im Winter ist es fußkalt. Aber nach einer Stunde
passiert garantiert irgendwas. Man sieht irgendwas. Das kann man gar nicht
in Worten wiedergeben, was hier stattfindet. Das Bühnenbild wechselt
ständig. Es ist immer wieder Theater, Theater, Theater.
Was sehen Sie?
Ich sehe die nackten Ärsche von den Mädchen, die auf der Straße rumlaufen.
Dann sehe ich den Parkplatz von Möbel-Hübner, der bebaut werden soll. Darum
gibt es hier im Kiez großes Theater. Da sollte schon alles Mögliche hin.
Die Autobahn sollte da auch schon mal durchführen. Und dann sehe ich die
Kirche der 12-Apostel-Gemeinde. Früher war der Platz davor sehr ungepflegt.
Jetzt ist er gepflastert und modernisiert. Ja, das ist mein Umfeld. Ich
würde sehr sehr viel Geld verdienen, wenn ich auf meinem Dach eine Kamera
installieren und die Filme bei YouTube zeigen würde. Ich hätte die besten
Klickzahlen.
Beschreiben Sie doch mal Ihren genauen Standort.
Mein Wagen steht an der Ecke Kurfürsten-/Genthiner Straße. 1974, als ich
angefangen habe, war hier der Babystrich. Vorne auf der Potsdamer Straße
standen die Profifrauen. Hier in der Genthiner Straße war die
Laienprostitution. Im Laufe der Zeit ist daraus eine Drogenszene geworden.
Die Mädchen sind anschaffen gegangen, um das Geld für ihre Drogen zu
bekommen. Inzwischen ist der Babystrich abgewandert, und der Ostblockstrich
hat sich etabliert. Jetzt stehen hier vor allem Frauen aus Rumänien und
Bulgarien.
Was genau beoachten Sie?
Wenn ich geradeaus gucke, sehe ich zum Beispiel eine Bulgarin. Die hat
einen Knopf im Ohr und hört Musik. Aus heiterem Himmel fängt sie an, ganz
laut dazu zu singen. Aber sie kann überhaupt nicht singen. Sie hört
überhaupt nicht, was sie da grölt. Eine andere schmeißt sich halbnackt vor
Autos. Dass kann man nicht wiedergeben, das muss man sehen.
Anwohner klagen, das Klima habe sich zum Negativen verändert. Wie empfinden
Sie das?
Die Frauen nehmen heutzutage keine Rücksicht mehr darauf, ob Familien mit
Kindern langlaufen. Sie stürzten sich auf die Männer, ziehen sie am Arm,
brüllen über die ganze Straße: „Komm, lass uns ficken!“ Die Huren, die h…
früher standen, hatten wenigstens noch ein bisschen Kultur. Wenn Familien
vorbeikamen, haben sie nichts gemacht. Heute laufen sie mit nackten Ärschen
rum. Im Sommer, als es mal ein paar Tage heiß war, haben sie sich vorne nur
ein Klebeband drangemacht und einen Puschel darauf gesetzt. Und das am
helllichten Tag!
Das heißt, Sie haben immer ein Auge auf den Strich?
Was heißt ein Auge? Das spielt sich ja direkt vor meinem Imbiss ab. An und
für sich müsste ich manchmal Schmerzensgeld bekommen. Vor allem: Die Frauen
kapieren gar nicht, dass ein Mann das gar nicht erotisch findet. Wenn sie
sich ein bisschen geschickter anziehen würden und ihre Reize ein bisschen
verstecken würden, würden sie viel mehr Geld verdienen. Das ist manchmal
wie auf einer Geisterbahn ohne Ausgang, wenn sie den Freiern vors Auto
springen und halb angefahren werden.
Manche Anwohner haben einen richtigen Hass auf den Strich entwickelt.
Nee, einen Hass schieb ich nicht. Gegen Prostitution ist nichts
einzuwenden. Man braucht es ja auch. Jeder soll machen, was er für richtig
hält. Moralisch oder unmoralisch ist mir egal. Es sollte nur ein bisschen
kultivierter sein. Das ist doch keine Tabledance Bar, sondern eine
öffentliche Straße.
Wie würden Sie Ihre Rolle im Kiez beschreiben?
Ich versuche, mich rauszuhalten. Die Mädchen bekommen am Imbiss natürlich
ihre Ware. Das muss ich auch machen. Aber die Zuhälter versuche ich auf
Distanz zu halten. Die bekommen eine Selters oder ein Bier. Dann wisch ich
den Tisch ab und sage: „Tut mir leid, bitte gehen Sie.“ Die merken, dass
sie bei mir nicht Fuß fassen können. Sie essen eine Currywurst, und dann
gehen sie weiter. Dadurch, dass ich nicht gerade höflich zu ihnen bin,
sammeln sie sich woanders.
Wo halten sich die Zuhälter auf?
150 Meter weiter gibt’s ein paar Läden. Dort sind auch des Öfteren
Polizeieinsätze. So was hab ich Gott sei Dank in 38 Jahren noch nicht
gehabt.
