# taz.de -- Sonderheft des „Merkur“-Magazins: Hoffen auf Lösungsvorschläge | |
> Ein Sonderheft des Magazins „Merkur“ befasst sich mit der „Macht und | |
> Ohnmacht der Experten“. Fachleute bestimmen zunehmend den Diskurs. Nicht | |
> ohne Folgen. | |
Bild: Vom Saulus zum Paulus: Finanzexperte Mario Draghi. Erst Vize von Goldman … | |
BERLIN taz | Wer sich als jemand „vom Fach“ äußert, sei es zu Wirtschafts… | |
Umwelt- oder Gesundheitsfragen, beansprucht mit seinem Urteil Autorität und | |
damit meistens auch Herrschaft über den Diskurs. Im Namen der Wissenschaft | |
ausgesprochene Expertenmeinungen wollen daher, ganz wie bei der Entdeckung | |
eines kausalen Prinzips, gern mal als Naturgesetz gelten. | |
Mit Folgen für die Art und Weise, wie öffentliche Debatten geführt werden. | |
Als Fachleute für Details in einer unübersichtlich erscheinenden Realität | |
gelten Experten heute in fast allen Lebensbereichen als unabdingbar. Sie | |
beraten politische Entscheidungsträger bei Gesetzesvorhaben, oft nehmen sie | |
so Einfluss auf die Legislative. | |
Ein Sonderheft des Magazins Merkur konzentriert sich nun auf „Macht und | |
Ohnmacht der Experten“, die, so Herausgeber Christian Demand, in den Medien | |
„das große Wort“ führen. Von einem „Aufstieg der Experten“ spricht de… | |
auch der Rechtsphilosoph Uwe Volkmann. Dieser gehe mit einem Abschied vom | |
Politischen einher. | |
Am Gegensatz zwischen Vernunft und Interesse führt Volkmann in einem | |
Durchlauf durch die Staatstheorie vor, dass Phänomene wie die Einsetzung | |
von Technokraten als Staatsoberhaupt etwa in Italien einem alten | |
Verständnis des Politischen folgen. Ein Finanzexperte wie Mario Monti | |
stünde für einen Politikbegriff, in dem eine objektive Vernunft | |
sachorientierte Entscheidungen trifft und sich dabei stets auf „Sachzwänge“ | |
berufen kann. Diese vermeintlich „alternativlose“ Gestaltung entstamme | |
jedoch einer vorpolitischen Welt, in der die „Herrschaft der Vernunft“ auf | |
eine „Herrschaft des Unpolitischen“ hinauslaufe. | |
## Prinzip Hoffnung | |
Der Kern des Politischen besteht für Volkmann eben nicht in der Anwendung | |
von Expertenwissen, vielmehr sei Interesse die Triebkraft politischer | |
Entscheidungen. Zudem könnten Experten selbst nur Vorschläge machen, „für | |
deren Erfolg das Prinzip Hoffnung gilt“. | |
Was mit der Politik geschieht, wenn sie sich zu stark auf die | |
Zusammenarbeit mit Experten einlässt, führt der Soziologe Wolfgang Streeck | |
am Beispiel von Wirtschaftsexperten wie Larry Summers vor, dem einstigen | |
Chefökonomen der Weltbank, der 1995 unter Bill Clinton US-Finanzminister | |
wurde. In seiner Amtszeit trieb er maßgeblich die Deregulierung der | |
Finanzmärkte voran, was ein Jahrzehnt später beinahe zum Zusammenbruch des | |
Kapitalismus führte. 2008, im Jahr der Finanzkrise, wurde Summers dann von | |
Barack Obama zum Direktor des National Economic Council berufen und hielt | |
im November desselben Jahres bei Goldman Sachs einen Vortrag, für den er | |
mit einem Honorar in Höhe von 130.000 US-Dollar entlohnt wurde. | |
Streeck hält den Umstand, dass Goldman Sachs von der US-Regierung gerettet | |
wurde, während man Lehman Brothers bankrottgehen ließ, für keinen Zufall. | |
Der Fall zeige die Symbiose von Goldman Sachs mit seinen Experten und dem | |
amerikanischen Staat. Bei der Gelegenheit weist Streeck ebenfalls darauf | |
hin, dass EZB-Präsident Mario Draghi von 2002 bis 2005 Vizepräsident von | |
Goldman Sachs war. Streecks empörte Schlussfolgerung: „Müssen wirklich | |
diejenigen, die den Wagen an die Wand gefahren haben, als Rettungssanitäter | |
gerufen werden?“ | |
Als Resultat dieser Entwicklung drohe eine Expertokratie, „die beauftragt | |
ist, dem Kapitalismus die Demokratie auszutreiben“. Wie der FAZ-Redakteur | |
Jürgen Kaube bemerkt, beruhe sie auf einem Denkfehler, die Behauptung, nur | |
eine Expertenherrschaft sei der Sache angemessen, impliziere eine | |
„nichtfachliche Entscheidung darüber, welche Experten womit Gehör finden“. | |
Eine entsprechende Berufungsentscheidungskompetenz dürfte bis auf Weiteres | |
vermutlich ein Desiderat bleiben. | |
Die gute Botschaft: Auch Dilettanten werden noch gebraucht. | |
8 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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