# taz.de -- Der Mythos eines Liedes: House Of The Rising Sun | |
> Ein Lied wie ein Schloss mit viel zu vielen Zimmern. Jeder kennt „House | |
> of the Rising Sun“, aber kaum einer weiß, wovon es handelt. Eine | |
> Spurensuche. | |
Bild: Hier gibt es kein erstes Hören. | |
Da stand also dieses Haus in New Orleans, das sie die „Aufgehende Sonne“ | |
nennen, und es war der Untergang so vieler armer Mädchen … oder waren es | |
Jungen? | |
Da geht’s schon los, um nicht mehr aufzuhören: Es gibt nur sehr wenige | |
Songs, um die sich so viele Rätsel ranken wie um „House Of The Rising Sun“. | |
Ein Lied wie ein Schloss mit viel zu vielen Zimmern, falschen Fluchten, | |
doppelten Böden und Sackgassen, umrankt von einem dornigen Gestrüpp aus | |
Mythen, die tief im Dunkel der Vergangenheit wurzeln. Wovon handelt das | |
Lied überhaupt, und was hat es mit diesem Haus auf sich? Wer hat wohl wann | |
erstmals diese spezielle Akkordfolge auf einen Zettel geschrieben, wer wann | |
den Text? | |
Schon beim ersten Hören wird es schwierig, wenn „House Of The Rising Sun“ | |
mal wieder im Radio kommt, wo ja fortwährend „das Beste der Sechziger, | |
Siebziger, Achtziger, Neunziger“ undsoweiterundsofort zur Abdudelung bereit | |
steht – weil es kein erstes Hören gibt. Nicht wenige Leute denken, der Song | |
wäre von der britischen Streberkapelle Muse, weil sie ihn 2002 aufgenommen | |
hat: „… and it’s been the ruin of many poor boys“. Dem halten ältere | |
Semester entgegen, dass Muse sich da bei der depressiven irischen | |
Feministin Sinéad O’Conor bedient habe, die das Lied ein Jahr zuvor sehr | |
ätherisch interpretierte – und in interessanter Genderverwirrung ebenfalls | |
von „many poor boys“ sang. | |
Schlagerfreunde und Bundeswehrsoldaten wiederum werden geltend machen, dass | |
die Melodie auf den Schlageronkel Gunter Gabriel zurückgehen muss, weil der | |
sie 2000 Jahre nach Christi Geburt kurzerhand in den Dienst des Vaterlandes | |
stellte: „Es steht ein Haus im Kosovo, das ist zerbombt und leer. Doch die | |
Jungs aus Good old Germany, die stell’n das wieder her“. Obwohl der | |
würdigste deutsche Beitrag zur Geschichte des Songs von Helge Schneider | |
stammt, der volle drei von knapp vier Minuten seines herrlich verblödelten | |
„I’m The House Of New Orleans“ mit bizarrem E-Gitarren-Gegniedel füllte. | |
## Eine Perle der Zeitlosigkeit | |
Und so geht es Jahr um Jahr und Stufe um Stufe hinab in die Zeit, wobei es | |
kaum ein Genre gibt, an das „House Of The Rising Sun“ nicht anschlussfähig | |
gewesen wäre – von Indie über Metalcore, House, Progrock, Punk, Disco und | |
Latin, Cajun bis zu Folk, Reggae und Blues. Die Komposition ist ebenso | |
anschmiegsam wie unsinkbar, eine Perle der Zeitlosigkeit. | |
Beim Tauchgang in die Vergangenheit lohnt es sich, 1964 erstmals eine | |
kleine Pause einzulegen. Damals veröffentlichten die Animals mit einem | |
verwegenen Eric Burdon am Mikrofon und dem großen Alan Price an der Orgel | |
eine Version, die die meisten Menschen heute für die ursprüngliche, | |
zumindest aber die endgültige halten. | |
Mit ihrem leidenschaftlichen und erstmals blueslastigen „House Of The | |
Rising Sun“ gelang den Animals als ersten Briten nach den Beatles eine | |
Nummer 1 in den US-Charts. Dabei hatten sie sich mit ihrem chromatischen | |
Moll-Arrangement nur bei Bob Dylan bedient, der es wiederum bei dem | |
Folkmusiker Dave van Ronk geborgt hatte, der seinerseits … und schon geht’s | |
weiter. Hinter jeder Version steht eine ältere Version, es ist wie ein | |
Spiegel im Spiegel. | |
## Vom Bordell in eine radiotaugliche Spielhölle | |
Die entscheidende Innovation der Animals, die damit den ersten Folkrock-Hit | |
der Musikgeschichte schufen, betraf aber nicht die Musik, sondern den Text | |
– sie präsentierten die Geschichte erstmals aus einer männlichen | |
