# taz.de -- Skiwandern: Zurück in die Zukunft | |
> Das Osttiroler Villgratental ist bei naturverbundenen Touristen sehr | |
> beliebt - nicht zuletzt, weil dort vieles anmutet wie anno dazumal. | |
Bild: Man setzt auf das, was anderswo verloren ging. | |
Rhythmisch schaben die Tourenbretter über den vereisten Hang. Rechts | |
plätschert der Stallerbach talwärts, links ragen die Ostflanken der | |
Pfannspitze empor. Im Aufwind vor dem glitzernden Berg segelt ein Bussard. | |
Im Entenmarsch folgt die Gruppe dem Guide Oswald Fürhapter. Es geht hinein | |
in das Arntal, vorbei an der Unterstalleralm, wo sich das Hochtal zu einem | |
weiten Kessel öffnet, an den steilen Wiesen ringsum thronen windschiefe | |
Heuschober. Vor manchen Gebäuden wurden zur Bergseite keilförmige | |
Steinmauern errichtet. | |
„Die Mauern sollen Lawinen, falls sie auf die Hütte zuschießen, wie der Bug | |
eines Eisbrechers teilen“, erklärt Fürhapter. Dann passiert die Gruppe | |
einen Lärchenwald. Hinter einer Wegbiegung, die von einem geschnitzten | |
Herrgott bewacht wird, taucht eine Ansammlung Holzhütten auf, die | |
Oberstalleralm. Überragt wird das Ensemble von einem Kirchlein mit spitzem | |
schindelholzgedeckten Turm. Bisher stiegen wir im Schatten auf, seit etwa | |
einer Stunde sind wir unterwegs. | |
## Den Städtern gefällt das Urige | |
Die Almsiedlung liegt in der Sonne, von den Dächern tropft Schmelzwasser, | |
wir genießen auf einer Holzbank die Wärme und trinken Tee aus der | |
Thermoskanne. Bis vor etwa 40 Jahren, erzählt Fürhapter, hätten hier | |
während der Sommermonate ein Dutzend Bauernfamilien mitsamt dem Vieh | |
gelebt. Jetzt würden die Häuser an Touristen vermietet. „Den Städtern | |
gefällt das Urige, sie fühlen sich hier wie im Heididorf“, sagt Fürhapter, | |
der als Sekretär in der Gemeinde Innervillgraten arbeitet und manchmal mit | |
Gästen eine Skiwanderung unternimmt. | |
Das etwa 1.000 Einwohner zählende Osttiroler Villgratental – „Seitental | |
eines Seitentales“, nennt es Fürhapter – zeichnet sich durch eine | |
wohltuende Reduziertheit aus. Es gibt hier keine Skilifte. Keine | |
Bettenburgen, keinen Partylärm und keine Animationsprogramme für verwöhnte | |
Pauschalurlauber. Stattdessen Stille, idyllische Weiler mit uralten | |
Gehöften, die wie Schwalbennester an den buckligen Hängen kleben. Und | |
ringsum eine grandiose Natur. 2008 zeichnete der Österreichische | |
Alpenverein 17 „Bergsteigerdörfer“ aus – darunter auch das Villgratental. | |
Sie alle verschreiben sich der Nachhaltigkeit, umweltverträglichem | |
Wirtschaften, dem sanften Tourismus. | |
## Gegen die Wachstumsideologie | |
In Jahrhunderten gewachsene Kulturräume zu erhalten, ist das Ziel der | |
„Bergsteigerdörfer“. Man setzt auf das, was anderswo verloren ging. Und das | |
wird von Gästen zunehmend geschätzt. „An schönen Wintertagen versammeln | |
sich auf einem bekannten Skiberg hundert Tourengeher“, sagt Oswald | |
Fürhapter. Heute ist das nicht der Fall. Auf dem Weg zum 2.946 Meter hohen | |
Großen Degenhorn bleibt die Gruppe allein. Erst am frühen Nachmittag, | |
während der Abfahrt, kommen uns zwei Einheimische mit leichten Gepäck | |
entgegen, plaudernd drehen sie hier ihre Feierabendrunde. Doch noch geht es | |
durch das sonnige Arntal aufwärts in Richtung Gipfel. Steinmauern markieren | |
im Sommer genutzte Weideflächen. | |
