# taz.de -- Immobilienhandel in Berlin: "Prinzipien machen nicht satt" | |
> Micol Singarella lebte lange in einem linken Hausprojekt, heute verdient | |
> sie ihr Geld als Maklerin. | |
Bild: Berliner Wohnungen sind begehrt. Hier: Häuser mit Luxus-Eigentumswohnung… | |
taz: Frau Singarella, Sie haben in London Literatur und Philosophie | |
studiert und in Berlin jahrelang die Geschicke eines linksalternativen | |
Hausprojekts in Friedrichshain geleitet – nun verdienen Sie als Maklerin an | |
den steigenden Immobilienpreisen der Stadt. Wie passt das zusammen? | |
Micol Singarella: Die Gentrifizierungsdebatte, ich weiß. Aber ich finde es | |
etwas einfach zu sagen: Ich gehöre zu den Bösen, weil ich mein Geld mit dem | |
Immobilienboom hier verdiene. Denn den Markt stoppen kann ich sowieso nicht | |
– wenn das Ehepaar aus Frankreich für seinen Sohn eine Wohnung kaufen will, | |
dann wird es das tun. Aber man kann meinen Job auch verantwortungsvoll | |
machen. | |
Was heißt: verantwortungsvoll? | |
Indem ich dem Käufer aus Mailand erkläre, dass die 1.000 Euro, für die er | |
seine gekaufte Wohnung vermieten will, zu viel sind für die paar | |
Quadratmeter Altbau in Friedrichshain. Oder indem ich meinen Kunden davon | |
abrate, das Doppelte der Miete zu nehmen – was andere in meiner Branche | |
durchaus tun –, die je nach Wohnlage als üblich ausgewiesen ist im | |
Mietspiegel. Denn Mieter finden Sie immer, sofort. Berlin ist immer noch | |
unglaublich billig. | |
Immerhin steigen die Mieten laut Mietspiegel seit Jahren um etwa 2,5 | |
Prozent pro Jahr. Was heißt also: billig? | |
In Friedrichshain kann man zwischen 5 und 10 Euro Miete pro Quadratmeter | |
nehmen. In Mitte, Neukölln und Prenzlauer Berg ist es ähnlich. Wedding ist | |
noch billiger, vielleicht 5 bis 7 Euro für eine durchschnittlich | |
ausgestattete Altbauwohnung. | |
Wie viel verdienen Sie an einem Kunden? | |
Rund 7 Prozent des Kaufpreises bleiben als Kommission für mich. | |
Wann haben Sie gemerkt, dass auf dem Berliner Wohnungsmarkt Geld zu | |
verdienen ist? | |
Vor gut drei Jahren habe ich mir zwei Wohnungen gekauft, in Friedrichshain | |
und Kreuzberg – die ich übrigens zu durchschnittlichen 6 bis 7 Euro pro | |
Quadratmeter vermiete. Dann haben Freunde zu Hause in Italien und London | |
gesehen, dass man hier sicher investieren kann. Und ich habe angefangen, | |
mich für sie umzusehen. | |
Als Geisteswissenschaftlerin dürften Sie anfangs nicht unbedingt Ahnung vom | |
Immobiliengeschäft gehabt haben. | |
Ich habe gelernt, mir Dinge zu erarbeiten. Es läuft ohnehin alles über | |
Kontakte. Also habe ich anfangs sehr viele Abendessen mitgemacht, mit | |
Leuten aus der Branche. Wenn ich meinen Job gut mache, empfiehlt man mich | |
weiter. Eigentlich ist es leicht. Freunde von mir machen es jetzt genauso | |
wie ich, mit Erfolg. | |
Woher kommen die Kunden? | |
Es sind Leute aus der Mittelschicht, vor allem aus Südeuropa. Das Geld auf | |
dem Sparbuch zu lassen ist in der Finanzkrise zu unsicher geworden, und die | |
deutsche Wirtschaft gilt ihnen als stabil. Ohnehin kaufen sie, auch mal | |
abgesehen von der Finanzkrise, aus einer anderen Motivation heraus als die | |
Deutschen. | |
Wie meinen Sie das? | |
Sie vertrauen weniger auf den Sozialstaat. Für mich als Italienerin ist das | |
anders – ich habe mir irgendwann gedacht: Was mache ich eigentlich, wenn es | |
mir schlecht geht? So denken auch viele meiner italienischen und spanischen | |
