# taz.de -- Heidemarie Ott über Rollen und Muster: "Eine neubürgerliche Spie�… | |
> Die alten Rollenmuster, die die Mütter vorlebten, sind hartnäckig. Das | |
> waren sie sogar in der DDR, sagt Heidemarie Ott, Leiterin des Hamburger | |
> Literaturzentrums. | |
Bild: Wundert sich darüber, dass Frauen einander so wenig unterstützen und er… | |
taz: Frau Ott, plädieren Sie für die Quote in Chefetagen? | |
Heidemarie Ott: Ja. Die Quote scheint mir ein geeignetes Werkzeug zu sein, | |
um paritätische Verhältnisse auch in Bezug auf gut bezahlte Jobs | |
herzustellen. | |
Was heißt „scheint“? | |
Es wäre ja auch denkbar, dass es nicht funktioniert. Die Erfahrungen der | |
Nordeuropäer mit der Quote sind allerdings positiv. Auch Soziologen und | |
Politologen sagen, dass erst ab einem Frauenanteil von 30 Prozent spürbar | |
wird, dass männliche Maßstäbe bei Entscheidungen nicht das einzige | |
Kriterium sind. Noch besser wären natürlich 50 Prozent Frauen. Denn das | |
Spektrum an Eigenschaften, die mit einem Mann verbunden werden, ist in der | |
Regel sehr begrenzt, und das für Frauen ebenfalls. Da muss einfach Vielfalt | |
hinein. | |
Korrelieren die zugeschriebenen Eigenschaften stets mit dem biologischen | |
Geschlecht? | |
Das biologische Geschlecht spielt aus meiner Sicht überhaupt keine Rolle. | |
Ich glaube, dass die Unterschiede zwischen Frauen und Männern sehr gering | |
sind. Sie werden aber im Kapitalismus künstlich erzeugt, weil das den | |
meisten Profit bringt. Wenn man in der Werbung ständig die Unterschiede | |
betont, identifizieren sich die Leute damit, und man kann Frauen leichter | |
Schönheitscremes verkaufen und Männern dicke Autos. | |
Sie kamen als 15-Jährige aus der DDR in den Westen. Welches Frauenbild | |
brachten Sie mit? | |
Man wurde in der DDR nicht zur Frau oder zum Mann erzogen, sondern zur | |
„sozialistischen Persönlichkeit“ – was ja leider nicht geklappt hat. Aber | |
es wurde immer behauptet, dass es in der DDR eine Emanzipation im Keim | |
gegeben habe, und das würde ich bestätigen. Die staatliche war eine eher | |
geschlechtsneutrale Erziehung, die auf die Aktivierung der eigenen | |
Ressourcen zielte und nicht darauf, einem Weiblichkeitsideal zu | |
entsprechen. | |
Bot die DDR also die totale Gleichberechtigung? | |
Nein, aber sie war das erklärte Ziel. Tatsächlich haben dort viele Frauen | |
in technischen Berufen gearbeitet. Mädchen hatten dort den Mut, ein langes | |
Bauingenieur-Studium auf sich zu nehmen. Und sie fürchteten nicht, als | |
unattraktive Frau zu gelten, wenn sie eine Maurerkelle in die Hand nahmen. | |
Trotzdem mussten die ganztags berufstätigen DDR-Frauen auch Haushalt und | |
Kinder stemmen. Die Männer nicht. Wie erklären Sie sich das? | |
Damit, dass wohl trotz der sozialistischen Erziehung die tradierten | |
Rollenverhältnisse noch wirkten, die die Mütter vorgelebt hatten. Das habe | |
ich auch in meiner Familie beobachtet: Mein Vater diskutierte mit dem | |
Bürgermeister, und seine zweite Frau räumte derweil den Esstisch ab. | |
Beobachten Sie im Westen einen Rückschritt in puncto Emanzipation? | |
Ja. Das fängt mit dem Betreuungsgeld an und endet damit, dass viele Frauen | |
wieder in der Mutterfalle verschwinden und – wie Bascha Mika es nennt – die | |
bequemen Rollen wieder annehmen. Denn die Mutterschaft bietet ihnen – | |
unabhängig davon, ob sie einen Beruf errungen oder sonst etwas geleistet | |
haben – in jedem Fall gesellschaftliche Anerkennung. Wie absurd das ist, | |
zeigt die Gegenprobe: Kein Mann wird dadurch zum „Kerl“, dass er eine | |
abgebrochene Ausbildung, einen Hilfsjob, dafür aber ein Kind gezeugt hat. | |
Frauen haben aber immer diese Möglichkeit – besonders jetzt, wo es eine | |
neobürgerliche Spießigkeit samt Rückkehr zur Kleinfamilie gibt. | |
Warum erliegen gut ausgebildete Frauen in diesen Mustern? | |
Einerseits, weil viele Frauen um die 40 die Emanzipation zu leicht genommen | |
haben. Nach den kämpferischen 70er-Jahren haben sie gedacht: Es ist alles | |
gesagt, also ist auch alles erreicht. Sie glaubten, einem Mädchen mit | |
Einser-Abi stünden alle Jobs offen. In Wirklichkeit sind die Jungs mit dem | |
Dreier-Abi an ihnen vorbeigezogen, weil sie die besseren Netzwerke hatten | |
und einander gefördert haben. Frauen haben immer noch nicht richtig | |
verstanden, dass man das machen muss. Abgesehen davon entscheiden viele | |
Paare immer noch anhand ökonomischer Kriterien, wer den Beruf zurückstellt. | |
Das ist fast immer die Frau. | |
Ist das der einzige Grund? | |
Nein, es gab noch eine zweite Komponente: dass nämlich in den 90er-Jahren, | |
als Frauen in der New Economy tatsächlich ganz gute Jobs hatten, plötzlich | |
verkündet wurde, diesen Karrierefrauen fehlten Kinder, ein fester Partner, | |
kurz: die Liebe. Das hat viele Frauen total verschreckt. Dazu haben | |
übrigens auch pseudo-feministische Serien wie „Sex in the City“ | |
beigetragen. Die wurden massenhaft auch von Akademikerinnen konsumiert, und | |
die haben sich wahrscheinlich täuschen lassen von den | |
schein-emanzipatorischen Bildern. | |
Der Verein ProQuote fordert mehr Frauen in Chefetagen von Medienhäusern. | |
Empfinden Sie, ob eine Zeitung von Frauen oder Männern gemacht ist? | |
Das empfinde ich generell nicht. Ich stelle vielmehr fest, dass zum | |
Beispiel in der taz sowohl Männer als auch Frauen gute Artikel zu | |
Gender-Themen schreiben. Es gibt dort männerkritische Artikel von Männern | |
und frauenkritische von Frauen. Das finde ich sehr gut. Trotzdem finde ich | |
die Forderung nach der Quote wichtig: Frauen müssen Zugang auch zu gut | |
bezahlten Jobs bekommen. Außerdem muss sich unsere Gesellschaft endlich vom | |
Ein-Ernährer-Prinzip verabschieden. Es wundert mich immer wieder, dass es | |
so wenige Männer gibt, die sich gegen erdrückende Männerbilder wehren. | |
16 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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