# taz.de -- Prozess gegen Ex-Schatzmeister: Mit grünem Geld ins Rotlicht | |
> Als Grünen-Schatzmeister in Brandenburg veruntreute Christian Goetjes | |
> 300.000 Euro. Die Behörden ermitteln wegen Zuhälterei. | |
Bild: Der Ex-Schatzmeister der Brandenburger Grünen, Christian Goetjes (r.), u… | |
BERLIN taz | Am Nikolaustag hat Christian Goetjes Geburtstag. Grund zum | |
Feiern hat er nicht. Mit dann erst 35 Jahren steht er vor den Trümmern | |
seines Lebens. Zehn Jahre hatte Goetjes als Schatzmeister die Gelder des | |
Brandenburger Landesverbands von Bündnis 90/Die Grünen verwaltet und auch | |
die des Kreisverbands Oberhavel. | |
Seit Anfang November muss er sich vor der Großen Strafkammer des | |
Landgerichts Potsdam verantworten, weil er zwischen Januar 2009 und Februar | |
2011 Geld von Parteikonten auf sein Privatkonto überwiesen hat – 267 Mal. | |
Insgesamt brachte er die Partei um 292.728,76 Euro. Vor Gericht geht es um | |
einen besonders schweren Fall von Untreue. Der Fall Goetjes bietet aber | |
weit mehr Zutaten für ein schillerndes Drehbuch. | |
Im Februar 2011 hatte Goetjes der Partei per Mail seinen Rücktritt von | |
allen Ämtern mitgeteilt. Er brauche mehr Zeit für sein Wirtschaftsstudium | |
an einer Berliner Fachhochschule. Dort war er zu diesem Zeitpunkt schon | |
exmatrikuliert. Mit Goetjes verschwanden 40.000 Euro von den Parteikonten. | |
Die Grünen forschten nach und stießen auf weitere Unregelmäßigkeiten. | |
Ihr ehemaliger Schatzmeister war da längst untergetaucht, es dauerte fünf | |
Wochen, bis die Polizei ihn in Berlin festnehmen konnte. Die | |
Staatsanwaltschaft Eberswalde ermittelte wegen des Verdachts der | |
Geldwäsche. Goetjes’ Bank hatte Auffälligkeiten bei Kontobewegungen | |
festgestellt und Anzeige erstattet. | |
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Bei den späteren Verhören inszenierte sich Goetjes als Opfer seiner eigenen | |
Gutgläubigkeit. Auf dem Straßenstrich in Berlin habe er eine | |
heroinabhängige bulgarische Prostituierte kennengelernt, der er eine | |
Drogenentziehung im Ausland finanziert habe. Nach dem Ende der Beziehung | |
habe er eine andere bulgarische Prostituierte kennengelernt, bei der er | |
zwischenzeitlich auch gewohnt habe. Mit ihr hielt er sich während seiner | |
Flucht in Bulgarien auf. | |
Die Frau habe Probleme mit Geldverleihern gehabt, sei bedroht und | |
misshandelt worden. Auch ihr habe er mit dem Geld der Grünen helfen wollen. | |
Ein edler Ritter, geblendet von seinen Gefühlen? Nachdem er seine Flucht | |
abgebrochen hatte, habe er nichts mehr von der Frau gehört. Erst da will er | |
gemerkt haben, dass sie ihn ausgenutzt hatte. | |
Das Bild vom naiven Biedermann bekam am zweiten Verhandlungstag tiefe | |
Risse. Ursprünglich war ein schnelles Urteil erwartet worden, doch der | |
Vorsitzende Richter Jörg Tiemann überraschte mit Informationen des Berliner | |
Landeskriminalamts. Eine Prostituierte hatte Anzeige gegen Goetjes | |
erstattet, weil sie sich von ihm bedrängt und verfolgt fühlte. Goetjes soll | |
als Zuhälter mehrere Frauen vermittelt und auf zwei Internetseiten in | |
„eindeutiger Milieusprache“ geworben haben. Die Frauen habe er zu Freiern | |
chauffiert und sich die Einnahmen in Höhe von 100 Euro mit ihnen geteilt. | |
„Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte Huren für Haus- und | |
Hotelbesuche vermittelt“, sagte der Richter. Sogar als er schon vor Gericht | |
stand, soll Goetjes seine Geschäfte fortgesetzt haben. Eine dafür | |
verwendete Telefonnummer sei auf den Namen seiner Mutter angemeldet | |
gewesen. | |
## 300 Euro von den Eltern | |
Christian Goetjes ist groß, Typ kräftiger Bär. Sein Verteidiger wirkt neben | |
ihm verloren. Goetjes trägt einen Igelschnitt, vor Gericht ist seine Stimme | |
klar, er hält Blickkontakt zum Richter und zu den Zeugen. Dreimal ist er | |
durch das Abitur gerasselt, eine Ausbildung oder ein Studium hat er nicht | |
abgeschlossen. Von 1999 bis 2001 war er Vorsitzender der Grünen Jugend | |
Brandenburg und Kreisvorsitzender in Oberhavel. | |
Im Tatzeitraum wohnte er noch bei seinen Eltern in Hohen Neuendorf nördlich | |
von Berlin. Sie unterstützten ihn monatlich mit 300 Euro. Dazu kamen 350 | |
Euro Sitzungsgeld als Stadtverordneter in Hohen Neuendorf. Den Posten als | |
Schatzmeister übte er ehrenamtlich aus. Vergangenen Sommer hatte der | |
34-Jährige den Grünen per eidesstattlicher Erklärung seine volle Schuld | |
