# taz.de -- Deutsch-polnische Verständigung: Der Klotz am Bein | |
> Vor zehn Jahren bekam die Stettiner Universität das ehemalige | |
> Bismarck-Schlösschen in Kulice geschenkt. Ein Millionengewinn, dachte | |
> man. | |
Bild: Als sei die Zeit stehen geblieben: das Bismarck-Schlösschen in Kulice. | |
KULICE/SZCZECIN taz | An der polnischen Ostseeküste schneit es, als wolle | |
es nie wieder aufhören. Nach einer Stunde Autofahrt von Stettin in | |
östlicher Richtung taucht das Städtchen Nowogard (Naugard) mit einem | |
vollkommen zugefrorenen See auf. Hier hat seit knapp 20 Jahren die | |
deutsch-polnische Begegnungsstätte „Stiftung Europäische Akademie | |
Külz-Kulice“ ihren Sitz. | |
Eine vierreihige Allee mächtiger Baumriesen führt auf das verschneite | |
Herrenhaus zu: das „Bismarck-Schloss“, wie die meisten Polen hier sagen. In | |
der Winterlandschaft wirken das Dorf in Westpommern, das Schloss im | |
klassizistischen Stil und der großzügige Park, als sei die Zeit stehen | |
geblieben. | |
Lisaweta von Zitzewitz öffnet die Eingangstür des Schlosses: „Witam | |
serdecznie“, sagt sie, „herzlich willkommen“. Die gebürtige Berlinerin u… | |
studierte Slawistin lebt seit dem Wiederaufbau des Schlösschens, das in der | |
kommunistischen Ära zu eine Ruine verkommen war, in dem 200-Einwohner-Dorf | |
Kulice (Külz). Als Philipp von Bismarck, dessen Familie 1945 aus Pommern | |
flüchten musste, 1995 im ehemaligen Familiensitz die Europäische Akademie | |
eröffnete, beauftragte er Lisa von Zitzewitz damit, erste deutsch-polnische | |
Seminare und Begegnungen zu organisieren. | |
„Der Rektor der Uni Stettin hat uns eine Galgenfrist eingeräumt“, kommt die | |
Hausherrin gleich zur Sache. „Am 22. Februar muss die Akademie endgültig | |
das Schloss verlassen.“ Bis dahin muss Frau von Zitzewitz alles | |
zusammenpacken lassen: die ganze Bibliothek, Töpfe, Tassen und Teller aus | |
der Großküche, das Mobiliar der Gästezimmer. Kampfeslustig setzt die | |
Akademieleiterin hinzu: „Aber so schnell gebe ich nicht auf.“ Zwar hätten | |
all ihre Briefe und Gesprächsangebote an Professor Wlodarczyk, den Rektor | |
der Stettiner Universität, nichts gebracht, aber „vielleicht haben ja die | |
Stettiner Intellektuellen mit ihren Protesten mehr Erfolg.“ | |
Das 50 Kilometer entfernte Stettin ist bis heute von Kriegsnarben | |
gezeichnet. 1944 bombardierte die Royal Air Force die damals noch deutsche | |
Stadt und zerstörte sie fast vollständig. Fünf Jahre zuvor hatten die Nazis | |
die Stettiner Juden ins 1939 besetzte Polen deportiert. Nach dem Krieg | |
mussten fast alle Deutschen die Stadt verlassen. Nur ein paar Bauwerke wie | |
das Schloss der Pommernkönige, die Hakenterrasse oder die Kirche Peter und | |
Paul erinnern noch an die deutsche Vergangenheit. | |
Im Bewusstsein der Polen spielt sie kaum eine Rolle. Auch der Rektor der | |
Stettiner Universität, Professor Edward Wlodarczyk, ein Spezialist für die | |
Hansestädte im 19. Jahrhundert, erklimmt tagtäglich die Stufen des | |
ehemaligen König-Wilhelm-Gymnasiums, um in sein Büro zu gelangen, doch auf | |
der Uni-Website ist kein Wort über die Geschichte des repräsentativen | |
Backsteinbaus zu lesen. | |
## Knappe Kassen | |
Nach ersten kritischen Artikeln im Kurier Szczecinski und im Lokalradio ist | |
Rektor Edward Wlodarczyk für Journalisten nicht mehr zu sprechen. | |
Tatsächlich haben Senat und Rektor der Uni Stettin mit dem geplanten | |
Rauswurf der renommierten Europäischen Akademie in Kulice einen Skandal | |
