# taz.de -- Kinski-Missbrauch in der „SZ“: Perfide und ungeheuerlich | |
> Pola Kinski hat über 20 Jahre nach dem Tod ihres Vaters von ihrem | |
> Missbrauchs-Martyrium berichtet. Die „SZ“ wirft ihr deswegen Voyeurismus | |
> vor. Eine Erwiderung. | |
Bild: Kinski war ein Berserker. Willi Winkler beschreibt am Schauspieler das Of… | |
Irgendwann kommt immer einer, der Zweifel am Missbrauch sät. So nun auch im | |
Falle [1][Pola Kinskis], deren Buch über die sexuelle Gewalt ihres Vaters | |
den nächsten superprominenten (und selbstverständlich mutmaßlichen) Täter | |
überführt hat. Normalerweise geht es ganz fix, diesmal hat es fast eine | |
Woche gedauert. | |
„Auch wenn sie nicht nachprüfbar ist“, lässt sich [2][Willi Winkler in der | |
Süddeutschen Zeitung am 11. Januar] maliziös vernehmen, „wird die | |
Geschichte mit all ihren abstoßenden Details wohl stimmen.“ Winkler ist ein | |
überragender Feuilletonist. Doch diesmal liegt der Kollege voll daneben. | |
Er tappt in jene Fallen, die man kennt, wenn es darum geht, das Opfer | |
unglaubwürdig zu machen – und die Leistungen ihres Peinigers | |
herauszuarbeiten. Oder legt er sie sogar aus? Er lässt den großen Künstler | |
auftreten, er erinnert an die gesellschaftliche Libertinage, für die Kinski | |
sich heroisch ins Zeug gelegt habe, und natürlich an die Zeit, die 1960er | |
und 1970er, zu deren Verteidigung Winkler allzu gern in den Ring steigt. | |
„Die Jahre“, so heißt es diesmal bei ihm, „in denen Vladimir Nabokovs | |
Lolita aus der Zensur befreit wurde und als Literatur gelesen werden | |
durfte.“ Da werden der Fürst Metternich evoziert und die Karlsbader | |
Zensurbeschlüsse. Man hört beinahe die Ketten des Überwachungsstaats | |
rasseln, mit denen Freidenker wie Kinski, Winkler und andere 68er fixiert | |
und mundtot gemacht worden seien. | |
## Von Zensur keine Spur | |
Da liegt Winkler freilich knapp daneben – und zwar um 150 Jahre. Man muss | |
nur einen Abend lang Kinski gucken, und dann wird man sehen, dass es für | |
das vermeintliche Genie die reinste Freude war, Journalistinnen, Talkmaster | |
und Regisseure zur Sau zu machen. Von Zensur keine Spur. Die reinste | |
Tyrannei eines Durchgedrehten war das. | |
Kinskis Ausraster waren nicht einmal witzig oder scharfsinnig, sondern | |
schlicht ordinär. Am Set von „Fitzcarraldo“, der 1982 in die Kinos kam, | |
ließ er sich bei einem Wutausbruch derart gehen, dass die | |
Indianer-Komparsen dem Regisseur anboten, ihn zu töten. Ganz ernsthaft | |
meinten sie das, nachdem der Wahnsinnige unter ihnen gewütet hatte. „Wir | |
brauchen ihn ja noch für den Film“, bedankte sich Regisseur Werner Herzog | |
damals. | |
Kinski war ein Berserker, beschreibt Winkler an dem Schauspieler das | |
Offensichtliche. Seine Tochter aber, die lange 14 Jahre gequält wurde und | |
die sich selbst noch länger damit quälte, ihre traumatischen Erlebnisse | |
preiszugeben, unterwirft er einer höchst sophistischen Argumentation. Ihr | |
Buch, so lautet die paradoxe Anklage Winklers, „wirkt authentisch und | |
scheint doch von professioneller Hand geschrieben“. | |
Wie apart! Normalerweise wirft man Opfern vor, dass sie nicht glaubwürdig | |
seien. Diesmal heißt das Vergehen, Pola Kinski lasse „keine | |
Klischee-Vokabel aus“ und „bedient einen Voyeurismus“ – das ist perfide… | |
ungeheuerlich. Man kann von einem Kulturjournalisten erwarten, dass er sich | |
einmal mit der brutalen Logik von Missbrauchsaufklärung befasst, die sich | |
oft wie automatisch gegen das Opfer wendet. | |