gestanden und angegeben, von Arbeitslosengeld II zu leben und mittellos zu | |
sein. Er bot eine „Kompensationszahlung“ in Höhe von 65.000 Euro an, | |
einmalig 20.000, den Rest in Monatsraten von 1.000 Euro. Wohl wissend, dass | |
Goetjes den Gesamtbetrag nie würde zurückzahlen können, akzeptierten die | |
Grünen den Spatz in der Hand. Um die vereinbarte Rückzahlung stemmen zu | |
können, nahmen Goetjes’ Eltern eine Grundschuld auf ihr Haus auf. | |
Goetjes sei „ein Arbeitsmensch“ gewesen, sagt der Brandenburger | |
Parteivorsitzende Benjamin Raschke im Gespräch mit der taz. Er habe als | |
„guter Stratege“ gegolten, mit viel Engagement. „Ein schlauer Kopf, der um | |
drei Ecken denken kann und sich intensiv in die Parteiarbeit gekniet hat.“ | |
Manchmal habe Goetjes andere Ansichten vertreten als die Partei. Über sein | |
Privatleben wusste offenbar kaum jemand etwas. Raschke spricht von einer | |
„Parallelwelt“. | |
In das Urteil im Untreueprozess wird auch einfließen, wie leicht es Goetjes | |
gemacht wurde, sich über einen so langen Zeitraum an den Parteikonten zu | |
bedienen. Transfers auf sein Privatkonto hatte er in Sammelüberweisungen | |
versteckt, Kontoauszüge, Abrechnungen und Bilanzen gefälscht. Vor Gericht | |
sagte Goetjes, er habe gestaunt, „wie lange ich mich ohne weiteres bedienen | |
konnte“. Ein Mann mit geringen finanziellen Mitteln, der regelmäßig über | |
hohe Summen verfügen konnte: War er nicht zu anfällig, um unkontrolliert zu | |
bleiben? War der Zugriff zu leicht, wurde ihm der Weg zum Betrug geebnet? | |
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Raschke und seine Kovorsitzende Annalena Baerbock betonten vor Gericht, mit | |
welch hoher krimineller Energie Goetjes vorgegangen sei. Sie mussten aber | |
auch einräumen, infolge des Betrugs das zuvor unzureichende Kontrollsystem | |
geändert zu haben. Sammelüberweisungen seien abgeschafft und ein | |
Vier-Augen-Prinzip eingeführt worden. Eine besondere Qualifikation für die | |
Position sei indes nicht nötig gewesen, sagte Baerbock. Parteiarbeit beruhe | |
auf Vertrauen: „Wer ein Amt hat, macht das korrekt.“ | |
Wofür Goetjes das veruntreute Geld tatsächlich verwendet hat, ist noch | |
immer unklar. Die Staatsanwaltschaft in Berlin verweist darauf, dass sich | |
die Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Zuhälterei noch im Anfangsstadium | |
befänden. Der Richter im Untreueprozess ließ mit Sarkasmus durchblicken, | |
dass es begründete Zweifel an der Darstellung Goetjes’ gibt, er habe das | |
Geld allein in seine eigenen Beziehungen zu den beiden Prostituierten | |
investiert: „Was Sie in Anspruch genommen haben, kostet eigentlich 50 Euro, | |
aber Sie haben mehr als 250.000 Euro bezahlt. Ein sehr großzügiger | |
Dirnenlohn.“ | |
Noch bleibt vieles im Dunkeln. Glaubhaft wirken nur Goetjes’ Darstellungen | |
über seine Befürchtungen, der Betrug könne auffliegen. Irgendwann habe er | |
sich gefragt: „Was stellst du mit deinem Leben noch an, wenn das | |
rauskommt?“ Ende 2009 habe er Suizidgedanken gehabt, und nach seiner Flucht | |
nach Bulgarien sei er ziellos mit dem Auto herumgefahren, neben sich eine | |
Flasche Wasser mit 100 aufgelösten Schlaftabletten. | |
Vier Tage nach Goetjes’ Geburtstag sollen die Plädoyers gehalten und das | |
Urteil gesprochen werden. Derzeit ist er gegen Auflagen auf freiem Fuß, | |
wegen der Veruntreuung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Womöglich wird er | |
sich später auch für das verantworten müssen, was die Berliner | |
Staatsanwaltschaft in den nächsten Wochen über seinen Escortservice | |
zusammenträgt. Die Grünen in Brandenburg wollen die Ergebnisse der | |
Ermittlungen abwarten. Sollte sich dann herausstellen, dass Goetjes zum | |
Zeitpunkt der außergerichtlichen Einigung nicht mittellos war, wird die | |
Partei die gesamten knapp 300.000 Euro zurückfordern. Einen entsprechenden | |
Passus hatten die Grünen in der Einigung verankern lassen. Mit blindem | |
Vertrauen haben sie schlechte Erfahrungen gemacht. | |
Dies ist eine Reportage aus der neuen Wochenendausgabe der taz.berlin. | |
Außerdem in der Samstags-Ausgabe: Der neue taz-Adventskalender mit einer | |
Fotoserie der Fotografin Annette Hauschild und ein vierteiliger | |
Wochenrückblick | |
1 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Bollwahn | |
## TAGS | |
Grüne | |
Brandenburg | |
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