Kunden. Es sind nicht unbedingt die Reichen – eher Leute, die lange gespart | |
haben, Sicherheit wollen und nun für ihre Kinder, die hier studieren, eine | |
Wohnung kaufen, die sie auch vermieten können. | |
Wie haben Sie Ihren Mitbewohnern aus dem linken Hausprojekt eigentlich | |
ihren Job erklärt? | |
Prinzipien sind schön, aber sie machen nicht satt. Ich kann nicht für eine | |
NGO arbeiten, die mich nicht bezahlt. Außerdem bin ich als Person ja auch | |
mehr als mein Job. Ich kann trotzdem ganz romantisch an eine gerechtere | |
Gesellschaft glauben und zum Beispiel gegen Gentrifizierung demonstrieren. | |
Ist das aber nicht ein bisschen schizophren in Ihrem Fall? Immerhin | |
verdienen Sie am besten, wenn sich möglichst viele potenzielle Käufer für | |
den Immobilienmarkt hier interessieren. Und ihre Kommission steigt auch, | |
wenn die Preise steigen. | |
Ich glaube, wie gesagt, dass man trotzdem fair bleiben kann in diesem | |
Markt. Ich muss auch immer lachen, wenn mich Leute kritisieren, die auf | |
Demos gegen Gentrifizierung gehen – und denen Mama die Wohnung bezahlt. | |
Klar lässt es sich gut Boheme sein, wenn man mit 40 Jahren ein bisschen was | |
erben wird. Oder wenn es einem nichts ausmacht, dass der Staat für einen | |
aufkommt. Manche müssen eben arbeiten, damit andere Gedichte schreiben | |
können. Das ist nicht gerecht, aber so ist es. | |
Wann wird der Berliner Immobilienmarkt erschöpft sein durch das Geld? | |
In zwei bis fünf Jahren, sagen Kollegen. | |
Und dann? | |
Entweder die Leute zahlen mehr für ein geringeres Angebot. Oder ich werde | |
mich vielleicht mehr darum kümmern, die Eigentumswohnungen von anderen zu | |
vermieten. | |
Oder die jetzt günstigen Wohnungen werden in ein paar Jahren zu einem | |
höheren Preis verkauft. Durch die günstigen Kaufpreise und die steigenden | |
Mieteinnahmen sollte man ja sehr schnell eine gute Rendite erzielen können. | |
Ja. Das wird man aber wahrscheinlich erst in ein paar Jahren merken. Wer in | |
Deutschland eine Immobilie kürzer als zehn Jahre besitzt, muss recht hohe | |
Steuern beim Verkauf zahlen. | |
Auf welche Städte konzentriert sich das Immobiliengeschäft als Nächstes? | |
Budapest, sagen manche. Oder Istanbul. Jedenfalls geht es ostwärts. | |
Sie könnten ja auch einfach weiterziehen. | |
Nein, ich mag Berlin. Die vielen verschiedenen Szenen, die sich hier selbst | |
verwirklichen, vielleicht mehr als in anderen Städten. Ich mag meine | |
Volksküche nebenan. | |
Ihrer Branche wird vorgeworfen, genau diese Offenheit in Berlin zu | |
zerstören. Vielleicht also auch Ihre Volksküche. | |
Geld muss nicht immer etwas Negatives sein. Man kann viel über | |
Gentrifizierung schimpfen. Aber: All diejenigen, die jetzt nach Berlin | |
kommen und hier investieren, bringen Geld in die Stadt. Sie generieren | |
Jobs. Und manchmal sind die Bösen vielleicht gar nicht so böse: Ich bin | |
Teil des Markts, aber ich kann den Markt mitgestalten – eben indem ich | |
meinen Kunden erkläre, ab wann der Mietpreis, den sie sich vorstellen, | |
definitiv Gier wäre. Außerdem glaube ich an die positive Energie des | |
Geldes. | |
Wie sieht die aus? | |
Wenn ich 40 bin, kann ich mit dem Geld, das ich jetzt verdiene, die | |
alternativen Szene in Berlin unterstützen. | |
Oder Sie schreiben einfach Gedichte. | |
Ja, genau! | |
11 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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