Perspektive. Hier ist nicht die Mutter eine Schneiderin, sondern der Vater | |
ein Spieler. Und erzählt wird nicht aus dem Blickwinkel eines „gefallenen | |
Mädchens“ mit einem zockenden „Sweetheart“, sondern eines Sohnes, der den | |
gleichen Lastern erliegt wie sein spielsüchtiger Vater. Womit das Haus in | |
New Orleans ganz unauffällig von einem Bordell in eine radiotauglichere | |
Spielhölle verwandelt wäre. | |
So pikant die Bedeutungsverschiebung auch sein mag, sie ändert doch kaum | |
die eigentliche Botschaft des Songs: Eine Sünderin warnt, reumütig | |
heimgekehrt, in einer persönlichen Lebensbilanz vor dem dämonischen Ort des | |
Bösen, an dem sie dem Verwerflichen verfiel: „Oh tell my baby sister not to | |
do what I have done.“ Poetologisch besonders bemerkenswert ist die Wandlung | |
der „aufgehenden Sonne“ – vom alten Ägypten bis ins Christentum das Symb… | |
für Hoffnung und Neuanfang – zu einem Hort des Übels. | |
Die tragische Wucht dieser Beichte aber besteht darin, dass sie das | |
marktübliche Happy End verweigert. Die Erzählerin der Geschichte steht | |
bereits mit „one foot on the platform and the other foot on the train“, um | |
sich endgültig dem Verderben zu ergeben: „I’m going back to New Orleans, my | |
race is almost run. I’m going back to spend the rest of my days, beneath | |
the rising sun.“ | |
Genau so hat erstmals 1941 Alan Lomax den Text für sein Buch „Our Singing | |
Country“ zu Papier gebracht. Der legendäre Musikologe hatte zuvor jahrelang | |
den Süden der USA bereist, um die bis dahin nur mündlich tradierten | |
Volkslieder auf Tonband zu bannen – darunter auch, 1937, die weiße | |
Folksängerin Georgia Turner. Später tauchte eine noch ältere Version auf, | |
die des Varietékünstlers Clarence Ashley, der den „Rising Sun Blues“ von | |
seinem Großvater erlernt haben wollte. | |
## Archäologischer Fund | |
Aufgenommen wurde der Song am 6. September 1933, und jenseits dieses Datums | |
kann nur noch im Nebel gestochert werden. War das Haus ein Frauengefängnis? | |
Ein Bordell? Eine einfache Kneipe? Oder gar eine afroamerikanische Metapher | |
für Baumwollfelder? Dann hätte der Song mit der Zeit nicht nur sein | |
Geschlecht, sondern auch seine Hautfarbe gewechselt. | |
Gegen die These von der Sinnbildlichkeit spricht ein archäologischer Fund | |
von 2005. Damals wurden im alten französischen Viertel von New Orleans | |
unzählige Scherben von Schnapsflaschen ausgegraben – und charakteristische | |
Schminktöpfchen mit Rougeresten. | |
Es könnte sich um die Überreste des „Rising Sun Hotel“ handeln. Zu dessen | |
Neueröffnung am 29. Januar 1821 erschien in der Louisiana Gazette eine | |
Anzeige, in der die Betreiber augenzwinkernd beteuerten, hier könnten sich | |
„Gentlemen darauf verlassen, eine aufmerksame Bedienung zu finden“. 1822 | |
brannte das Holzhaus allerdings wieder ab. | |
Damit könnte die Geschichte aber noch immer nicht zu Ende sein. Wieder war | |
es Alan Lomax, der bei weiteren Feldstudien 1953 in England immer wieder | |
auf die altbekannte Melodie stieß. Und auf dazu passende Texte. Mal | |
erkannte er „House Of The Rising Sun“ in einem Volkslied namens „The | |
Unfortunate Rake“, mal in den Harmonien der Ballade „Matty Groves“, deren | |
Entstehung von Experten auf das 16. Jahrhundert datiert wird. Damals wurde | |
die Insel noch von Elisabeth I. regiert. In den teilweise sehr deftigen | |
Texten, die auch ein betrunkener Zeitgenosse wie Shakespeare gesungen haben | |
könnte, ging es auch immer wieder um ein Etablissement namens „Rising Sun“ | |
im Örtchen Lowestoft. Es ist die östlichste englische Küstenstadt. Ganz nah | |
bei der aufgehenden Sonne. | |
22 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
## TAGS | |
Musik | |
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