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# taz.de -- Forscherin über Nordkorea und DDR: „Trink dein Bier!“
> Ihr Vater stammte aus Nordkorea, studierte in der DDR und flüchtete nach
> West-Berlin. Liana Kang-Schmitz hat die Beziehung der beiden Länder
> untersucht.
Bild: Architektonisch wie in Ost-Berlin: Parade in Nordkorea.
taz: Frau Kang-Schmitz, Ihr Vater hat an der TU Dresden Elektrotechnik
studiert. 1960 floh er in den Westen. Wie gelang ihm das?
Liana Kang-Schmitz: Das war vor dem Bau der Mauer noch relativ einfach: Er
ist mit dem Zug von Dresden nach Ostberlin gefahren, hat sich dort in die
U-Bahn gesetzt und ist in Westberlin wieder ausgestiegen.
Wie wurde Ihr Vater in Westberlin empfangen? Verdächtigte man ihn nicht,
ein nordkoreanischer Spion zu sein?
Er kam für einen Tag in ein ganz normales Flüchtlingslager. Dort wurde er
dann von amerikanischen Botschaftsangehörigen abgeholt und in eine
Westberliner Villa gebracht, in der er einige Wochen lang geblieben ist.
Wurde er dann durchgecheckt?
Ja, dort musste er jeden Tag aufs Neue seine Lebensgeschichte aufschreiben.
Außerdem wurde er täglich befragt und war dabei sogar an einen
Lügendetektor angeschlossen. Zunächst wurden ganz alltägliche Fragen
gestellt, aber danach ging es etwas mehr ins politische Detail. Ansonsten
durfte sich mein Vater frei bewegen. Er hat sogar fünf Mark Taschengeld pro
Tag bekommen und ist oft ins Kino gegangen.
Nach Beendigung der Verhöre ist Ihr Vater in den Westen Deutschlands
gegangen?
Ja. Anschließend durfte er gehen, wohin er wollte. In Aachen hat er dann
sein Studium beendet, eine Stelle gefunden und eine Familie gegründet.
Ihr Vater war einer von insgesamt zwanzig nordkoreanischen Studenten, die
vor dem Mauerbau in den Westen flohen. Warum taten die das?
Hätten die Studenten in der DDR bleiben dürfen, wären sie wahrscheinlich
nicht geflohen. Dort ging es ihnen schließlich gut. Doch sie wussten, dass
sie nach Nordkorea zurückkehren mussten. Manche hatten zum Beispiel eine
ostdeutsche Freundin und sind mit ihr zusammen in den Westen geflohen.
Andere hatten Streit mit ihrem Politoffizier. Das größte Problem aber war,
dass viele Studenten falsche persönliche Angaben gemacht haben, als sie
sich in Nordkorea um einen Studienplatz in der DDR beworben haben. Das war
ja zum Teil noch während des Korea-Krieges, und da konnten die heimischen
Behörden die Angaben der Studenten nicht überprüfen. Es ist häufiger
vorgekommen, dass jemand, der aus bourgeoisen Familien-Verhältnissen
stammte, ankreuzte, sein Vater sei Arbeiter oder Bauer. 1958 wurden diese
Angaben zum ersten Mal in Korea überprüft. Daraufhin kehrte ein Drittel
aller Studenten von einem Heimaturlaub nicht mehr in die DDR zurück.
Ihren Vater traf es dann aber umgekehrt: Seit seiner Flucht darf er nicht
mehr nach Nordkorea reisen und hat auch keinen Kontakt mehr zu seiner
Familie. Wissen Sie, ob seine Angehörigen nach seiner Flucht bestraft
wurden?
Das wissen wir nicht. Aber ich nehme an, dass die Familie meines Vaters
nach seiner Flucht interniert wurde.
Sie haben Koreanistik studiert und über die Beziehungen zwischen der DDR
und Nordkorea promoviert. Dieses Thema wurde bislang kaum erforscht. Warum
nicht?
Es gibt einige Arbeiten aus der BRD, doch den westdeutschen Forschern waren
die meisten Quellen ja gar nicht zugänglich. Als dann die DDR
zusammengebrochen war und die Archive geöffnet wurden, erschienen weitere
Texte. Aber auch in ihnen ging es meistens um Teilaspekte der
ostdeutsch-nordkoreanischen Beziehungen, wie etwa um den von der DDR
mitfinanzierten Wiederaufbau der Stadt Hamhung nach dem Korea-Krieg. Eine
Arbeit, die die Beziehungen zwischen den beiden Ländern über den gesamten
Zeitraum 1949-1989 beleuchtet, hat es bis zu meiner Doktorarbeit nicht
gegeben.
Wie haben Sie recherchiert?
Das Politische Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin war für mich sehr
wichtig. Das ist wirklich eine Fundgrube! Wichtig war auch das Sapmo, das
Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR.
Haben Sie auch im Stasiarchiv recherchiert?
Ja, aber dort findet man erst aus späteren Zeiten Vermerke über
nordkoreanische Studenten. Als mein Vater studierte, konnte die Stasi die
Studenten noch nicht genau beobachten.