Was sind das für Läden?
Läden mit Spielautomaten. Was die Mädchen vorne verdienen, wird von den
Zuhältern hinten in die Spielautomaten gesteckt. Die kassieren die Mädchen
sofort ab. Die dürfen nicht mehr als 20 Euro in der Tasche haben.
Woher wissen Sie das so genau?
Das sehe ich und höre ich. Ich unterhalte mich mit den Leuten.
Haben Sie Mitleid mit den Frauen?
Mit manchen schon. Manchmal kommen sie morgens an und haben gar nichts.
Nicht mal einen Euro für ’nen Kaffee. Da wollen sie anschreiben. Ich frage
sie dann: „Warum machst du denn das?“ Die eine sagt, sie müsse noch sechs
Jahre machen, dann hätten die Eltern in Bulgarien einen Kredit abbezahlt.
Die Frauen werden dazu gezwungen. Ich sage dann: „Steig doch einfach aus!“
Dann heißt es: „Nee, geht nicht, wegen der Familie.“ Vor ein paar Monaten
hab ich mich mit einer Frau unterhalten, die hochschwanger war. Sie hat
erzählt, das Kind werde verkauft.
Glauben Sie so etwas?
Ich weiß nicht. Ich habe die Frau seither nicht mehr gesehen. Ich habe mich
bei jemandem erkundigt: Man kann erst was machen, wenn das Kind da ist.
Vielleicht hat sie es ja nach der Entbindung doch behalten. Wenn ich hier
was gelernt habe, dann ist es das: Auf dieser Straße ist nichts unmöglich,
was möglich ist.
Wie würden Sie die Zustände beschreiben?
Krass. Eine Frau, die am Tag vorher noch ’ne Wurst bei mir gegessen hatte,
wurde da hinten tot in der Grünanlage aufgefunden. Oder der Inhaber des
Möbelladens Kretzer: Das Geschäft war in der Bülowstraße. Sein Sohn hat
eine Prostituierte umgebracht. Der alte Kretzer wiederum wurde in seiner
Wohnung erschlagen und lag da zwei Tage tot. Die Wohnung war da drüben
(Mikeleit zeigt auf die andere Straßenseite), direkt gegenüber von meinem
Imbiss. Das ist schon krass.
Würden Sie sich bei Handgreiflichkeiten einmischen?
Habe ich schon gemacht. Eine Frau ist mal direkt vor dem Imbiss von einem
Zuhälter geschlagen worden. Da hab ich gebrüllt, sie sollen sofort damit
aufhören. Da haben sie gedroht: „Wenn wir das nächste Mal hier
vorbeifahren, schießen wir dich ab!“ So banale Drohungen kommen schon mal
vor. Aber das muss man nicht so eng sehen. Auch im Krieg wird die
Versorgungsstation in den seltensten Fällen plattgemacht. Einen gewissen
Respekt haben sie ja. Sie wollen nicht ausgewiesen werden oder Ärger
bekommen. Die wollen Geld verdienen, auf welchem Weg auch immer.
Der Imbiss ist demnach so eine Art Fels in der Brandung?
In den ganzen 38 Jahren war einmal ein Einbruch. Das war in der
Hausbesetzerzeit in den 80ern, als Roland am Nollendorfplatz gebrannt hat
und bei Möbel-Hübner die Scheiben eingeschmissen wurden. Bei mir sind Leute
durch die Dachluke eingestiegen, haben das Zeug rausgeholt, sich auf die
Kreuzung gesetzt und gegrillt. Der Imbiss wird auch nicht bemalt. Jeder
achtet darauf. Einmal wurden zwei geschnappt, die haben mit Spraydosen
versucht, was ranzumalen. Bums war die Polizei da. Hier im Umkreis sind
sehr viele Zivilfahnder unterwegs.
Haben Sie eine Waffe?
Nee. Wer Waffen mit sich rumträgt, zieht Gewalt an, sagt man ja. Ich bin ja
auch nicht gerade der Zierlichste … Außerdem: In der Fritteuse hab ich
immer 175 Grad heißes Fett, und dann hab ich Chilipulver. Aber man ist hier
trotz allem sicher, wenn man dazugehört.
Sie können jede Menge Geschichten erzählen. Ist Ihr Privatleben auch so
spannend?
Ich bin seit sechs Jahren geschieden. Also Single. Wenn das eine reiche
Frau lesen sollte: Ich bin gerne zu haben (lacht). Nö. Ich leb ganz normal.
Mein Sohn hat grad sein Abi gemacht. Er lebt nicht bei mir, wir haben aber
guten Kontakt. Bin ein bisschen vom Buddhismus angehaucht. Wenn es mir
möglich ist, gehe ich im Winter auch mal nach Asien. Oder ich fahre mit dem
Motorrad in den Dschungel, den River Quai habe ich auch schon
runtergemacht.
In welchem Stadtteil leben Sie?
