Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Unflughafenmässige Gesichter: Ständiger Futur in Fake City
> Es gibt auch Orte in der Stadt, die nichts mit dem Flughafen zu tun
> haben. Eine Kolumne aus der aktuellen Wochenendausgabe der taz.Berlin.
Bild: Auch so ein unflughafenmäßiges Gesicht.
Es gibt auch den Nicht-Flughafen in Berlin. Also Orte, die nichts mit dem
Flughafen zu tun haben, das heißt, die nichts mit dem Flughafengewächs zu
tun haben, das sich durch alle Häuser und Straßen, durch alle Debatten und
Pleiten der letzten Monate zu fressen scheint. Eine Pflanze mit Luftwurzeln
und äußerster Schlagkraft, aggressiv und nicht tot zu kriegen.
Es gibt auch Orte, die davon unberührt sind, zum Beispiel die Arztpraxis am
Reuterplatz, deren Wartezimmer von der Straße aus einsehbar ist. Hinter der
gläsernen Eingangstür sieht man sie dann sitzen, ganz unflughafenmäßige
Gesichter, die traurig nach draußen blicken und nur eines sagen scheinen:
Ja, uns hat’s erwischt, na und? Wir heben nicht ab, wir fliegen nicht fort,
wir werden nur angeflogen, von Viren, Bakterien, Organversagen aller Art,
Herzrhythmusstörungen.
Arztpraxen haben ihre eigene Stimmung, hier in Nordneukölln gibt es
Arztpraxen mit praktischem Inventar und Arztpraxen mit praktischerem
Inventar, nur im Augenblick sitzt in allen immer dasselbe Publikum mit
immer demselben Gesichtsausdruck. Rund um diese Arztpraxen wachsen sie auch
gleich schon, diese Flughafengewächse, als wollten sie ein Remake eines
bekannten Hollywoodhorrorklassikers werden: Schlingpflanzen und
Klettergrünzeug der Mobilität, die alles zuwuchern, ersticken und doch
nichts als Stillstand bedeuten.
Die ganze Stadt ist schon Teil des zukünftigen Flughafens, wir wissen es
nur nicht. Nicht nur, weil Unsummen da hineingebuttert werden, sondern
auch, weil diese wieder herausgeholt werden sollen. Zwar nicht für alle,
wie immer suggeriert wird, aber für einige, wenige. Die Gastronomie, die
Shops, jedes Geschäft dieser Stadt scheint bereits jetzt nur als
Shopping-Möglichkeit auf dem Weg zum Gate zu existieren.
Auch die Wohnhäuser sind nur Zubauten, Rundherumbauten um ein
Flughafenareal, sie sind Flughafenzubringer und niemals Flughafenabbringer.
Und doch haben wir dieses Problem des ständigen Futurs, des ins Zukünftige
Gerückten, des Unfertigen, der Bauruine, des Flughafenlochs. Insofern
fiebern wir alle mit, dass es endlich gelingen möge oder etwas gelingen
möge, nur was, wissen wir nicht mehr so genau, da verschwimmen die
Vorstellungen mittlerweile, verfliegen in verschiedenste Szenarien, die
sich fernab jeder Wirtschaftlichkeit befinden. Ein Rückbau wäre schon ein
Anfang, sagen jetzt manche, ein Abriss ein immer wieder gehörter Vorschlag.
Flughafendeutschland hat ohnehin überhandgenommen, meinen Dritte, das ganze
Land wird langsam zu einem einzigen Hub, einem Frachtumschlagplatz, einem
Logistikzentrum, einem Verkehrsknoten und wird immer unbewohnbarer. Das
hängt ganz von den Flugrouten ab, den Verkehrsplanungen, die irgendwo da
oben, so scheint es, gemacht werden. Wir sind nur eine Fake City unter dem
Flughafenhimmel, machen wir uns nichts vor, und wen es trifft, wer Pech
hat, wird Anflugsbewohner oder Abflugsanrainer.
Wie viele Flugbewegungen pro Minute befinden sich über uns, ist ohnehin
schon die am meisten gestellte Frage, sie verdrängt sogar die
Sonntagsfrage, mancherorts auch in dieser Stadt, was uns direkt zurück in
die Arztpraxen bringt. Denn während vielen die Fluglärmlage erst dämmert,
die Körperverletzungsgefahr durch ständige Überflugsgeräusche, durch
herabrasselnde Kerosinbestandteile, sitzen einige schon da mit
Stresssymptomen, Tinnitus und Bluthochdruck, das geht im imaginären
Flughafenberlin sogar in Neukölln.
27 Jan 2013
## AUTOREN
Kathrin Röggla
## ARTIKEL ZUM THEMA
GASTKOMMENTAR: Macht den Ausschuss urteilsfähig!
Der Flughafen-Untersuchungsausschuss braucht eine angemessene Ausstattung,
um seinen Auftrag adäquat erfüllen zu können.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.