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# taz.de -- ASYL: Der letzte Gefangene
> Schon lang leert sich der Berliner Abschiebegewahrsam in Grünau. Nun
> sitzen dort nur noch zwei Flüchtlinge: Einer von ihnen ist Mohamed Mehdi
> Rouhou.
Bild: Geraten in Berlin zur Scheinrepression: Leere Asylknäste.
Man solle im Besucherraum an Tisch 1 warten, sagt der Sicherheitsmann.
Nicht, dass es egal wäre: Auch alle restlichen Tische in dem weiten Raum
sind leer. Vergitterte Fenster, Linoleum, ein an die Wand gepinseltes
Segelboot – Wartezimmer-Aura.
Dann wird durch eine Gittertür Mohamed Mehdi Rouhou hereingeführt. Der
lächelt höflich, setzt sich an Tisch 1, rückt sein Basecap auf den
schwarzen Locken zurecht. Er wisse auch nicht, was das hier alles soll,
sagt Rouhou, ein 31-jähriger Tunesier, sportlicher Typ, wache, braune
Augen. „So ein riesiges Gefängnis und keiner drin.“ Rouhou lacht leise,
ungläubig. „Das ist doch nicht normal.“
Mohamed Rouhou hat eine besondere Rolle: Er ist der letzte Häftling im
Berliner Abschiebegefängnis, in Grünau, draußen am Südostrand der Stadt.
Zumindest bis vor kurzem, sagt Rouhou. Da sei noch ein Ukrainer gekommen.
Das Abschiebegefängnis, ein grauer Plattenbau, sechs Etagen hoch, hinter
einer stacheldrahtbewehrten Mauer, einst für 371 Gefangene gebaut, er ist
heute ein Geisterknast. Verwaiste Etagen, leere Gänge. Und an diesem Tag im
Besucherraum zwei gelangweilte ältere Sicherheitsleute, von denen einer ein
paar Meter entfernt das Gespräch mit Rouhou im Auge behält.
Sechs Betten gebe es in seinem Zimmer, erzählt der Tunesier. Die habe er
alle für sich. Genauso wie die Küche, von der er, anders als von seinem
Zimmer, auch über die Mauer gucken kann, aufs Wasser, die Dahme.
Morgens werde ihm Frühstück gebracht, erzählt Rouhou. Danach schaue er
Fernsehen, dann gebe es Mittag. Wieder Fernsehen, Abendbrot. Die Hofgänge,
eine Stunde vormittags, eine nachmittags, spare er sich meistens, sagt
Rouhou. Zu langweilig. Vor kurzem, als noch ein Pole da gewesen sei, hätten
sie draußen Tischtennis und Basketball gespielt. Dann sei der Pole weg. Mit
dem Neuen, dem Ukrainer, habe er noch nicht viel zu tun gehabt. Der spreche
leider nicht seine Sprachen, sagt Rouhou. Arabisch, Französisch, Englisch.
Er habe immer gedacht, da kämen noch andere. „Aber es kommt keiner.“
Am 26. September brachte die Polizei Rouhou in den Abschiebegewahrsam. Weil
er keine Papiere hat, weil er zurück nach Tunesien soll, das er nach
eigenen Angaben vor acht Jahren verließ. Einen Abschiebetermin habe man ihm
noch nicht mitgeteilt, sagt Rouhou. Nicht mal ein Anwalt sei bisher
vorbeigekommen. „Das ist alles eigenartig. Ich kann nur sitzen und warten.“
Wer nach Grünau kommt, hat sein Asylverfahren verloren. Oder er hat keine
Papiere, ist nicht „freiwillig“ ausgereist, steht oft kurz vor der
Abschiebung. 214 Plätze hält der Gewahrsam noch bereit. Doch schon in den
letzten Jahren waren kaum mehr als ein Fünftel belegt. 1.739 Flüchtlinge
waren 2006 noch inhaftiert – im letzten Jahr nur mehr 546. In diesem Jahr
sind es nochmal deutlich weniger: Nur 14 Asylbewerber saßen bisher im
Schnitt in Grünau, die meisten von ihnen Vietnamesen. Das Land zahlt für
den Betrieb trotzdem 936.000 Euro im Monat, stellt weiter 180 Bedienstete.
