# taz.de -- Antifaschistischer Preis: „Regeln bewusst übertreten“ | |
> Warum die Hamburger Stiftung Auschwitz-Komitee ihren | |
> Hans-Frankenthal-Preis an den Hamburger Autor Thomas Ebermann verleiht. | |
Bild: Antifaschistische Arbeit: Hans Frankenthal (rechts) 1999 bei der Hauptver… | |
taz: Herr Terfloth, Herr Klingner, warum vergibt Ihre Stiftung den | |
Hans-Frankenthal-Preis? | |
Martin Klingner: Wir sorgen dafür, dass die nationalsozialistischen | |
Verbrechen nicht relativiert werden und sich rechtsextremes Gedankengut | |
nicht wieder gesellschaftlich manifestiert. Der Preis ist einer unserer | |
vielen Versuche, den Bogen von damals nach heute zu schlagen. Wir wollen | |
die Überlebenden darauf aufmerksam machen, was passiert ist, damit es nicht | |
wieder passiert. Aus dem Grund haben Hans Frankenthal, Esther Bejarano und | |
andere das Komitee aufgebaut. | |
Die bisherigen Preisträger machen ja sehr verschiedene Dinge. | |
Klingner: Erinnern heißt eben nicht, bloß auf die Vergangenheit zu schauen. | |
Der Künstler Wolfram P. Kastner stellte in einer Aktion einen Kontext | |
zwischen verbrannten Büchern und rassistischen Fahrkartenkontrollen her. | |
Die Gruppe Ultra Sankt Pauli baute ein internationales Netzwerk gegen | |
rassistische Tendenzen in den Fußballstadien auf und Helmke Kaufner und | |
Ingeborg Luth von der Initiative „Finkenwerder Arbeitskreis Außenlager | |
Deutsche Werft des KZ Neuengamme“ setzen sich gegen das Vergessen vor Ort | |
ein. | |
Und der jetzige Preisträger, der Grünen-Mitbegründer und Hamburger Autor | |
Thomas Ebermann? | |
Klingner: Die Arbeit seiner Vers- und Kaderschmiede fand großen Anklang bei | |
der Jury, weil die Kombination aus großer historisch-politischer Kenntnis | |
und viel ehrenamtlichem Engagement es erst möglich macht, antifaschistische | |
Texte auf die Bühne zu bringen, die sonst im Theaterbetrieb nie gezeigt | |
würden. Die Art und Weise der Aufbereitung des Themas und seine | |
Präsentation in szenischen Lesungen ermöglicht eine sehr dichte und tief | |
gehende Auseinandersetzung mit einzelnen Geschichten zum Beispiel ehemals | |
Verfolgter. | |
Woher stammt das Geld für den Preis? | |
Moritz Terfloth: Aus einem Erbe. | |
Etwa einem Nazi-Erbe? | |
Terfloth: Nein. Kein Nazigeld. Einige belastete Erben sind von | |
verantwortungsbewussten Menschen ja ausgeschlagen worden oder für Projekte | |
gegen den Geist der Eltern verwendet worden. Unser Spender hatte einfach | |
Glück. Vor 55 Jahren kauften seine Eltern auf Sylt eine Immobilie. Die | |
Explosion der Immobilienpreise machte die Stiftung möglich. Er selbst ist | |
seit Jahren gegen das Vergessen der Verbrechen des Nationalsozialismus | |
aktiv. | |
Der Namensgeber des Preises, Hans Frankenthal, hat eine Biografie mit dem | |
Titel „Verweigerte Rückkehr“ geschrieben. Hat er damit sein Leben nach 1945 | |
auf den Punkt gebracht? | |
Terfloth: Die Überlebenden konnten das lebende schlechte Gewissen der | |
wohlgefälligen Mehrheitsgesellschaft sein. Frankenthal wurde als | |
Jugendlicher nach Auschwitz verschleppt. Dort überlebte er die Zwangsarbeit | |
in dem von der IG Farben betriebenen Außenlager Monowitz. Die Todesmärsche | |