Die Waldgrenze liegt unter uns, als Fürhapter nach links abzweigt, in | |
langen Schleifen einen sanft ansteigenden Hang quert. Es folgt eine steile | |
Passage, schließlich eine schattige Rinne, wo die zu Klumpen gepressten | |
Reste eines Schneebrettes zu umgehen sind. Die Gespräche in der Gruppe sind | |
allmählich verstummt, der Blick heftet sich auf die hin- und herpendelnde | |
Halteschlaufe am Rucksack des Vordermannes. Monoton ruckeln die Skier | |
vorwärts, die Gedanken schweifen. | |
Dass man sich der Wachstumsideologie verweigern und trotzdem Erfolg haben | |
kann, war auch im Villgratental nicht abzusehen. Noch immer sind hier nicht | |
alle von diesem Sonderweg überzeugt. Man sei es leid, in Medienberichten | |
als Hinterwäldler dargestellt zu werden, meinten etwa gestern die jungen | |
Männer im Gasthaus. „Wir haben zu Hause Computer und Fernseher, fahren mit | |
dem Auto zur Arbeit“, pflichtete ihnen die hinter dem Tresen hantierende | |
Wirtin bei. Fürhapter berichtet von den Schwierigkeiten, durch die | |
Grundstücke der Bauern eine Langlaufloipe anzulegen. | |
„Als wir vor dreißig Jahren anfingen die Parzellen zu vermessen, glaubten | |
manche, wir vergiften die Böden.“ Inzwischen jedoch ist vielen klar, dass | |
es Vorteile bringt, einige fragwürdige Entwicklungen versäumt zu haben. Zum | |
Beispiel Anton und Annemarie Gutwenger, die am sonnenexponierten Hochberg | |
Ferienwohnungen vermieten. Das Bauernhaus mit seinen vorkragenden Balkonen | |
und Dachgauben eignet sich gut als Basislager für Touren ins Arntal. | |
## Aus Liebe zum Plumpsklo | |
Zurück vom Berg, verkosten wir in der getäfelten Stube unterm | |
Herrgottswinkel Annemaries selbst angesetzten Enzianschnaps. Später, | |
nachdem seine fünf Kühe gemolken sind, hockt sich auch Anton zu uns an den | |
Tisch. Er erzählt, dass seine Bienenvölker in guten Jahren 2.000 Kilogramm | |
Honig sammeln. „Am aromatischsten ist der Berghonig von der Oberstalleralm, | |
die Kräuterwiesen kamen garantiert nie mit Kunstdünger in Berührung.“ | |
Am folgenden Tag wandern wir noch einmal hinauf, von unten die zweite Hütte | |
links gehört den Gutwengers. Wir haben einen Schlüssel dabei und öffnen die | |
aus klobigen Brettern zusammen gezimmerte Tür. In der niederen Rauchküche | |
steht ein gusseiserner Herd, man kann noch den kalten Ruß riechen. Im | |
Sommer vermietet die Bauernfamilie die Almhütte an Gäste, die hier | |
allerdings auf jeden Komfort verzichten müssen. Denn gekocht wird immer | |
noch auf der uralten Feuerstelle, als Lichtquelle dienen Kerzen oder | |
Petroleumlampen, geduscht wird im Freien an einem hölzerner Brunnentrog. | |
Hinten an die Hütte angebaut ist das Plumpsklo. | |
Das Echte, das Bodenständige, hat Anton Gutwenger beobachtet, werde immer | |
seltener und zugleich immer gefragter. Manche seiner Gäste wohnen zuerst in | |
einem Ferienappartement unten am Bauernhof. Nachdem sie aber die Hütte auf | |
der Oberstalleralm kennen gelernt hätten, reservierten sie diese bei der | |
Abreise für das nächste Jahr. „Ein Stammgast droht uns jedes Mal, dass er | |
nicht wiederkommt, falls das Plumpsklo verschwindet.“ Über so viel | |
Naturverbundenheit muss der geschäftstüchtige Bauer dann doch heimlich | |
lachen. | |
26 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Helmut Luther | |
## TAGS | |
Reiseland Österreich | |
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