# taz.de -- Wohnungssuche zum Semesterstart: Zimmer verzweifelt gesucht | |
> Laut Studentenwerk fehlen in Deutschland 15.000 Wohnheimplätze. Studenten | |
> müssen in Fitnessräumen oder zur „Untermiete bei Oma“ leben. | |
Bild: Studi sucht Wohnung auf dem Schwarzen Brett der Uni Hannover – aber da … | |
Bei Semesterbeginn bleibt für Sportgeräte kein Platz: Crosstrainer und | |
Ergometer müssen Etagenbetten weichen. Der Fitnessraum im Siegener | |
Studentenwohnheim wird im Herbst zum Notquartier für wohnungslose | |
Erstsemester. | |
„Unsere Wohnheime sind bis nächstes Jahr alle dicht“, sagt Burkhard Lutz, | |
Leiter des Bereichs Wohnen beim Siegener Studentenwerk. Und nicht nur dort | |
ist die Lage jetzt zu Semesterbeginn angespannt: In elf Uni-Städten quer | |
durch die Republik haben die Studentenwerke Notquartiere eingerichtet. | |
In Bonn appellieren Studierendenvertreter und Uni gemeinsam an die | |
Bevölkerung, mit dem ein oder anderen ungenutzten Zimmer heimatlosen Erstis | |
aus der Verzweiflung zu helfen. In Kiel versucht das Studentenwerk, | |
angehende Akademiker bei Senioren einzuquartieren. | |
„Untermiete bei Oma“ nennt sich das Projekt, andernorts heißt es „Wohnen | |
für Hilfe“. Die Idee: Für ein günstiges Dach über dem Kopf gehen die | |
Studierenden bei Einkäufen und Alltagserledigungen zur Hand. | |
## Volle Hörsäle | |
In den Uni-Städten werden nicht nur die Hörsäle voller, auch bei | |
Wohnungsbesichtigungen treten sich Nachwuchsakademiker gegenseitig auf die | |
Füße. Vergangenes Jahr nahmen 516.000 Schulabgänger ein Studium auf – ein | |
Rekord in der Geschichte der Bundesrepublik. In diesem Jahr dürfte die Zahl | |
nur leicht darunter liegen, schätzen die deutschen Kultusminister. | |
Das liegt auch daran, dass 2012 in vier Ländern doppelte Abiturjahrgänge | |
die Schulen verlassen haben: In Berlin, Baden-Württemberg, Brandenburg, | |
Bremen und Hessen gingen diesen Sommer die letzten Abiturienten, die das | |
Gymnasium 9 Jahre besuchten besuchten, gleichzeitig mit den ersten ab, die | |
ihr Reifezeugnis schon nach 8 Jahren in den Händen halten. | |
Vor allem in den kleinen Uni-Städten in Süddeutschland schlagen ein paar | |
tausend Studienanfänger mehr sofort durch, sagt Georg Schlanzke, | |
Referatsleiter Wohnen beim Deutschen Studentenwerk. Die Faustregel: „Je | |
höher der Studentenanteil, desto schwieriger wird es auf dem | |
Wohnungsmarkt.“ | |
Rund 10 Prozent der Erstsemester ergattern einen Platz in einem der | |
Wohnheime der Studentenwerke. Die Zimmer dort werden in der Regel durch den | |
Staat und die Semesterbeiträge aller Studierenden subventioniert; im | |
Schnitt kosten vier Wände mit Dach 214 Euro warm im Monat. | |
Die Kriterien, nach denen die Studentenwerke ihre Zimmer vergeben, sind | |
unterschiedlich. Mancherorts entscheidet das Los; andere Studentenwerke wie | |
etwa das in München schließen von vornherein Bewerber aus, die aus der Nähe | |
kommen und deswegen einfach weiter im „Hotel Mama“ logieren könnten. | |
## Zu wenig Wohnheimplätze | |
229.000 Wohnheimplätze gibt es bundesweit. Viel zu wenige, sagen die | |
Studentenwerke. Im Moment wird zwar kräftig aufgestockt, 10.000 neue Plätze | |
sind in Bau. Doch selbst mit diesen fehlen noch 15.000 günstige Bleiben, | |
sagt Wohnverantwortlicher Schlanske. Ein Problem: Die Länder fördern den | |
Wohnungsbau extrem unterschiedlich. Bayern etwa bezuschusst jeden neuen | |
Platz mit 26.500 Euro, Niedersachsen gibt gar nichts. | |
Schlanzke fordert daher, den Hochschulpakt, mit dem Bund und Länder neue | |
Studienplätze finanzieren, durch einen „Hochschulpakt für die soziale | |
Infrastruktur“ zu ergänzen. Rund 400 Millionen Euro Fördermittel wären | |
nötig, um ausreichend Wohnraum für die zusätzlichen Studienanfänger zu | |
schaffen. Hinzu kämen noch Gelder für größere Mensen und mehr | |
Beratungsangebote. | |
Das Problem liegt aber nicht allein darin, dass mehr Menschen an die Unis | |
drängen, sondern auch darin, dass sie alle gleichzeitig kommen: Weil die | |
Unis ihre Zusagen spät herausschicken und inzwischen fast alle Studiengänge | |
zum Winter- und kaum noch zum Sommersemester beginnen, ist der | |
Wohnungsmarkt zwischen September und Oktober regelrecht verstopft. | |
Alle suchen zur selben Zeit. Daher drängt sich den Zimmerinteressenten der | |
Eindruck drohender Obdachlosigkeit selbst dort auf, wo es eigentlich | |
genügend Wohnraum gibt. | |
Das Studentenwerk Siegen schafft es meistens, die Gestrandeten nach und | |
nach aus dem Fitnessraum in richtige Wohnungen zu vermitteln. Ab November | |
kehren Crosstrainer und Ergometer zurück, und die Etagenbetten werden | |
eingemottet. Bis zum nächsten Herbst. | |
8 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Bernd Kramer | |
## TAGS | |
München | |
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