# taz.de -- Das Montagsinterview: „Wahnsinnige Grenzüberschreitung“ | |
> Gutgläubig sei sie gewesen, sagt Laura S.*. Seit sie im vergangenen Jahr | |
> in Bremen unter Einfluss von K.o.-Tropfen vergewaltigt wurde, geht sie | |
> nicht mehr weg. | |
Bild: Eben auf die Tanzfläche gehen, das Glas unbeobachtet lassen und schon si… | |
taz: Laura, Sie wurden im vergangenen Jahr vergewaltigt, nachdem Ihnen | |
K.o.-Tropfen verabreicht wurden. Was haben diese löslichen Psychopharmaka, | |
die Ihnen unbemerkt ins Getränk gemischt wurden, vor jener Mai-Nacht für | |
Sie bedeutet? | |
Laura S.: Ich bin leidenschaftliche Krimi-Leserin, da liest man von | |
K.o.-Tropfen und denkt: Naja, da hat der Autor sich wieder was ausgedacht. | |
Als reales Problem hatte ich mich damit nie ernsthaft befasst. Das war | |
etwas, was vielleicht anderen passiert. In dubiosen Etablissements oder | |
Teenies, die ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol machen. Ganz entfernt von | |
mir. | |
Haben Sie das Problem verdrängt? | |
Ich bin ein gutgläubiger Mensch und gehe davon aus, dass Menschen anderen | |
so etwas nicht antun. Kann man tanzen gehen mit abgrundtiefem Misstrauen im | |
Kopf? Ich bin früher immer losgegangen, habe das Getränk stehen lassen, | |
wenn ich tanzen war. | |
Und nun? | |
Seitdem gehe ich nicht mehr weg. Es war Tanz in den Mai, die Stadt war | |
rappelvoll. Die Menschen waren ausgelassen, das Wetter war gut, ein toller | |
Abend. Ich war mit einer Freundin unterwegs, erst auf einer privaten Party, | |
dann bin ich ins Kulturzentrum Lagerhaus, weil eine andere Freundin dort | |
war. Da standen wir, haben ein Bier getrunken und viel getanzt. Wir waren | |
ausgelassen, hatten Spaß. Wir waren an einem der Stehtische und als wir | |
einmal vom Tanzen zurückkamen, stand da auch ein Mann. | |
Der machte nicht den Eindruck, dass der auf Brautschau war. Der Tisch war | |
ja leer gewesen, er hatte sein Getränk abgestellt. Wir haben uns wieder mit | |
hingestellt, es gab erst gar kein Gespräch. Wir wollten wieder tanzen gehen | |
und da habe ich ihn gefragt, ob er ein bisschen auf meine Tasche aufpassen | |
kann. | |
Das hat er gemacht? | |
Klar. Wir haben dann auch auf seine Sachen aufgepasst und haben auch | |
Getränke zusammen geholt, einen Gin Tonic, haben miteinander gesprochen. | |
Ich war nicht betrunken, ich bin eine, die sich nicht betrinkt. Ich weiß, | |
wo meine Grenze ist. So gegen vier oder fünf Uhr habe ich zu meiner | |
Freundin gesagt: Ich werde langsame müde, ich will nach Hause gehen. | |
Sie sagte dann: Ein Abend ohne Heartbreak-Hotel, das geht nicht. Okay, habe | |
ich gesagt, aber danach gehe ich nach Hause. Und den Mann, er nannte sich | |
Achim, haben wir gefragt, ob er mitkommt. Einfach so. Dieser Achim erschien | |
mir wie ein ganz normaler Mensch, wie du und ich. | |
Wollte er mit? | |
Achim sagte, er komme nach, er habe noch was zu erledigen. Das fand ich | |
komisch, nachts um vier. Aber naja. Warum nicht. Wir wollten in die Kneipe | |
laufen, die ist keine 200 Meter entfernt. Für den Weg dahin fehlt mir schon | |
