# taz.de -- Burschenschaft: "Büge muss sich entscheiden" | |
> Michael Büge kann nicht Staatssekretär und Mitglied der Verbindung Gothia | |
> bleiben, meint Lucius Teidelbaum, der sich wissenschaftlich mit dem Thema | |
> befasst. | |
Bild: Burschentag auf der Wartburg in Eisenach (Archivbild) | |
taz: Herr Teidelbaum, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit deutschen | |
Studentenverbindungen. Wofür steht heute eine Mitgliedschaft in einer | |
Burschenschaft? | |
Lucius Teidelbaum: Das kommt auf die Gruppe an, in den allermeisten Fällen | |
aber für sehr konservative Positionen. Burschenschaften formen ihre | |
Mitglieder nach strikten Regeln und Ritualen und dem Prinzip: Gehorche und | |
herrsche. Daraus entsteht ein streng hierarchisches und elitäres Weltbild. | |
Gerade die Gruppen unter dem Dachverband der Deutschen Burschenschaft legen | |
das auch politisch aus, und zwar extrem rechts. | |
Gerade sorgt die Mitgliedschaft von Sozialstaatssekretär Michael Büge (CDU) | |
bei der Steglitzer Burschenschaft Gothia für Wirbel. Wie problematisch ist | |
das? | |
Ich finde die Verquickung sehr problematisch. Ein Verantwortlicher, gerade | |
fürs Soziale, der in einer ultrarechten Verbindung mitmacht, bei der stets | |
eine Verachtung der allgemeinen Masse mitschwingt, das ist schwer | |
vereinbar. Und bei der Gothia geht es ja über das Konservative deutlich | |
hinaus. | |
Wie rechts ist die Gothia? | |
Auch sie ist Mitglied beim Dachverband Deutsche Burschenschaft, der nach | |
seinem Sondergipfel kürzlich noch weiter nach rechts gerückt ist. Dort | |
gehörte die Gothia bis vor ein paar Tagen sogar zum noch rechteren Flügel | |
der Burschenschaftlichen Gemeinschaft, den SPD-Generalsekretärin Andrea | |
Nahles mal treffend als völkischen Kampfverband bezeichnet hat. Und der | |
nicht ohne Grund in manchen Ländern vom Verfassungsschutz beobachtet wird. | |
Aus der Gemeinschaft ist die Gothia laut Büge aber nach dem Treffen | |
ausgetreten. | |
Nach dem Treffen? Nach dem Trubel um seine Mitgliedschaft würde ich eher | |
sagen. Das riecht doch sehr nach einer Reinigungsaktion, um ihr prominentes | |
Mitglied zu schützen. Denn die Position der Gothia ist klar: weit rechts. | |
Um Nachwuchs zu werben, schaltet sie Anzeigen bei rechten Blättern wie der | |
Jungen Freiheit oder auf dem antimuslimischen Hetzportal „Political | |
Incorrect“. Eine Zeit lang nahm die Gothia am „Heldengedenken“ zum | |
Volkstrauertag am Columbiadamm teil, zusammen mit der NPD. Und noch jüngst | |
trat sie mit einem Stand auf einem neurechten Treff in Berlin auf, dem | |
„Zwischentag“. | |
Die Gothia sagt, sie habe auch schon liberale Köpfe wie den SPDler Egon | |
Bahr eingeladen. | |
Mag sein. Genauso referierten dort aber auch Redakteure der Jungen Freiheit | |
oder Leute von der antisemitischen Ludendorffer-Sekte. Das geht so weit, | |
dass die Gothia-Villa heute ein Stützpunkt des „Instituts für | |
Staatspolitik“ ist, einem extrem rechten, antidemokratischen Thinktank. | |
Buchvorstellungen und Verlagsabende fanden dort statt. Das finde ich schon | |
ziemlich bezeichnend. | |
Die Gothia weist Rechtsextremismus von sich. | |
Das sehe ich als Schutzbehauptung. Es ist ja auch die Frage, wie ich | |
rechtsextrem verstehe. Da ist für einige ja selbst die NPD okay, da sie | |
nicht verboten ist. Ich schaue da nach Auffassungen, nach Äußerungen über | |
Minderheiten oder der deutschen Grenzfrage, was extrem rechts ist. Und dazu | |
findet man Fragliches auch bei der Gothia. | |
Sie waren selbst mal in der Gothia-Villa. Was war Ihr Eindruck? | |
Das war am 9. November letzten Jahres. Da hatte ein Querfrontler über die | |
Wirtschaftskrise referiert, ein selbst ernannter Marxist mit | |
nationalistischen Ansichten, sehr skurril. Mit seinen Ansichten und seinem | |
elitären Ton, nur er und ein paar andere könnten die Krise überhaupt | |
verstehen, hat er da aber gut reingepasst. Und nachher ging’s an die Theke. | |
Da hing oben ein Straßenschild: Reichssportfeldstraße. Die heutige | |
Flatowallee in Westend, 1936 von Hitler umbenannt. Daneben war ein | |
Werbeplakat für ein Bier aus Namibia, das mit Klischees des deutschen | |
Kolonialismus gespielt hat. Das wirkte alles nicht so distanziert nach | |
rechtsaußen. | |
Ist die Gothia repräsentativ für die Burschenschaftsszene in Berlin? | |
Es gibt etwa 45 Studentenverbindungen in der Stadt, nur eine Minderheit | |
davon sind Burschenschaften. Die aber fallen wiederholt durch rechte | |
Mitglieder oder Vorträge auf. Zum Beispiel ist der Chefredakteur des | |
rechtsextremen Hochglanzmagazins Zuerst Mitglied bei den „Märkern“. Und der | |
Studentenbund „Herrmann von Wissmann“ feiert auch schon mal deutsche | |
Kolonialmörder. | |
Aber sind Burschenschaften nicht längst bedeutungslose Randerscheinungen? | |
Ihr Einfluss hat auf jeden Fall abgenommen. Als an der FU vor kurzem | |
Burschenschaftler in Uniform auftraten, gab es ja auch Proteste und eine | |
klare Distanzierung der Hochschulleitung. Das zeigt, dass die Verbindungen | |
nicht mehr viel zu sagen haben. Auf der anderen Seite gibt es die | |
konservative Sängerschaft Borussia in Tiergarten, die gleich mehrere | |
CDU-Funktionäre hervorgebracht hat. | |
Unter anderem Innensenator Frank Henkel. | |
Richtig. Und wenn man in die Wirtschaft guckt: Da sitzen in den Vorständen | |
immer noch zu 20 Prozent Verbindungsmitglieder. Und die reproduzieren | |
natürlich ihr konservatives Weltbild, etwa was Frauenfragen in der | |
Einstellungspolitik angeht. | |
Staatssekretär Büge hat sich inzwischen von rechtsextremem Gedankengut | |
distanziert. Reicht das nicht? | |
Ich finde nicht. Das Weltbild der Gothia passt einfach nicht zu einem | |
Posten im Sozialen. Büge muss sich entscheiden: entweder für das eine oder | |
das andere. | |
2 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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