In Lankwitz. Geboren bin ich im Wedding. Mit zehn bin ich nach Sylt ins
Kinderheim gekommen. Ich galt als schwer erziehbar.
Wie würden Sie es nennen?
Ich hatte einen Stiefvater bekommen. Plötzlich passte ich in die Familie
nicht mehr rein. Ich fühlte mich in die Enge gedrängt und hab’ mich
gewehrt. Da hat man mich weggeschickt. Aber das sind Geschichten aus dem
alten Rom.
Trotzdem interessant. Was geschah dann?
Als ich mit 14 von Sylt zurückkam, habe ich eine Lehre angefangen bei Opel
als Autolackierer und Karosserieklempner. Erneute Familienzwistigkeiten
haben mich gezwungen, auf Trebe zu gehen. Auf dem Bahnhof Zoo habe ich mich
in der Reichsbahn versteckt. Da war ich fünfzehneinhalb. Kurz vor Italien
hat man mich geschnappt. Erst saß ich vier Wochen in der Jugendhilfsstelle
in Alt-Moabit hinter Gittern. Danach bin ich ins Grüne Haus – das
Jugenderziehungsheim am Waidsmannsluster Damm – gekommen. So ging’s immer
weiter.
Haben Sie auch Straftaten begangen?
Nee, nee, nee. Kriminell war ich nie. Ich habe auch keine bunten Bilder an
den Armen. Nix. Von solchen Sachen hab ich mich immer schön ferngehalten.
Gehen Sie eigentlich auch manchmal zu Prostituierten?
Na klar gehe ich auch zu Prostituierten. Jetzt gleich gehe ich zum Beispiel
noch zur asiatischen Massage, „body to body“. Da ist doch nichts gegen
einzuwenden. Aber hier auf der Straße, im Kiez, würde ich nie was anfassen.
Ich weiß ja, wie hygienisch das hier ist … Die Frauen haben die Klamotten
manchmal tagelang an, und sie waschen sich auch nicht.
Wie kommen Sie zu der Annahme?
Wo denn? Die steigen aus bei den Freiern und stehen weiterhin da. Sie haben
überhaupt keine Möglichkeit, sich zu waschen.
Unterhalten Sie sich darüber mit den Freiern?
Natürlich, das sind doch auch meine Kunden. Manche sagen auch: Guck mal, da
steht ’ne Neue. Da kommt der Urinstinkt durch.
Wie bitte?
Das Jagdfieber. Die kommen mit der Illusion her, die Frau ist ganz frisch
auf dem Strich. Dass sie sozusagen die Eroberer sind. Dass die Frau gerade
aus Hamburg oder Frankfurt kommt und dass sie schon in Bulgarien oder
Rumänien angeschafft hat, wissen die wenigsten. Hier in der Gegend gibt es
viele Bordelle, wo eine halbe Stunde Komplettpaket, ich sag’ mal, 35 Euro
kostet. Da ist das Zimmer bei. Aber viele Freier haben Schwellenangst. Die
wollen in ihrem gewohnten Umkreis bleiben. Das Auto ist bei denen wie ein
„home“ sozusagen. Da wollen sie es machen.
Wo fahren die Frauen mit den Freiern hin? Viele Freiflächen gibt es im Kiez
ja nicht mehr.
Bei Möbel-Hübner auf den Parkplatz in einer Ecke, wenn die Möglichkeit
besteht. Ein sehr interessanter Parkplatz ist auch Conrad Elektronik. Da
kann man bis nach oben fahren und ist unbeobachtet. Auch zum Europa-Center
fahren sie. Parkhäuser sind der wichtigste Anlaufpunkt.
Haben Sie an Ihrem Imbiss eigentlich viele Stammkunden?
Sehr viele.Vom Arbeitsgericht, Richter, Angestellte. Ein paar Politiker
waren auch schon da. Herr Momper hat ’ne Wurst gegessen, Mister Sarrazin
auch oder Diepgen, als er noch Regierender Bürgermeister war. Bauarbeiter
kommen natürlich auch. Querbeet, was die Stadt hergibt an Menschen.
Was schätzen die Leute so?
Höchstwahrscheinlich, dass ich keinen Industrie-Ketchup nehme. Ich habe
eine Firma, die rührt den extra nach meinem Rezept für mich an. Mein
Ketchup schmeckt eben noch nach Tomate. Früher war sogar Johanniskraut
drin. Na ja und eine vernünftige Fleischerwurst eben halt. Keine
Fabrikwurst. Meine Buletten kommen auch gut an.
Wie lange wollen Sie den Job noch machen?
Noch so lange, wie sie mich lassen. Wenn die Kontrollbehörde darauf
besteht, dass ich eine Wasser- und Abwasserleitung legen lassen muss – das
geht angeblich nicht mehr so, wie es 38 Jahre ging –, heißt das: Es ist
aus. Dann muss ich die Klappe runtermachen und Hartz IV beantragen.
8 Oct 2012
## AUTOREN
Plutonia Plarre
Miguel Lopes
## TAGS
Kiosk
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