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# taz.de -- Selbstregulierung im Internet: Lasst uns reden
> Das Internet funktioniert bis heute weitgehend selbstverwaltet – obwohl
> so viele mitdiskutieren. Daraus kann man noch viel lernen.
Bild: Die Verwalter des Internets reden so lange, bis es einen Konsens gibt. Ma…
Das Internet wurde in den letzten Jahrzehnten durch eine Organisationsform
aufrechterhalten, die ohne Beispiel für ein derartig komplexes technisches
System ist, zumal dann, wenn es um Geld in Milliardenhöhe geht: Es
funktioniert weitgehend selbstverwaltet und auf technische Koordinierung
fokussiert. Die Ressourcen, die in den Netzen reguliert vergeben werden
müssen, insbesondere die Zuordnung der IP-Adressblöcke und die
Adressverwaltung, werden heute durch Institutionen wie hier in Europa das
RIPE verwaltet.
RIPE steht für Réseaux IP Européens (Europäische IP-Netzwerke) und ist ein
technisches Koordinationsforum von Freiwilligen, das in den Niederlanden
beheimatet ist, aber Aktive in ganz Europa hat. Hier wird nach dem guten
alten Konsensprinzip verfahren. Vergleichbar dem RIPE existieren
international fünf aktive Organisationen, die unter sich die Welt in
Regionen aufgeteilt haben und sich für die Nutzer weitgehend unbemerkt um
das Funktionieren der Netze kümmern.
Jeder technische Vorschlag wird im Einvernehmen entschieden, und das hat
Tradition. Man diskutiert so lange, bis der Konsens erreicht ist. Das
klingt zwar ein wenig nach einer weltfremden Organisation mit zu viel Zeit.
Und tatsächlich kann dieses Konsensprinzip jahrelange Diskussionen
bedeuten. Doch wenn er gefunden wurde, ist das meist allseitig
zufriedenstellend und überraschend produktiv.
Zudem ist der Prozess transparent, also ganz im Gegensatz zu den
Hinterzimmern der Macht, in denen allzu oft unter Ausschluss der
Öffentlichkeit über die Zukunft der Netze verhandelt wird.
## Eine Art Internetweisen
Diskutiert wird im RIPE in den sogenannten „working groups“, in denen schon
mal mehr als einhundert Aktive technische Vorschläge intensiv beraten. Die
jeweiligen Vorsitzenden haben nicht selten den Status von einer Art
Internetweisen, da sie in der Regel bereits in Zeiten, als das Internet
noch xlink hieß, an der Technik geschraubt haben. Sie bestimmen den
Zeitpunkt, wann der Konsens erreicht worden ist. Sofern keiner in der
Arbeitsgruppe rebelliert, gilt die Entscheidung als beschlossen. Neben das
Konsensprinzip tritt also auch ein meritokratischer Faktor, der auf
langjähriger Erfahrung und Anerkennung beruht.
Mitmachen kann jeder Internet-Teilnehmer in der RIPE-Region, der sich bei
der Verwaltung, Strukturierung und Zuteilung der Internetressourcen
einbringen möchte. Faktisch treffen sich vornehmlich die Techniker der
kleinen und großen Internet-Anbieter und der Universitäten. Doch es
bestehen keine formalen Hürden: Die Mailingliste der passenden
Arbeitsgruppen steht jedem zum Mitdiskutieren offen. Und jedem steht es
frei, die RIPE-Meetings zu besuchen, die zweimal im Jahr stattfinden. Der
Vertreter eines Konzerns wie der Deutschen Telekom hat dort genauso ein
Stimmgewicht wie jedes andere RIPE-Mitglied.
Neben den technischen Lösungen gingen auch viele interessante Initiativen
aus dem RIPE hervor. Dazu gehört das Projekt RIPE Atlas. Es ist das mit
Abstand größte Netzwerk für Messungen über Latenz, Datenverkehrsrouten und
Geschwindigkeiten im Internet – eine Art Leistungsbewertung der
Beschaffenheit der Netze in Echtzeit.
## Umleitungen für Datenpakete
Aus diesen aufgezeichneten Werten lässt sich ablesen, wo es Staus und
Umleitungen für Datenpakete im Internet gibt. Um die zweitausend kleine
Sonden weltweit tragen die Daten zusammen. Die meisten werden im
RIPE-Gebiet eingesetzt, also in Europa und im Nahen Osten. Sonden sind
kleine elektronische Kästchen, die Messdaten an das RIPE transferieren.
Wer ein klein wenig Bandbreite übrig hat und ein wenig Strom zu spenden
bereit ist, kann seit 2011 mit einer oder mehreren der Sonden zu den
Messungen beitragen. Der Mehrwert für den Einzelnen sind die dadurch
gewonnenen Messwerte, die aber gleichzeitig der gesamten RIPE-Gemeinschaft
und letztlich allen Internetnutzern zur Verfügung stehen. Entstanden ist
damit eine Art permanenter Wasserstandsmelder der Netze, der in öffentlich
zugänglichen Karten erfasst wird.
Eine Freiwilligengruppe innerhalb der RIPE-Community wertet die Daten aus,
erstellt Analysen und Graphiken und entwirft neue Ideen für weitergehende
Projekte. Als der Hurrikan „Sandy“ im Norden der USA tobte, trugen die
Messungen der Sonden erfolgreich dazu bei, zu verstehen, wie sich in
Schadensfällen Internetrouten verändern. Die Verfolgung der Routen der
einzelnen Datenpakete kann man sich wie eine Art Leuchtspur durchs Netz
vorstellen, die Auskunft darüber gibt, was bei technischen Ausfällen
passiert.
So war etwa im Falle von Hurrikan „Sandy“ mehr als nur die Region im New
York betroffen, da wichtige Verbindungen zwischen Nordamerika und Europa in
dem Gebiet verlaufen. Auf den RIPE-Karten konnte das Ausmaß der Störungen
live mitverfolgt, Hilfsmaßnahmen konnten koordiniert und alternative Routen
gesucht werden.
Was können wir lernen aus solchen Projekten? Freiwillige Kooperation kann
zu effizienten, konsensorientierten und damit besseren Problemlösungen
führen als staatliche Eingriffe. RIPE ist nur ein Beispiel für viele
freiwillige Zusammenschlüsse von Menschen, die gemeinsam an sinnvollen
technischen Lösungen arbeiten. Sie sind im Netz die Machtbasis der Vielen.
Diese funktionierende Form der Netz-Regulierung von einem
nicht-kommerziellen, technisch orientierten und konsensbestimmten Prinzip
auf die hierarchische Nationalstaatsebene zu verschieben, würde das
Internet, wie wir es kennen, beerdigen.
Dieser Text erscheint in der sonntaz vom 29. Dezember. Ein ganzes Heft zur
Frage: Wem gehört das Internet?
28 Dec 2012
## AUTOREN
Constanze Kurz
## TAGS
Internet
Transparenz
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