War der Grund für den Rückgang zuerst die EU-Osterweiterung, ist es nun
eine schärfere Rechtsprechung. Haft für Asylbewerber soll nur noch im
Ausnahmefall stattfinden. Die Opposition will mehr: Grünau solle gleich
ganz geschlossen werden.
Auch Innensenator Frank Henkel (CDU) kennt die Zahlen. Es sei tatsächlich
ein Missverhältnis, räumte er jüngst ein. Aber er müsse sich nun mal an das
Aufenthaltsgesetz halten, dort sei eine „Sicherungseinrichtung“
vorgeschrieben.
Schon länger beraten Berlin und Brandenburg aber über eine Zusammenlegung
ihrer Abschiebegefängnisse – dann wohl in Eisenhüttenstadt. Das, sagen
Flüchtlingsverbände und Opposition, helfe niemanden. Weil Bekannte und
Anwälte aus Berlin nur noch mit hohem Aufwand zu den Inhaftierten kämen.
Es ist nicht nur Grünau. Auch der Flughafengewahrsam in Schönefeld, vor
sechs Wochen neu eröffnet, steht derzeit komplett leer. 28 Plätze gibt es
dort, für Flüchtlinge, deren Asylchancen schlecht stehen und denen ein
Schnellverfahren droht. Ganze drei Flüchtlinge saßen seit Eröffnung ein,
drei Syrer. Sie wurden schon nach einem Tag in Flüchtlingsheime überstellt,
in normale Asylverfahren.
Die Asylknäste, sie geraten in Berlin zur Scheinrepression. Das an sich sei
erfreulich, sagt Martin Schröter von der Initiative gegen Abschiebehaft.
Nur bleibe für die verbliebenen Flüchtlinge die „totale Isolation“. Desha…
müsse Grünau geschlossen werden, sagt Schröter. „Sofort, ersatzlos.“
Was Mohamed Mehdi Rouhou nach Grünau brachte, klingt verworren. Sein
Wirtschaftsstudium habe er in Europa beenden wollen, sagt er. Von Tunis sei
er im polnischen Lodz gelandet. Habe dort Frau und einen fünfjährigen Sohn,
beide aber vor einem Jahr im Streit verlassen müssen – über Chemnitz, in
die Schweiz. Dort schob man ihn wieder zurück nach Deutschland ab, nach
Zwickau. Dann landete Rouhou in Grünau.
Der 31-Jährige hat ein paar Schreiben vor sich liegen, die er nicht
versteht. Sein Asylantrag sei abgelehnt, steht darauf. Er habe aber nie
Asyl beantragt, behauptet Rouhou. 1.714 Euro kostet sein Haftplatz im
Monat, ein Drittel muss er am Ende selbst zahlen – falls er abgeschoben
wird. Warum solle er das zahlen, fragt Rouhou. Er wolle doch gar nicht im
Knast sein, auch nicht in Deutschland, sondern zurück in die Schweiz. Hätte
er nur seine Papiere nicht in Polen gelassen. Hätte er nur einen Anwalt.
Rouhou lächelt immer wieder, er ist nervös. Einmal am Tag besucht ihn eine
Frau vom Sozialdienst. Ab und zu kommen auch ein Seelsorger oder Martin
Schröter von den Abschiebegegnern. Dann hat Rouhou jemanden zum Sprechen.
Das hilft, sagt der. Rouhou dreht mit dem Finger in der Luft. „Gegen die
Gedanken im Kopf.“
Rouhou geht zurück, wird von dem Wachmann durch den Gittergang geführt,
hoch in den dritten Stock, in sein leeres Sechs-Mann-Zimmer. Wieder
Fernsehen. Auch wenn Rouhou gar nicht versteht, was dort gesprochen wird.
Oder doch zum Ukrainer. Vielleicht lässt sich ja doch mit dem reden.
13 Oct 2012
## AUTOREN
Konrad Litschko
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