## Der Kampf eines Kindes | |
Eine Frau ringt über 40 Jahre damit, den Mut und die Worte für die | |
Wirklichkeit zu finden – was soll daran, bitte schön, voyeuristisch sein? | |
Pola Kinski selbst sagte dazu in der Welt am Sonntag: „Ich habe ein Buch | |
geschrieben über den Kampf eines Kindes, das durch diese Erlebnisse über | |
Jahre von den Folgen gequält wird.“ | |
Was der SZ-Autor nicht versteht, ist das grausame Wechselspiel von Anbetung | |
und Einschüchterung, von Belohnung und Gewalt, mit dem gerade die berühmten | |
Täter ihre Opfer gefangen nehmen. Sie brauchen dazu, anders als die | |
katholischen Klosterherren oder der Kampusch-Entführer Wolfgang Priklopil, | |
keine Mauern. | |
Es ist ein Gespinst aus Schuld und Scham, in das sie ihre Opfer sperren. | |
Israels Präsident Mosche Katzav ließ seine Opfer, über die er in seinen | |
Büros verfügte, handschriftliche Liebesbriefe an ihren Peiniger schreiben. | |
Der britische Radio- und Fernsehstar Jimmy Savile verhöhnte seine teils | |
todkranken Opfer ebenso wie der Pädagogikprediger Gerold Becker mit dem | |
einfachen Satz: „Niemand wird dir glauben.“ Den Rest erledigt eine halb | |
präparierte, halb naive Täterlobby. | |
Die Opfer sind also darauf angewiesen, dass kluge Leute diese Tarnung | |
durchschauen – und die klaustrophobische Zwangslage verstehen, in welche | |
die Täter ihre Opfer manövrieren. Dafür sind eigentlich so kluge | |
Beziehungsanalytiker wie Willi Winkler da, deren Job es ist, die | |
versteckten Implikationen eines Missbrauchsverhältnisses offen zu legen. | |
## Der Missbrauch des Missbrauchs | |
Aber Winkler hat davon so gut wie nichts verstanden. Anstatt die Codes zu | |
entschlüsseln, mit denen der Lolita-Komplex in Deutschland in den 1970ern | |
salonfähig gemacht wurde, verfängt er sich darin, im Nachhinein die | |
Offenbarung des Opfers zu sezieren. Keine schöne Gesellschaft ist das, in | |
die er sich da begibt. Seit Katharina Rutschky gibt es in Deutschland eine | |
regelrechte „Missbrauch des Missbrauchs“-Industrie, die Täter entschuldet | |
und Opfer retraumatisiert. | |
Dennoch muss man Willi Winkler dankbar sein. Er ist der Erste, der | |
Monster-Klaus raushauen will, wenigstens ein bisschen. Das nimmt allen die | |
Gelegenheit, die sexualisierte Gewalt auf das Böse der Kinskis und der | |
Maskenmänner abzuschieben – und damit insgeheim an der Freisprechung der | |
netten Onkel, Pater und Pädagogen zu arbeiten. Sie zu enttarnen, fällt uns | |
so viel schwerer, weil sie unsere Freunde, Nachbarn und Brüder sind. | |
Es gilt der denkwürdige Satz von Natascha Kampusch. „Diese Gesellschaft | |
braucht Täter wie Wolfgang Priklopil, um dem Bösen, das in ihr wohnt, ein | |
Gesicht zu geben und es von sich selbst abzuspalten“, schrieb die | |
Österreicherin, die viele Jahre von einem Sexualverbrecher gefangen | |
gehalten wurde. | |
„Diese Gesellschaft benötigt die Bilder von Kellerverliesen, um nicht auf | |
die vielen Wohnungen und Vorgärten sehen zu müssen, in denen die Gewalt ihr | |
spießiges, bürgerliches Antlitz zeigt. Sie benutzt die Opfer spektakulärer | |
Fälle wie mich, um sich der Verantwortung für die vielen namenlosen Opfer | |
der alltäglichen Verbrechen zu entledigen, denen man nicht hilft – selbst | |
wenn sie um Hilfe bitten.“ Lesen, Winkler! | |
18 Jan 2013 | |
## LINKS | |
[1] /Missbrauchs-Vorwurf-gegen-Kinski/!108789/ | |
[2] http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/564150 | |
## AUTOREN | |
Christian Füller | |
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sexueller Missbrauch | |
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