führten ihn nach Theresienstadt, wo er befreit wurde. Das Schweigen in | |
seinem Geburtsort, zu dem er zurückgekehrt war, und die erneute Ausgrenzung | |
bewegten ihn, Mitglied im Zentralrat der Juden zu werden und das | |
Auschwitz-Komitee mit zu gründen. | |
Nicht selten ist zu hören, dass es auch ein Zuviel an Erinnerung gibt, dass | |
Jugendliche durch die Dauerpräsenz des Themas nicht mehr erreicht werden. | |
Terfloth: Diese Aussage hören wir öfters, aber nicht von Jugendlichen, | |
sondern von mittelalterlichen Menschen, die das den Jugendlichen in den | |
Mund legen. Ich habe den Verdacht, dass Auseinandersetzungsunwillige ganz | |
bewusst Schüler vorschieben, um sich weiter zu verweigern. | |
Klingner: Wenn wir mit den Überlebenden an Schulen sind, erleben wir auch | |
etwas anderes. Mit ihren Schilderungen erreichen die Zeitzeugen die | |
Jugendlichen. Durch ihre Authentizität sprechen sie sie ganz anders an. | |
Ihre Vorstandskollegin Else Werner war Zeitzeugin, sie ist dieses Jahr mit | |
101 Jahren verstorben. | |
Klingner: In der Erinnerungs- und Gedenkkultur werden schon länger | |
Diskussionen geführt, wie das Sterben der Zeitzeugen sich auswirkt. Durch | |
Interview, Bild und Filmdokumente wird versucht, ihre Geschichten zu | |
bewahren. Wir haben unsere Mitglieder, die Haft, Deportation, Zwangsarbeit, | |
Auschwitz, Theresienstadt überlebten, auch ermutig, ihre Biografien zu | |
schreiben. | |
Ihr Komitee betont, dass die Erinnerung an die NS-Vergangenheit lang gegen | |
staatliche und öffentliche Widerstände erstritten werden musste. Gewisse | |
Kreise würden das wohl „linksradikale Bestrebungen“ nennen. | |
Terfloth: Für die wäre selbst die taz linksradikal. Unsere Preisträger | |
kommen auch aus kirchlichen Hintergründen. Es drückt aber die wieder | |
vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse aus, dass Antifaschismus | |
als linksextrem verstanden wird. Antifaschistische Arbeit kam aber immer | |
aus verschiedenen Strömungen. | |
Klingner: Eine Skepsis gegenüber staatlicher Aufarbeitung und | |
Erinnerungspolitik darf uns unterstellt werden. So wollen wir auch nicht | |
gerade jene fördern, die staatliche Förderungen erhalten, sondern jene, die | |
keine Unterstützung erfahren. Auch weil sie politisch unangepasst sind. | |
Die Förderbedingungen staatlicher Preise stören das Auschwitz-Komitee? | |
Klingner: Diese Preise sind vor allem an sogenannte Extremismusklauseln | |
gebunden. Kastner hätte keinen solchen Preis bekommen, da er sich auch mit | |
Obrigkeiten anlegt. Er schneidet einfach mal Kranzschleifen von Neonazis | |
ab, um sie für ein Kunstprojekt neu zu deuten. Wohl eine Straftat. Aber | |
Antifaschismus muss eben auch mal kämpferisch durchgesetzt werden und | |
Regeln bewusst übertreten. Nur so entsteht Bewegung auch beim Erinnern. | |
Eine gezielte Regelübertretung ist erwünscht? | |
Terfloth: Wenn sie sinnvoll und der Sache dienlich ist, eine angemesse | |
Ausdrucksform ist, ja, dann ist sie mehr als erwünscht. | |
24 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
Andreas Speit | |
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Helmut Schmidt | |
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