die Erinnerung. Meine Freundin hat später gesagt, wir hätten noch einen | |
Hamburger gegessen, davon weiß ich eigentlich nichts. Ich soll ihr auf dem | |
Weg erzählt haben, ich fände diesen Achim toll. Der war aber überhaupt | |
nicht mein Typ, ein eher unscheinbarer Mann mit kakifarbenem T-Shirt, ein | |
bisschen die Alternativ-Ecke. Und ich hatte ja einen Freund. | |
Ich bin nicht der Typ, der herumläuft und fremde Leute knutschen möchte. | |
Als meine Freundin mir das erzählt hat, war ich erschrocken über mich | |
selbst. Sie hat aber betont, dass ich aufrecht auf den Beinen war, | |
keineswegs irgendwie merklich angeschickert. Sie hat gesagt, ich sei ihr | |
immer nüchterner vorgekommen. | |
Ist er nachgekommen? | |
Wir waren im Heartbreak-Hotel, ich kann mich nur noch daran erinnern, dass | |
es wahnsinnig voll war. In dem nächsten Bild, das in meiner Erinnerung ist, | |
ist es taghell, ich laufe aus irgendeinem Hauseingang heraus. Ich bin in | |
einem anderen Stadtteil, in der Neustadt, ich weine, mir tut alles weh. Ich | |
habe meine Kleidung an, aber keine Unterwäsche. | |
Irgendwie habe ich im Kopf: Ich muss sofort die Polizei anrufen. Dazwischen | |
ist nichts. Ein Loch von vier Stunden. Manchmal sehe ich Männer in grauen | |
Jacken an mir vorbeilaufen. Ich sehe manchmal einen Mann mit Jeans und | |
weißem Hemd. Aber ich kann diese Bilder nicht einordnen. | |
Das war der Morgen danach. Was haben sie gemacht? | |
Ich bin zum Leibnitzplatz gelaufen, weil da eine Polizeiwache ist. Ich bin | |
drei Mal um das Haus herum, habe geklopft, geschrien, ich war verzweifelt | |
und außer mir, weil ich nicht wusste, wie ich dahin gekommen bin, warum mir | |
alles so wahnsinnig wehtat. Dann habe ich mich an die Haltestelle gestellt, | |
mich gesetzt, auf die Bahn gewartet und geweint. Ich wollte nach Hause | |
fahren. Da war ein anderer Mann, der hat mich gefragt, was los ist. Es war | |
ein Krankenpfleger, er hat dann die Polizei gerufen. Die Polizeiwache am | |
Leibnitzplatz war längst geschlossen, das habe ich später erfahren. | |
Dann kam die Polizei, gab mir Kaffee, da habe ich mich zum ersten Mal in | |
Sicherheit gefühlt. Wir fuhren zur neuen Wache. Zwei Frauen vom | |
Kriminaldauerdienst kamen und der Polizeiarzt. Ich habe festgestellt, dass | |
ich meine Handtasche dabei hatte. 20 Euro haben gefehlt. Die Schlüssel | |
waren da. Meine Unterwäsche war in der Handtasche. Und ein paar | |
Herrensocken, wer weiß von wem. | |
Haben Sie den Hauseingang wiedererkannt, aus dem sie herausgekommen waren? | |
Die Kripo-Frauen sind mit mir noch durch die Neustadt gefahren, ich sollte | |
die Hauseingänge angucken. Ich hatte aber null Erinnerung. | |
Sind Sie an dem Morgen nach der Vergewaltigung ärztlich untersucht worden? | |
Die haben mich in die Frauenklinik gebracht. Ich bin auf HIV und Hepatitis | |
getestet worden – zum Glück beides negativ. Da haben sie aber festgestellt, | |
dass ich sexuelle Kontakte mit mehreren Männern gehabt haben muss, wegen | |
der DNA-Spuren. Ich hatte einige blaue Flecken, Kratzspuren, im Unterleib | |
totale Schmerzen. Ich habe dann angefangen, zu sammeln, was ich weiß. Viel | |
