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# taz.de -- Kampfsport: Fairer als beim Fußball
> Den Mixed Martial Arts haftet ein negatives Image an. Dabei ist der Sport
> technisch anspruchsvoll - und das Publikum in der Universal Hall eher
> fachkundig als blutdurstig.
Bild: Technisch anspruchsvoll: Mixed Martial Arts.
„Ich weiß nicht, warum ich zugesagt habe“, stöhnt Jesse-Björn Buckler. Es
sind noch fünf Stunden bis zu seinem Kampf in der ausverkauften Universal
Hall in Moabit. Erst zwei Tage zuvor war Buckler gefragt worden, ob er für
einen ausgefallenen Kämpfer einspringen könnte. Zwei Tage. An Vorbereitung
war nicht mehr zu denken. Aber Buckler ist einer der erfahrensten Kämpfer
der „gemischten Kampfkünste“ (Mixed Martial Arts – MMA) in Deutschland, …
so konnte er die Bitte seines Trainers Frank Burczynski schlecht
abschlagen. Burczynski ist auch der sportliche Leiter dieser vierten
Auflage von „We Love MMA“, die am Samstagabend rund 900 ZuschauerInnen nach
Moabit zog.
## Zwei Tage Vorbereitung
„Ich hab keine Kondi“, klagt Buckler und läuft nervös vor dem
Backstagebereich auf und ab, als werde ihm immer klarer, dass er mit der
Zusage einen Fehler gemacht hat, je näher der Kampf rückt. Sein Gegner ist
der 24-jährige Marc Bockenheimer vom Team MMA Spirit aus Frankfurt am Main,
einem der bekanntesten und erfolgreichsten Teams in Deutschland.
Bockenheimer, derzeit in einer Ausbildung zum Physiotherapeuten, hat als
Kind mit Judo seine Kampfsportkarriere begonnen. Dort brachte er es bis zum
Schwarzgurt, fing mit 14 an, auch Karate zu trainieren, bestritt Wettkämpfe
auch im Kickboxen. Für einen so vielseitigen Kämpfer liegt der Sprung zum
MMA nahe, das all diese Disziplinen kombiniert. Es ist die Kombination
bekannter Kampfsportarten, die MMA aufregend und technisch anspruchsvoll
macht.
Techniken etwa aus dem Boxen, Kickboxen, Karate, Muay Thai, Judo, Jiu-Jitsu
und Ringen können verwandt werden. Verboten sind Angriffe auf die Augen,
den Kehlkopf und die Genitalien sowie Schläge oder Würfe auf Nacken oder
Hinterkopf. Auch am Boden darf weiter geschlagen werden, lediglich Tritte
oder Kniestöße zum Kopf sind am Boden verboten. Ein Kampf endet entweder
durch Punktrichterentscheidung, wobei das Wertungssystem dem des Boxen
ähnelt, durch K.O., Abbruch durch den Ringrichter oder durch Aufgabe. Vor
Jahren noch als „Free Fight“ bekannt und mit dem Nimbus der regellosen
Hinterzimmerschlägerei behaftet, wird der MMA-Sport weltweit in den letzten
Jahren immer populärer, auch in Deutschland. Die Universal Hall ist schon
seit fast drei Monaten ausverkauft. Das Publikum ist bunt gemischt. 80
Prozent der BesucherInnen sind Männer, vielen sieht man an, dass sie selbst
aktiv Kampfsport betreiben. Und man merkt an den Reaktionen der Menge auf
die Kämpfe, dass hier fachkundige Zuschauer beisammen ist. Denn es braucht
ein wenig Schulung, um erkennen und bewerten zu können, was genau im
Bodenkampf eigentlich passiert, wenn beide Kämpfer um Positionen ringen und
durch die ganze Halle die Anweisungen aus einer der Ecken zu hören sind,
die dann ungefähr so klingen: „Ja, jetzt die Schulter nach rechts, dann
greifst du mit der linken Hand seinen Unterarm, schiebst das Bein rüber und
richtest dich auf, aber nicht vergessen, die Hüfte zu kontrollieren!“
Gelingt es einem Kämpfer, sich gekonnt aus einem Würgegriff zu befreien,
ist ihm Szenenapplaus sicher. Es ist ein angenehmes, friedliches Publikum,
die Security hat nichts zu tun, weder Kuttenträger noch Nazi-Glatzen sind
zu sehen. Bei jedem Fußballspiel ist die Stimmung aggressiver als beim
Kampfabend in der Universal Hall. Veranstalter Marcus Wortmeier ist das
wichtig. Die Veranstaltungsreihe wurde vor zwei Jahren ins Leben gerufen,
um dem schlechten Image des MMA-Sports in Deutschland entgegenzutreten. Das
hat sich der Sport zum Teil selbst zuzuschreiben: Beworben als „härteste
Kampfsportart der Welt“ und oft betitelt als „Blood Rage“ oder Ähnliches,
hatte MMA bald den Ruf des menschlichen Hahnenkampfs weg, wo sich zwei
Menschen im Käfig unter dem Johlen der blutdürstigen Menge die Köpfe
einschlagen, bis einer nicht mehr aufsteht.
