| # taz.de -- Neues Album von My Bloody Valentine: Ungewohnte Klarheit | |
| > Die irische Band My Bloody Valentine veröffentlicht nach 22 Jahren | |
| > Schweigen ein neues Album. Seit Samstag lässt sich „MBV“ auf ihrer | |
| > Website erwerben | |
| Bild: My Bloody Valentine in den frühen neunziger Jahren, ganz rechts Kevin Sh… | |
| Warten ist nicht jedermanns Sache. Eigentlich war das neue Album von My | |
| Bloody Valentine – das Erste seit 1991 – für Ende 2012 angekündigt. Nichts | |
| geschah. Die Kommentare auf der Facebook-Seite der Band wurden zunehmend | |
| gereizt. | |
| Vor zwei Wochen wagte ein Fan bei einem Konzert in London einen zornigen | |
| Zwischenruf, woraufhin MBV-Mastermind Kevin Shields zu jedermanns Erstaunen | |
| ins Mikro nuschelte, das Album sei in ein paar Tagen erhältlich. Und – | |
| tatsächlich. | |
| Als vergangenes Wochenende die Band-Website zusammenbrach – bislang die | |
| einzige Quelle, auf der man das neue Werk erwerben kann –, schickte ein | |
| verzweifelter US-Fan gar eine Petition an seinen Präsidenten: Obama möge | |
| bitte dafür sorgen, dass die Seite [1][mybloodyvalentine.org] unverzüglich | |
| wieder erreichbar werde. Was geht da für Wahnsinn ab in Zeiten, in denen | |
| man dachte, Popmusik könne niemand mehr emotionalisieren? | |
| ## Ein Haufen Trostlosigkeit | |
| Aber – und jene, die nun endlich wissen möchten, wie das neue Teil klingt, | |
| seien um Verzeihung gebeten – blenden wir zunächst zurück ins Vereinigte | |
| Königreich der mittleren achtziger Jahre: Dort herrschte ein Elend namens | |
| C86. Eine Generation britischer Gitarrenbands – so benannt nach einer | |
| Cassetten-Compilation des NME –, die nach Punk, New Wave und dem Neo-Pop | |
| von Human League und Culture Club kam, war ein grauer Haufen | |
| Trostlosigkeit. | |
| Es gab genau eine gute Band: My Bloody Valentine. Dass sie zu diesem | |
| C86-Kreis gehörte, muss erwähnt werden, weil es heutzutage gerne vergessen | |
| wird. Die entscheidenden Veröffentlichungen kamen schließlich erst 1988 bis | |
| 1991. | |
| Es hat bisher niemand aus MBV-Mastermind Kevin Shields herausgebracht, was | |
| ihn dazu bewogen hat, seine künstlerische Vision immer wieder radikal zu | |
| renovieren. Aber es geschah. Zunächst indem er die | |
| Noise-cum-Melodiosität-Praktiken von US-Kollegen wie Hüsker Dü aufgriff | |
| (die sich ihrerseits auf britische Bands wie die Buzzcocks bezogen). Dann | |
| trieb er diesen Soundentwurf geradezu preußisch konsequent weiter, der | |
| Songgehalt wurde immer sentimentaler, der Noise immer brutaler, lauter, | |
| nivellierender. Die EPs waren Killer, die Alben „Isn’t Anything“ und | |
| „Loveless“ unantastbare Meisterwerke. Nur dass 1991 Schluss war – ohne | |
| Ausstiegserklärung oder Grund. Es kam einfach nichts mehr. Vielleicht | |
| wollte Shields ja das CD-Zeitalter überspringen. | |
| ## Analoge Produktion | |
| Dass das neue Album nun wiederum eine analoge Produktion ist, dürfte kaum | |
| jemand als exzentrische Wunderlichkeit unbelehrbarer Ewiggestriger | |
| interpretieren. Vielmehr wird man es als absolut zeitgemäß lesen. Das gilt | |
| auch für die Musik: „MBV“ eröffnet 2013 im Sound von 1991, aber es hat | |
| nichts Nostalgisches. Der Auftaktsong „She Found Now“ hätte mit seiner | |
| Mischung aus Destruktion und Sehnsucht auch auf einer der alten | |
| Veröffentlichungen enthalten sein können. | |
| Ab der Album-Mitte verlässt sich Shields, der dem Vernehmen nach das Album | |
| bis auf einige Drum-Spuren und den Gesang von Bilinda Butcher im Alleingang | |
| eingespielt hat, nicht mehr auf die vertraute Strategie. Der Gesang wird an | |
| Butcher delegiert, die neun Songs klingen wohl auskomponiert, haben eine | |
| ungewohnte Klarheit, wo doch das Nebulöse immer MBV-Markenzeichen war, und | |
| Shields setzt sich in „Is This And Yes“ an die Orgel, wie es Miles Davis | |
| Mitte der Siebziger tat. „New You“ ist dann fast funky, der High-Speed-Loop | |
| „Nothing Is“ radikal wie der psychedelische Funk-Lärm, den Davis zu Beginn | |
| der Siebziger zu definieren versuchte. | |
| Schließlich folgt „Wonder 2“, der sagenumwobene Drum-’n’-Bass-Track, �… | |
| den der Guardian schreibt: „Wäre er Mitte der Neunziger herausgekommen, | |
| hätten die Britpop-Knaben ihre Beatles-Songbücher mit nach Hause nehmen | |
| können, um zu weinen.“ | |
| „MBV“ ist trickreich. Es holt die Hörer ab, nimmt sie mit, und lässt sie | |
| auf eigene Gefahr in einem fremden Land zurück. Dabei ist das Album von | |
| einem musikalischen Reichtum, den einzusammeln natürlich eine gewisse Zeit | |
| dauern mag. In den großen wie den Mikrostrukturen wird hier noch mal | |
| zusammengefasst, was die weiße Rockwelt in den letzten drei Jahrzehnten an | |
| Erkenntnissen produziert hat. Womöglich haben wir es hier tatsächlich mit | |
| dem letzten Großwerk im Albumformat zu tun – bevor sich das Musikschaffen | |
| in eine Vielzahl von Medien und Formaten zerstreut. | |
| ## My Bloody Valentine: „MBV“ (). CD- und LP-Versionen sollen Ende Februar | |
| bei Creation/Sony erscheinen | |
| 5 Feb 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://mybloodyvalentine.org | |
| ## AUTOREN | |
| Detlef Diederichsen | |
| ## TAGS | |
| Musik-Download | |
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