# taz.de -- Interview mit Autor Holm Friebe: „Was haben wir da angerichtet“ | |
> Holm Friebe hat mit seinem Buch „Wir nennen es Arbeit“ 2006 die | |
> intellektuellen Grundlagen für die Digitale Boheme geschaffen. Wie denkt | |
> er heute darüber? | |
Bild: Rumfrickeln und Kaffee trinken: Damit wurde die Digitale Boheme berühmt. | |
taz: Herr Friebe, macht es heute noch Sinn, Ihr Buch „Wir nennen es Arbeit“ | |
zu lesen, das Sie 2006 mit Sascha Lobo geschrieben haben? | |
Holm Friebe: Es ist teilweise von nostalgisch-archäologischem Interesse - | |
als zeitsymptomatisches Dokument: Wie hat man 2006 über das Potenzial von | |
Second Life gedacht? Was war Social Networking vor dem Siegeszug von | |
Facebook? Andere Dinge waren durchaus hellsichtig und haben heute noch | |
Bestand. | |
Was genau ist daran noch aktuell? | |
Die Wirtschafts- und Finanzkrise beschleunigt die Umbrüche der Arbeitswelt | |
- und erhärtet damit einen Trend, den wir damals eher erspürt als erforscht | |
haben: Dass das alte anempfohlene Kalkül „Sicherheit und Karriere gegen | |
Loyalität und Einvernehmen“ so nicht mehr gilt. Dass vermeintlich | |
vernünftige Optionen wie eine Banklehre oder ein Jurastudium sich als | |
Sackgasse erweisen können, wohingegen das beherzte und passionierte | |
Selbermachen im Kreise Gleichgesinnter oft in robusten Erwerbsbiografien | |
mündet. | |
Sehen Sie sich als der Wortführer einer Gruppe? | |
Bei der Digitalen Boheme handelt es sich eben nicht um eine Gruppe mit | |
Anführern oder gar eine Sekte. Wir haben den Begriff als Sozialcharakter, | |
als soziologisches Label kreiert, das für ein breites aber distinktes | |
Phänomen steht. Nämlich für die Menschen, die es darauf ankommen lassen, | |
ihr eigener Chef zu sein, und nicht bereit sind zu akzeptieren, dass Arbeit | |
als fixe Summe Leiden von der wachen Lebenszeit abgezogen wird. | |
Welche Rolle spielt dabei der schräge Eigensinn, das planlose Herumdaddeln? | |
In scheinbar sinnlosen, oder zumindest hobbyistisch-brotlosen | |
Freizeitaktivitäten steckt ganz viel Potenzial. Nehmen wir die Hacker und | |
Frickler der 90er Jahre: Sie wurden zu den Pionieren des Webs, weil sie | |
Dinge mit einem gewissen Pioniergeist und Nerdtum angegangen sind, die | |
später für weite Teile ihrer Generation zur Lebensgrundlage wurden. Kleine | |
Nischen, von Enthusiasten erobert, können sich in riesige Volumenmärkte | |
verwandeln. Sich von fixen Ideen und dem Spaß am Rumexperimentieren leiten | |
zu lassen, ist oft nicht der schlechteste Ratgeber. | |
Will die junge Generation heute nicht mehr rumexperimentieren? | |
Sie ist schwer beeindruckt von der Bangemacherei wohlmeinender Eltern, | |
Lehrer und Professoren und lässt sich dadurch ins karrieristische Boxhorn | |
jagen. Als Dozent an Kunsthochschulen erlebe ich ja die heutige | |
Studentengeneration als zutiefst eingeschüchtert und wundere mich mitunter, | |
dass sie alle so brav und angepasst, so rechtschaffen und strebsam sind. | |
Ein bisschen mehr Hedonismus täte denen mal ganz gut. | |
Wird in Berlin die allzeit daddelbereite Boheme durch eine neue Garde | |
abgelöst, die anders tickt? | |
Neue Garde klingt sehr preußisch in meinen Ohren. Nach meinem Eindruck sind | |
die neuen Gründer sehr viel gelassener und souveräner, als es die | |
Protagonisten der New Economy waren: Oft schützen sie ihre Idee vor | |
Business Angles und Venture Capitalisten, bis sie von allein fliegt. Dann | |
wiederum gibt es die Start-Up-Streber, die direkt aus dem Elite-Studium in | |
St. Gallen kommen und alles auf einmal wollen: den Kuchen essen und ihn an | |
die Armen verteilen, erfolgreiche Unternehmer sein, aber auch die Welt | |
retten. Sie nennen es „Social Entrepreneurship“. | |
Was spricht denn dagegen, die Welt zu retten, dabei aber nicht verarmen zu | |
wollen? | |
Die Idee ist ja nicht schlecht, aber muss man das mit so einem Pathos vor | |
sich her tragen? Manchmal gruselt mich die Emphase, mit der sie über die | |
Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit reden. Lass mal gut sein, denke ich dann. | |
Beziehungsweise: Was haben wir da angerichtet? Aber es ist das Privileg der | |
Jugend, die ältere Generation bis aufs Mark zu provozieren - und sei es | |
durch rechtschaffene Strebsamkeit. | |
Mehr zum Thema in der nächsten Wochenendausgabe der taz.berlin - am Samstag | |
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8 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Joanna Itzek | |
## TAGS | |
Sascha Lobo | |
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