# taz.de -- Das Wort zum Sonntag: Saures für Luthers Geist | |
> Religion ist wieder in. Warum bloß? Eine Kolumne aus der neuen | |
> Wochenendausgabe der taz.berlin. | |
Bild: Luther war ein kluger Kopf - und ein großer Hassprediger. | |
Rein geschmacklich sind die Bonbons unauffällig (Zitrone – Orange – | |
Johannisbeere). Aber da ist der augenzwinkernde Mann auf dem | |
Einwickelpapier. Wir erkennen ihn sofort: Martin Luther, Reformator. Am | |
Mittwoch haben Berlins evangelische Gemeinden „Luther-Bonbons“ mit vollen | |
Händen verteilt – sie sollten eine Botschaft transportieren, die der Kirche | |
sehr am Herzen liegt, aber zunehmend in Vergessenheit gerät: Der 31. | |
Oktober ist Reformationstag. | |
Vor allem der Jugend soll das Datum schmackhaft gemacht werden. Die hat zum | |
Leidwesen der protestantischen Oberen andere Pläne am Novembervorabend: Sie | |
malt sich eitrige Wunden ins Gesicht und wirft sich ins Zombiekostüm, um | |
der Nachbarschaft Zuckerzeug abzutrotzen. Süßes oder Saures, Halloween | |
rules. So viel Gruselspaß ist für Luthers Erben bitter. Dass das | |
angelsächsische Importfest ausgerechnet mit dem wichtigsten Gedenktag des | |
Protestantismus zusammenfällt, will ihnen gar nicht schmecken. Und so | |
werden sie nicht müde, Halloween als „inhaltsleeren Geisterkult“ | |
anzuprangern, als abergläubische Angstmache. | |
Luther hingegen, an dessen Wittenberger Thesenanschlag der 31. Oktober | |
erinnert, Luther soll moralischen Nährwert besitzen: Seine „Einsichten | |
waren ein starker Impuls für ein neues Verständnis von Gewissensfreiheit, | |
Menschenwürde und aktiver Weltverantwortung“, schrieb Landesbischof Markus | |
Dröge in seiner B.Z.-Kolumne. Und dann schenkte der Bibelübersetzer von der | |
Wartburg den Deutschen auch noch ihre schönsten Redewendungen! „Bildung und | |
Glaube sind seit Martin Luther untrennbar miteinander verbunden“, findet | |
Dröge. | |
Onkel Martin, Deutschlands erster Lesepate? Das sollte man so nicht stehen | |
lassen. Sicher, Luther war ein kluger Kopf – und ein großer Hassprediger. | |
Nicht nur gegen die dekadenten römischen Päpste versprühte er Gift, auch | |
aufständische Bauern, „Hexen“, behinderte Kinder und Muslime fanden bei ihm | |
keine Gnade. | |
Am schlimmsten aber hetzte er gegen die Juden. Kolportierte die Mär von den | |
Brunnenvergiftern, den Kinderdieben. Und forderte schließlich, „dass man | |
ihre Synagoga oder Schulen mit Feuer anstecke und was nicht brennen will, | |
mit Erde überhäufe und beschütte“. Enteignen, wegsperren wollte er die ihm | |
Verhassten und nur die „jungen starken“ dazu zwingen, ihr Brot „im Schwei… | |
der Nasen“ zu verdienen. | |
Wenn am Freitag wieder der Pogromnacht von 1938 gedacht wird, sollte man | |
nicht vergessen: Es war die Nacht auf den 10. November – Martin Luthers | |
Geburtstag. Braune Protestanten verstanden das damals als eine Art spätes | |
Geschenk. | |
Ja, der Wittenberger war ein Kind seiner Zeit, aber zum Botschafter der | |
Toleranz macht ihn das noch lange nicht. Der Zuckerspuk Halloween erscheint | |
dagegen jedenfalls extrem harmlos. Und übrigens: Im Gegensatz zu heutigen | |
Kindern, die dabei lernen, dass böse Geister Mummenschanz sind, hatte | |
Luther zeit seines Lebens Angst vor echten Dämonen. | |
4 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prösser | |
## TAGS | |
Kirche | |
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