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# taz.de -- Bildband über Amerika: Eine Gesellschaft nach dem Rausch
> Christopher Morris erkundet in seinem Bildband „Americans“ die depressive
> Seele der Amerikaner – nüchtern fotografiert und ohne Pathos.
Bild: Distanz und starre Posen: Bildausschnitt aus „Americans“.
Sie schauen uns nicht an. All die Menschen, die Großmütter, die Soldaten,
die Polizisten, die Reporterin – sie blicken an uns vorbei, drehen uns
sogar den Rücken zu: Christopher Morris’ Bilder zeigen in sich versunkene
Menschen, mit dem Blick an der Kamera vorbei. Lakonisch komponiert bilden
sie tiefe Frustration ab, Antriebslosigkeit.
Bereits 2008 hat er mit dem Bildband „My America“ die Perspektiven des
Konservatismus ausgelotet, vor allem die der Tea Party als einer
Sammlungsbewegung der Ausgegrenzten. Einer ihrer Vorsänger, der Moderator
beim Skandalsender Fox News, Bill O’Reilly, trompetete ihnen nach der
Wiederwahl von Barack Obama denn auch das Totenlied auf ihre Hoffnungen,
als er sagte, dass das weiße Establishment, das aus den Vororten brav zur
Arbeit kommt, das den Rasen stutzt und mit der Geburt der Kinder das
Sparkonto für die Ausbildung anlegt, nun in der Minderheit sei.
Morris’ neuer Bildband „Americans“ beginnt hier und taucht knapp unter dem
Zitat eines epochalen Titels her. Wer einmal durch die 83 Bilder von Robert
Franks „The Americans“ geblättert hat, sieht eine Gesellschaft, der das
Siegerlächeln nach dem Zweiten Weltkrieg längst verrutscht ist.
Frank reiste durch eine Gesellschaft, der der Kater nach der Siegesfeier im
Gesicht stand, die tief in der Rassendiskriminierung steckte und in der
Parolen von der eigenen Einzigartigkeit und Überlegenheit neben Armut und
kulturellem Elend standen.
## Tiefe Spuren
Auch Christopher Morris durchmisst eine Gesellschaft nach dem Rausch. In
der März-Ausgabe des Atlantic von 2010 stellte der stellvertretende
Chefredakteur, Don Peck, fest, dass die „neue Ära der Arbeitslosigkeit“
tiefe und lang anhaltende Spuren in der US-amerikanischen Gesellschaft
hinterlassen würde.
Die Zahlen waren eindrücklich, damals hatte die durchschnittliche Dauer der
Arbeitslosigkeit erstmals seit Beginn der statistischen Aufzeichnung sechs
Monate überschritten. 17,4 Prozent der Bevölkerung waren arbeitslos oder
unterbeschäftigt, 44 Prozent der amerikanischen Familien nahmen den Verlust
eines Jobs oder eine Gehaltsreduktion hin. Zusammengenommen, so formulierte
Peck apodiktisch, „wird dies unsere Politik, unsere Kultur und den
Charakter unserer Gesellschaft auf Jahre hinaus verwerfen“.
## Menschen, die uns nicht ansehen
Als der Atlantic diese Verwerfungen beschrieb, rückt Morris sie bereits
seit einigen Jahren ins Bild. All diesen Menschen, die uns nicht ansehen,
stehen die Zahlen, die Hektik und der Stress, unter denen sie ums Überleben
kämpfen, ins Gesicht geschrieben. Denen, die Arbeit haben, ob sie ihr in
Uniform, im Anzug oder im Blaumann nachgehen, reicht wohl ihr Auskommen
kaum; fehlende Bildung und miserables Essen, vielleicht auch der Wunsch,
sich zu schützen, führt zur Fettleibigkeit.
Morris fotografiert sie nüchtern, oft aus der Distanz, eingebettet in ihre
Umgebung. Der Rentner in Sun City, der ein paar Habseligkeiten aus seiner
Garageneinfahrt verkauft, der schwarze Arbeiter in Louisiana, patriotisch
ans Herz geführte Hände: Es herrscht Fassungslosigkeit in den Bildern vor,
Bestürzung und Leere.
Wer noch in Uniform dient, so suggerieren es die Bilder aus der
Militärakademie von West Point, wird zumindest von dieser zusammengehalten,
doch schon der Sicherheitsmann auf der Terrasse blickt über den Potomac auf
die Türme von Washington, D. C. und lässt die Schultern hängen. Nichts ist
übrig vom Optimismus und Aufbruchswillen, der viele Amerikaner prägt. Von
der im Kern oft naiven und unaufgeklärten Gesellschaft sind starre Posen
geblieben, denen die austauschbaren Fassaden von New York City oder Los
Angeles entsprechen.
## Leichenwagen in Louisiana
Morris’ Bildsprache fehlt jedes Pathos. Anders als bei Robert Frank sind
die Bildlinien klar und symmetrisch, aber wie bei Frank lachen die Menschen
fast nie, zwischen ihnen herrscht große Distanz, eine wirkliche Ferne. Auf
den letzten beiden Bildern türmen sich am Himmel die Wolken. Darunter parkt
ein Leichenwagen in Louisiana, vielleicht wurde er auch vergessen. Aber er
wird wohl bald wieder zum Einsatz kommen, das suggeriert zumindest das
Bild.
Auf einem Seitenstreifen vor dem ausgedünnten Wald Floridas taucht noch
einmal die Hartnäckigkeit und der Trotz der „Americans“ im Bild auf: Ein
Schild steht dort und verkündet God, Guns and Guts made America free.
##
7 Jan 2013
## AUTOREN
Lennart Laberenz
## TAGS
USA
Amerika
Bildband
Foto
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