Sind Sie auch an nordkoreanische Archive herangekommen?
Nein, leider nicht.
Wann kamen die ersten nordkoreanischen Studenten in die DDR?
Die erste Delegation kam im September 1952 an. Man muss dazu wissen, dass
Nordkorea damals unter einem erheblichen Fachkräftemangel litt. Unter der
japanischen Besetzung Koreas (1910 bis 1945) durften nur wenige Koreaner
studieren. Und die haben nach dem Abzug der Japaner 1945 das Land
verlassen. Sie hatten Angst, als Kollaborateure umgebracht zu werden. Den
Fachkräftemangel haben in Nordkorea zunächst sowjetische Spezialisten
aufgefangen. Aber das konnte natürlich auf Dauer keine Lösung sein. Deshalb
wurden viele junge Nordkoreaner zum Studieren in die sozialistischen
Bruderländer geschickt.
Sie schreiben, dass die Anzahl der nordkoreanischen Studenten in der DDR
zunächst recht hoch war. 1956 waren 357 Nordkoreaner an ostdeutschen
Universitäten eingeschrieben. Dann reduzierte die DDR deren Anteil aber
stark. Warum?
Das war vor allem eine Kostenfrage. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die DDR für
alle Kosten aufgekommen: für die Unterbringung der Studenten, ihre
Verpflegung, ihr Studium, ihre Bücher und ihr Taschengeld. Im
Studentenabkommen von 1959 wurde dann festgelegt, dass die nordkoreanische
Seite zumindest die Fahrt- und die Unterbringungskosten übernehmen soll.
Deshalb kamen nicht mehr so viele Studenten in die DDR.
Das Verhältnis zwischen den nordkoreanischen und den ostdeutschen Studenten
scheint anfangs sehr gut gewesen zu sein. Die Nordkoreaner wurden als
„lustiges und umgängliches Völkchen“ erlebt.
Ja, offenbar waren die Nordkoreaner anfangs wirklich sehr umgänglich. Einer
ihrer deutschen Kommilitonen, mit dem ich gesprochen habe, kann bis heute
noch „Trink dein Bier!“ auf Koreanisch sagen. Doch irgendwann stellte die
nordkoreanische Botschaft fest, dass ihr die Studenten immer mehr
entglitten. Daher versuchte sie, die Möglichkeiten der Begegnung mit den
DDR-Kommilitonen einzuschränken. Das hatte aber den Nebeneffekt, dass die
Koreaner mehr unter sich blieben, nicht mehr so gut Deutsch sprachen und
ihre Studienleistungen entsprechend nachließen.
Trotzdem gab es auch Liebesbeziehungen zwischen Deutschen und
Nordkoreanern.
Ja, es gab auch Paare, die in der DDR geheiratet haben. Doch die
Nordkoreaner mussten auf jeden Fall wieder heimkehren.
Wie viele Kinder sind aus nordkoreanisch-ostdeutschen (und teils auch
nordkoreanisch-westdeutschen) Beziehungen hervorgegangen?
Das müssten so zwischen 25 und 30 Kindern sein.
Von 1962 bis Ende der 1970er Jahre lebten nur sehr wenige nordkoreanische
Studenten in der DDR. Das lag dieses Mal aber nicht an finanziellen
Problemen, oder?
Nein, das hing mit dem Sino-Sowjetischen Konflikt zusammen. 1962 haben die
Nordkoreaner ihre Studenten aus Osteuropa und Russland zurückgerufen. Und
auch aus der DDR. Komplett. Und alle gleichzeitig. Nur in Albanien durften
sie bleiben, weil Albanien chinesische Positionen vertrat. Und natürlich in
China.
Die Studenten wurden also aus der DDR zurückgerufen, auch wenn sie ihr
Studium noch nicht abgeschlossen hatten?
Ja, aber die ostdeutschen Universitäten haben da sehr menschlich reagiert:
Fortgeschrittene Studenten wurden noch in Nacht-und-Nebel-Aktionen geprüft.
Ihr Diplom bekamen sie teilweise auf dem Bahnhof überreicht.
Und wie gingen die nordkoreanischen Behörden mit der Wende um? Sie
schreiben, dass kurz vor dem Mauerfall wieder knapp 200 nordkoreanische
Studenten in der DDR lebten.
Die wurden über Nacht abgezogen. In den Akten liest sich das wie ein Krimi.
Da berichten Universitätsprofessoren, wie ihre Studenten aus dem
Studentenheim abgeholt wurden. Sie sind runtergegangen, hatten gerade ihr
Essen auf dem Tisch stehen, und das Radio lief. Und dann waren sie weg.
Offiziell wurden sie zu einer Fortbildung nach Nordkorea geschickt. Das war
im November 1989, kurz nach dem Mauerfall. Denn als die Grenze offen war,
sind ein paar nordkoreanische Studenten zusammen mit den DDR-Bürgern in den
Westen gegangen. Von dort haben sie sich nach Südkorea abgesetzt.
3 Mar 2013
## AUTOREN
Katharina Borchardt
## TAGS
DDR
Nordkorea
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