ausgelöst. Viele Stettiner erinnern sich durchaus noch daran, dass vor | |
knapp 20 Jahren die Deutschen rund 3,5 Millionen D-Mark in die Ruine | |
investierten und das prachtvoll wiederhergestellte Schlösschen der | |
Stettiner Universität schenkten. | |
Die Uni und die Stiftung Europäische Akademie in Kulice sollten das | |
Schlösschen zu einem Ort der deutsch-polnischen Verständigung machen. Das | |
wurde es auch dank ihrer engagierten Leiterin Lisaweta von Zitzewitz. Doch | |
in Zeiten knapper Kassen versprechen sich Senat und Rektor nun einen | |
Millionengewinn von dem Verkauf. | |
Bogdan Twardochleb, leitender Kulturredakteur des Kurier Szczecinski, ist | |
auf den Rektor schlecht zu sprechen: „Ich war auch mal Uni-Angestellter. | |
Inzwischen schäme ich mich fast dafür.“ Er senkt den Kopf: „Denn es ist | |
einfach so: Die Stettiner Universität hat weder ein Willy-Brandt-Zentrum | |
auf die Beine gestellt wie die Uni Breslau noch die Viadrina-Idee verfolgt | |
wie die Uni in Frankfurt (Oder) oder eine eigene Vision von einer | |
deutsch-polnischen Zusammenarbeit entwickelt.“ | |
Er sucht die Artikel zusammen, die bislang im Stettiner Kurier über den | |
geplanten Verkauf des Bismarck-Schlösschens erschienen sind. „Jetzt | |
verliert Stettin auch noch die Akademie in Kulice/Külz. Das ist für die | |
Region ein großer Verlust.“ Die anderen in der Runde, ein halbes Dutzend | |
Stettiner Journalisten, Künstler und Historiker, nicken. Von Zitzewitz | |
hatte wichtige Intellektuelle aus ganz Europa nach Kulice/Külz geholt und | |
Impulse für viele Diskussionen gegeben. | |
Die Universität in Stettin hingegen genießt nicht unbedingt den besten Ruf. | |
Obwohl sie mit rund 32.000 Studenten zu den größten des Landes gehört, | |
belegt sie im jährlichen Uni-Ranking nur Rang 48 von insgesamt 88 Plätzen. | |
Damit liegt sie weit abgeschlagen von den führenden Universitäten des | |
Landes in Krakau, Warschau, Posen und Breslau. | |
Twardochleb deutet auf eine lange Stellungnahme des Rektors im Stettiner | |
Kurier. Die Universität sei das Schlossgeschenk teuer zu stehen gekommen, | |
schreibt dort Professor Wlodarczyk. In den letzten zehn Jahren habe die | |
Stettiner Universität umgerechnet bis zu 750.000 Euro an öffentlichen | |
Geldern zuzahlen müssen, allein schon wegen der als notwendig erachteten | |
Neueinstellung eines Schlossverwalters, eines vom Rektor bestellten | |
Schlossbevollmächtigten sowie mehrerer Sekretärinnen. Dazu seien die | |
üblichen Unterhaltskosten für Schloss und Park gekommen. Trotz der | |
wissenschaftlichen und zum Teil auch kommerziellen Veranstaltungen der | |
Universität in Kulice sei die Bilanz negativ. Kulturredakteur Twardochleb | |
schüttelt den Kopf und sagt: „Es ist hier natürlich zu fragen, ob das | |
Rektoratsgebäude mehr Gewinn abwirft als das Schlösschen, oder ob es sich | |
hier um einen Fall von Misswirtschaft handelt.“ | |
## Keine Veranstaltung | |
Dem Stettiner Radiojournalisten Zbigniew Plesner hatte Wlodarczyk zu Beginn | |
des Skandals noch ein langes Interview gegeben. Der Journalist, der mit den | |
anderen in der Runde beratschlagt, ob die Akademie noch zu retten ist, hat | |
das Interview auf CD dabei. „Achtung“, sagt er und drückt die Taste, | |
Wlodarczyks Stimme ist zu hören: „Im Grunde genommen haben in Kulice | |
keinerlei Veranstaltungen stattgefunden, die sich aus den | |
Universitätsstatuten ergeben hätten. […] Für die Universität war Kulice v… | |
Anfang an ein Klotz am Bein.“ | |
Zurück in Kulice, zeigt Lisaweta von Zitzewitz das Haus – 17 eher | |
