| # taz.de -- Ach die 60er: "Winnetou hat den Zeitgeist getroffen" | |
| > Die 1960er Jahre sind wieder en vogue. Davon profitiert auch die | |
| > Oldenburger Ausstellung "Mini, Mofa, Maobibel". Ihr Kurator Michael | |
| > Reinbold über Mode, Trends, Zeitzeugen und Karl May. | |
| Bild: Die Kleidung der 1960er ist auch wieder zu sehen. | |
| taz: Herr Reinbold, die neue Ausstellung im Landesmuseum befasst sich mit | |
| den 60er-Jahren. Warum gerade diese Zeit, warum jetzt? | |
| Michael Reinbold: Es ist schon so, dass die 60er im Trend liegen – das | |
| sieht man daran, dass auch andere Häuser 60er-Ausstellungen machen, etwa | |
| das Museumsdorf Cloppenburg, das zuletzt eine sehr interessante Ausstellung | |
| zu den 60ern auf dem Land hatte. Allerdings hatten wir die Idee schon vor | |
| vier Jahren. Damals hatten wir eine 50er-Jahre-Schau, und während der | |
| Planung dachten wir: Wenn das funktioniert, machen wir weitere | |
| Dezennien-Ausstellungen, dann kommen die 60er, 70er, 80er dran. | |
| Woran liegt es denn, dass die 60er im Trend sind? Daran, dass sich mancher | |
| wieder in einer Art Umbruchzeit wähnt? | |
| Das mag sein. Ich glaube aber, es liegt eher daran, dass die 60er-Jahre die | |
| erste Epoche gewesen sind, die wir rückblickend als modern bezeichnen | |
| können. Das trifft auf die heutige Zeit ja um so mehr zu, und dann | |
| vergleicht man: Wie waren die Lebensverhältnisse damals, wie heute? Die | |
| ganzen technischen Möglichkeiten, die Kommunikationsmittel, die man heute | |
| hat, gab es damals nicht – und trotzdem hat es funktioniert, trotzdem war | |
| es eine absolute Aufbruchzeit. Sicher haben manche Menschen auch einen eher | |
| nostalgischen Bezug, aber eigentlich war es ja eine unruhige, angstvolle | |
| Zeit: Der Dritte Weltkrieg schien ja vor der Tür zu stehen und bestimmte | |
| durchaus das Lebensgefühl. | |
| Bei diesem Thema sehen sich die meisten Ausstellungsmacher in der | |
| Situation, selbst Zeitzeuge zu sein und über einen eigenen | |
| Erfahrungshorizont zu verfügen. Ist das eher hilfreich oder hinderlich? | |
| Sowohl als auch. Es ist hilfreich, weil man weiß, welche Themen wichtig | |
| waren. Das ist bei den 50ern schwieriger, da muss man mehr Literatur | |
| heranziehen. Hinderlich ist es, weil immer die Gefahr besteht, dass man | |
| seine eigenen Erfahrungen zum Maßstab macht und meint, diese oder jene | |
| Objekte müssten in die Ausstellung, weil man zu ihnen eine besondere | |
| Beziehung hatte. Wir hoffen, dass wir diesen Gefahren entgangen sind. | |
| Gibt es ein Beispiel, bei dem Sie und ihr Mitkurator Siegfried Müller | |
| verschiedener Ansicht waren, ob ein Exponat als typisch 60er gelten kann? | |
| Manchmal hatten wir unterschiedliche Schwerpunkte gesehen. Im Bereich der | |
| Freizeit etwa habe ich Skifahren als nicht besonders wichtig angesehen – | |
| Herr Müller, der in seiner Jugend selbst Ski gefahren ist, hat dann aber | |
| nachweisen können, dass der österreichische Skitourismus in den 60er-Jahren | |
| eine enorme Bedeutung in Westdeutschland hatte. | |
| Sie sagten, dass wiederkehrende Modewellen als Auslöser für solche | |
| kulturhistorischen Ausstellungen fungieren können, so auch jetzt bei den | |
| 60ern. Kommt das häufiger vor? | |
| Wenn solche Modewellen wieder aufgegriffen werden, bekommt man das als | |
| Ausstellungsmacher natürlich mit. Dann stellt man fest: Die 60er | |
| interessieren die Leute plötzlich, und versucht, dieses Interesse zu | |
| bedienen und ihnen Informationen über diese Zeit zu vermitteln. Die Mode | |
| sagt ja nichts über die 60er-Jahre aus; die Leute, die das schick finden, | |
| wissen über diese Zeit oft nichts. Da kann so eine Ausstellung hilfreich | |
| sein, das kulturelle Umfeld, in dem eine solche Mode entstanden ist, zu | |
| zeigen. | |
| Aber lässt sich das denn von dem Umstand trennen, dass die 60er durch die | |
| Zeitzeugen noch sehr präsent sind? Würde es beispielsweise auch mit den | |
| 20ern funktionieren, falls deren Stil wieder in Mode kommen sollte, etwa in | |
| Form einer „Golden Twenties“-Ausstellung? | |
| Ich glaube schon, ja. Auch wenn die gar nicht so „golden“ waren – das war | |
| ja eigentlich eine üble Zeit. Insofern fände ich das sehr interessant, um | |
| den Leuten, die diese Kleidung tragen, zu zeigen, was damals wirklich los | |
| war. Nicht, um sie zu belehren, sondern um zu zeigen, in welchem Kontext | |
| Dinge stehen, mit denen man sich täglich umgibt und die einem von der | |
| Industrie so entgegengebracht werden. | |
| Apropos Mode. Als „schönstes Ausstellungsstück, das man sich nur wünschen | |
| kann“ bezeichneten Sie das hier gezeigte Winnetou-Kostüm. Inwieweit sind | |
| die Karl-May-Filme ein typisches Produkt der 60er? | |
| Winnetou hat den Zeitgeist getroffen. Karl May war als Volksschriftsteller | |
| noch sehr präsent, alle Jugendlichen hatten sich irgendwann mal an einem | |
| seiner Bücher versucht, auch wenn es nicht alle zum Ende geschafft haben. | |
| Die 60er boten zudem erstmals die Möglichkeit, statt vor Kulissen gleich im | |
| Ausland zu drehen, auch wenn es Jugoslawien war und nicht Amerika. In den | |
| 50ern hätte man sich das nicht leisten können. In den 70ern war diese | |
| „weiche Cowboy-Welle“ vorbei, dann waren Italowestern angesagt, eine ganz | |
| andere Hausnummer. Die Winnetou-Filme waren ja weichgespült ohne Ende – sie | |
| waren gnadenlos kitschig. In den 70ern war das überlebt, dann funktionierte | |
| das nur noch im Fernsehen. | |
| Das wird man dann in den 70er- und 80er-Ausstellungen vermutlich sehen. | |
| Müssen wir denn dazu abwarten, bis Schulterpolster und Vokuhila-Frisuren | |
| wieder „in“ sind? | |
| Nee – man hat ja auch immer die Hoffnung, dass nicht alles Schreckliche | |
| wiederkommt. Das wird immer mal wieder angerissen von Modedesignern, die | |
| ständig überlegen müssen, wo sie ihre Ideen herkriegen. Die leben ja | |
| eigentlich auch in der Vergangenheit und graben in der Mottenkiste. Im | |
| Grunde genommen sind die Möglichkeiten der Mode erschöpft. Man kann nur | |
| noch schauen, was von dem, was bereits gewesen ist, für die Zukunft nochmal | |
| interessant wäre. | |
| 29 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Maik Nolte | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
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