Das hat mit der Realität wenig zu tun, ist aber mächtig. Wortmeier merkt
das: Er würde gern in eine größere Halle umziehen, doch die Hallenbetreiber
winken ab. In Stuttgart veranstaltete der Kämpfer und Trainer Alan Omer am
Samstag eine Benefizgala: Die Spenden sollten einem Caritas-Jugendprojekt
zugute kommen – die Caritas lehnte ab, man wolle damit nichts zu tun haben.
Aber das Bild des MMA ändert sich langsam. Selbst in der Bild, die noch vor
Jahresfrist MMA-Veranstaltungen als „Blutboxen“ denunziert hatte, fand sich
in der vergangenen Woche ein durchaus wohlwollendes Porträt einer
Kämpferin, der Berliner Kurier schrieb eine Doppelseite über den jungen
Berliner Kämpfer Adrian Ruf, auch das RBB-Fernsehen ist in der Halle, am
Dienstag soll ein Beitrag im ARD-Mittagsmagazin gesendet werden. Das sind
Chancen, die Wortmeier nicht ungenutzt lassen will, und so weist Matchmaker
Frank Burczynski in der Regelbesprechung noch einmal alle Kämpfer darauf
hin, dass fairer sportlicher Umgang Pflicht ist.
## RBB filmt unfairen Auftritt
Umso größer ist das Entsetzen der Veranstalter, als das gleich beim ersten
Kampf nicht klappt. Adrian Ruf gelingt es in der ersten Runde, seinen
Gegner Nasrat Haqparast vom Hamburger Team des MMA-Veteranen Ismail
Cetinkaya mit einem Triangel-Choke zu besiegen. Doch statt, wie allgemein
üblich und bei allen anderen Kämpfen auch an diesem Abend gezeigt, dem
Sieger zu applaudieren und sich nach dem Kampf herzlich zu umarmen, will
Haqparast auf Ruf losgehen, verweigert den Handshake und schimpft
stattdessen lauthals herum. Das Publikum quittiert das unsportliche
Verhalten mit Pfiffen und Buhrufen – aber ausgerechnet bei diesem Kampf ist
der RBB noch da.
Jesse-Björn Bucklers Kampf ist der vorletzte des Abends. Von den anderen
Kämpfen hat er kaum etwas mitbekommen, er hat sich vorbereitet, hat sich im
Backstagebereich aufgewärmt. Aber schon seine Körpersprache zeigt, dass er
an diesem Abend nicht an einen Sieg glaubt. In der ersten Runde wird er von
Bockenheimer klar dominiert. Der Frankfurter landet die klareren Treffer,
auch am Boden kann er den Kampfverlauf bestimmen. „Wenn meine Ecke nicht so
auf mich eingeredet hätte, hätte ich nach der ersten Runde aufgegeben“,
sagt Buckler nach dem Kampf. Aber er macht weiter, übersteht auch die
zweite Runde, ohne großen Schaden davonzutragen. Nur mit dem Gewinnen
klappt es nicht. Bockenheimer siegt einstimmig nach Punkten, und beide
Kämpfer erhalten viel Applaus.
16 Dec 2012
## AUTOREN
Bernd Pickert
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