ist es nicht. Es muss mehrere Täter gegeben haben. | |
Ich stand tagelang unter Schock, weil ich ja nicht wusste, was mit mir | |
passiert war. Wenn ich mir vorstelle, dass ich auf beiden Beinen stehen und | |
reden konnte – was habe ich da gesagt und getan? Das war nicht ich. Das | |
Gefühl, dass ich mich vielleicht bereitwillig habe umarmen lassen, das | |
finde ich schrecklich. Ich weiß ja nicht, wie ich da reagiert habe. Das ist | |
so eine wahnsinnige Grenzüberschreitung. | |
Und Ihre Freundin? Wo war die geblieben? | |
Das Fatale ist: Jeder reagiert anders auf solche K.o.-Tropfen. Es gibt auch | |
Frauen, die ihren Körper nicht unter Kontrolle haben, aber mental alles | |
mitbekommen. Meine Freundin hat die Tropfen wahrscheinlich auch bekommen, | |
aber bei ihr haben die gewirkt wie eine Party-Droge. Die war total | |
aufgedreht, hat getanzt bis in den Vormittag, ihre Wohnung geputzt, ganz | |
kurz geschlafen und dann eine Fahrradtour gemacht. | |
Hat sie denn nicht mitbekommen, was mit Ihnen passiert ist? | |
Sie hat gesagt, dass sie den Eindruck gehabt habe, dass ich immer | |
nüchterner werde. Sie hat mitgekriegt, dass ich ein paar Mal vor der Tür | |
des Heartbreak-Hotels war, das ist aber normal; wenn ich da eine rauchen | |
will, gehe ich vor die Tür. Irgendwann ist dieser Achim da wohl | |
aufgetaucht, jedenfalls hat er zu meiner Freundin gesagt: Du, deine | |
Freundin ist draußen, ich würde an deiner Stelle mal rausgehen, nach ihr | |
gucken. Sie wollte raus, hat sie erzählt, und hat mich durch die offene Tür | |
gesehen, meinen Rücken, ein Mann hatte seinen Arm um mich gelegt. | |
Sie ist an dem Türsteher nicht vorbeigekommen, der hat zu ihr gesagt: Du | |
hast ein Glas in der Hand, du kannst nicht raus. Die haben sich wohl | |
richtig angeschrien. Irgendwann hat sie ihm dann das Glas in die Hand | |
gedrückt und kam dazu, als ich in ein helles Auto einstieg. Sie erinnert | |
sich, dass sie mich gefragt hat, ob alles in Ordnung sei. Ich habe wohl | |
gesagt: Ja, du musst dir keine Gedanken machen. | |
Ich selbst habe keine Erinnerung daran, nichts. Sie meinte, ich hätte das | |
ganz klar und nüchtern gesagt und dass ich wissen würde, was ich tue. In | |
dem Auto hat sie drei Männer sitzen sehen. Nicht diesen Achim, der war ja | |
im Heartbreak. | |
Die Polizei hat die Ermittlungen inzwischen ergebnislos eingestellt. | |
Wenn man K.o.-Tropfen bei Google eingibt, dann kommt zuerst „K.o.-Topfen | |
kaufen“ und dann „selbst herstellen“. Danach kommt dann Prävention. Man | |
soll nicht allein ausgehen. Aber ich bin nicht allein ausgegangen. Wir | |
haben einfach nicht mit so was gerechnet. Ich bin Mitte 30. Ich frage mich, | |
was bewegt einen Menschen dazu, eine Frau, die Mitte 30 ist, willenlos zu | |
machen. | |
Wir sind einfach so gutgläubig gewesen. Die Polizei hat festgestellt, dass | |
das Heartbreak an diesem Abend gar keinen Türsteher gemeldet hatte. Das | |
macht die Sache noch dubioser. | |
*Name geändert | |
4 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
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