spartanisch eingerichtete Doppelzimmer, zwei Konferenzsäle mit | |
Übersetzerkabine, den Salon und die sogenannte Orangerie mit Palmen und den | |
großen Fenstern, die einen herrlichen Blick auf den verschneiten Garten und | |
die lange Allee freigeben. „Dort, wo zu kommunistischen Zeiten der | |
Schweinestall der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft stand, | |
könnte die Uni ein Gästehaus bauen“, erklärt sie. Das würde das Schloss | |
rentabler machen, weil viele Seminarteilnehmer ins Hotel gehen mussten. | |
Einnahmen, die der Akademie und damit der Uni bislang entgingen. | |
Von Zitzewitz streicht die schulterlangen blonden Haare zurück und deutet | |
durchs Fenster auf den schneeverwehten Platz neben den anderen | |
Wirtschaftsgebäuden: „Die Akademie hatte sogar schon eine Baugenehmigung | |
für das Gästehaus und die Finanzierungszusage der Stiftung für | |
deutsch-polnische Zusammenarbeit.“ Doch die Universität als Eigentümerin | |
des Schlosses hätte einen gemeinsamen Nutzungsvertrag mit der Akademie | |
unterzeichnen müssen. „Das wollte der damalige Rektor nicht, und so ist der | |
Millionenbetrag für das Gästehaus verfallen.“ Fröstelnd zieht sie den roten | |
Schal über die Schultern. „Und jetzt beklagt sich der Rektor, dass die gut | |
funktionierende Akademie im Schloss für die Universität nicht genug Gewinn | |
abwirft.“ | |
## Eine Palme zum Einzug | |
Am nächsten Morgen beugt sich die Hausherrin über einen Palmstumpf in der | |
Orangerie des Bismarck-Schlösschens. „Das ist nun sehr symbolisch“, sagt | |
sie. „Die Palme muss in den letzten Tagen eingegangen sein. Wir hatten sie | |
zum Einzug geschenkt bekommen.“ Wie zum Abschied liest sie das Schild vor, | |
auf dem in deutscher und polnischer Sprache steht: „70 Jahre alte Palme aus | |
Schlawe, gestiftet von Janina und Jan Kraszewski aus Warschau, im November | |
1996“. Sie streicht über die letzten, inzwischen braunen Palmwedel. „17 | |
Jahre hat sie es mit uns hier ausgehalten.“ | |
Der Abschied von Kulice wird Lisaweta von Zitzewitz schwer fallen. Sycewice | |
(Zitzewitz), der alte Familienstammsitz ihrer Familie, liegt zwischen | |
Slawno (Schlawe) und Slupsk (Stolp). „Ich habe den Abschiedsschmerz nie so | |
gefühlt wie mein Vater und dessen Familie“, erzählt sie. „Ich bin ja in | |
Berlin geboren. Aber inzwischen ist Pomorze – Pommern – auch meine Heimat | |
geworden.“ | |
Philipp von Bismarck, den letzten Eigentümer des Schlösschens, der sich im | |
Krieg dem militärischen Widerstand um Henning von Tresckow angeschlossen | |
hatte, lernte sie in der Ostsee-Akademie von Travemünde nahe Lübeck kennen. | |
Obwohl von Bismarck Sprecher der Pommerschen Landsmannschaft war, lehnte er | |
die neue Ostpolitik Willy Brandts nicht ab, sondern setzte sich für die | |
Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ein. | |
Sein Traum war es, das Haus der von Bismarcks künftig der | |
deutsch-polnischen Verständigung dienen zu lassen. Ist es damit nun vorbei? | |
Lisaweta von Zitzewitz schüttelt den Kopf: „Noch habe ich einen Funken | |
Hoffnung – aber der Rektor hat das Recht auf seiner Seite.“ Laut Vertrag | |
darf dieser der Akademie kündigen und das Schloss an den Meistbietenden | |
verkaufen. Oder – wenn es keinen Käufer gibt – das Gebäude wieder verfall… | |
lassen. Das wäre dann das traurige Ende einer deutsch-polnischen | |
Zusammenarbeit. | |
19 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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